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Alfred Herrhausen: Wer half der RAF bei der Ermordung des "Herrn des Geldes"?


Fall Alfred Herrhausen
Wer half der RAF bei der Ermordung des "Herrn des Geldes"?

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 17.11.2019Lesedauer: 6 Min.
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Bad Homburg 1989: Alfred Herrhausen wurde mittels einer Sprengfalle ermordet.Vergrößern des Bildes
Bad Homburg 1989: Alfred Herrhausen wurde mittels einer Sprengfalle ermordet. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Nach dem Mauerfall folgte 1989 der Schock: RAF-Terroristen ermordeten den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. Die Tat ist ungesühnt. Gibt die Tatwaffe Aufschluss über die Mörder?

Im November 1989 ändert die Weltgeschichte ihren Lauf. Die Mauer ist offen, die Deutschland 28 Jahre teilte. Hunderttausende Bürger der DDR sind auf Schnuppertour im Westen. Trabis werden in Paris vor dem Arc de Triomphe gesichtet, im Osten Berlins wankt das Regime. Und es gibt wichtige und mächtige Leute auch außerhalb der Politik, die nachdenken, wie es weitergehen soll mit den beiden deutschen Staaten.

Einer davon ist Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Der "Herr des Geldes", wie der "Spiegel" ihn auf dem Titel nennt. Ein unbequemer Querdenker aber auch. Schon lange hat er zum Ärger seiner Branche einen Schuldenerlass für die Staaten der Dritten Welt gefordert. Den 59-Jährigen, Boss von 50.000 Mitarbeitern und Berater des Bundeskanzlers Helmut Kohl, beschäftigt in diesen Tagen vorrangig die Lage der Nation.

Dem Nachrichtenmagazin hat Herrhausen von seinem Wunsch nach einer Wiedervereinigung erzählt. "In fünf bis zehn Jahren" müsse der Umbau von der Plan- in die Marktwirtschaft gelingen können, sagt er im Voraus. Voraussetzung: Die DDR müsse ihr "System" ändern. Aber: Er warne davor, "zu früh zu großzügig unser Geld nach drüben zu tragen."

"Nur noch ein Haufen Blech"

Zehn Tage nach dieser Interviewansage, am 30. November, steigt er im hessischen Bad Homburg vor seinem Haus in den dunkelgrauen Dienst-Mercedes, der ihn zum Arbeitsplatz in Frankfurts Bankenviertel bringen soll. Das vierköpfige Personenschützerteam verteilt sich auf zwei Fahrzeuge, die sein Auto in die Mitte nehmen. Nach 500 Metern Fahrt, vor dem Parkplatz der Taunus-Therme am Seedammweg, zerreißt eine Explosion die morgendliche Ruhe. Es ist 8.34 Uhr.

Als sich die Wolke aus Staub und Splittern verzogen hat, ist vom Mercedes "nur noch ein Haufen Blech" übrig, wie ein Reporter des Hessischen Rundfunks den Hörern die Szenerie schildert. Ein Geschoss, getrieben von sieben Kilo Sprengstoff, hat die gepanzerte Tür hinten rechts durchschlagen und ist auf der anderen Seite ausgetreten. Splitter haben eine Schlagader Herrhausens aufgerissen. Er verblutet binnen Minuten.

Sein Fahrer ist verletzt. Am Tatort finden Ermittler ein in Plastik geschweißtes DIN-A4-Blatt mit dem RAF-Symbol, der Maschinenpistole mit Stern. Ein Todesgruß vom "Kommando Wolfgang Beer". Tage später folgt der Bekennerbrief. "Wir haben Alfred Herrhausen hingerichtet." Durch die Bankhistorie ziehe sich "die Blutspur zweier Weltkriege und millionenfacher Ausbeutung". Ihr Opfer habe dieses Machtzentrum regiert und dafür bezahlt.

Tödliche Spur

Diese traurigen Geschehnisse sind nun 30 Jahre her. Die Debatten um den Anschlag, ob die Sicherungsmaßnahmen ausgereicht haben, ob Warnungen in den Wind geschlagen wurden, ob es die Stasi war, die ein "Gesicht" des Kapitals ausgeschaltet hat, gehören der Vergangenheit an. Doch 2019 fahndet die Bundesanwaltschaft noch immer ergebnislos nach Tatverdächtigen aus den Zeiten der Rote Armee Fraktion. 20 Ermittlungsverfahren umfasst die späte Suche. Ganz oben auf diesem Aktenstapel liegt der Mordfall in Bad Homburg am 30.November 1989.

Die "dritte Generation" der RAF, die der Enkel von Andreas Baader und Ulrike Meinhof, bleibt die Hauptverdächtige. Sie soll verantwortlich sein für neun Mordopfer aus der Zeit zwischen 1984 bis 1993, vom Diplomaten Gerold von Braunmühl über den US-Soldaten Edward Pimental bis etwa zum Treuhand-Chef Detlev Rohwedder. Fatal nur: Von einigen Ausnahmen abgesehen haben die Fahnder keine blasse Ahnung, wer dieser "verschwundenen Dritten" noch zugehörig war – und erst recht nicht, wer aus dem Kreis der Unbekannten Alfred Herrhausen getötet haben könnte.

Aussagen eines umstrittenen Zeugen gegen zwei Angehörige der linksradikalen Szene, Christoph Seidler und Andrea Klump, hatten sich als juristisch haltlos erwiesen. Seidler hatte ein Alibi. Klump bestritt, überhaupt je zur RAF gehört zu haben. Auch die vagen Stasi-Spekulationen haben sich zerschlagen. Ein Bekenntnis des Bundesanwalts Rainer Griesbaum im Jahr 2013 ist einfach ehrlich: "Alle Ermittlungsansätze und alle Spuren sind abgearbeitet. Wir stecken in der Sackgasse."

Verrät die Waffe die Täter irgendwann?

Doch da ist noch eine ungewöhnliche, spannende Fährte. Es ist die Waffe, mit der die unbekannten Linksterroristen zuschlugen. Als die Spurensicherung am Tattag, einem Donnerstag, am Seedammweg in Bad Homburg eintrifft, rekonstruiert sie bald einen überraschenden Hergang, den der Autor Butz Peters in seinem Buch "Tödlicher Irrtum" beschreibt.

Die Mörder nutzten eine Lichtschranke Typ MG 101 japanischer Bauart für 130 D-Mark aus dem Elektromarkt. Sie setzten sie aus 88 Meter Entfernung durch einen Kippschalter in Gang, nachdem das vordere Begleitfahrzeug die Stelle unbehelligt passiert hatte. Die Unterbrechung der Lichtschranken-Falle durch den Herrhausen-Mercedes löste eine Sprengladung aus, die auf einem Kinderfahrrad Marke "Globus 2000" in einer weißen Sporttasche montiert war.

Besonders raffiniert und wirksam: Das darin verborgene Geschoss. Eine Kupferplatte, die durch die Sprengwirkung zu einem spitz zulaufenden Trichter geformt wurde und enorme Durchschlagskraft entwickelte. Sie hat den Bankmanager auf der Stelle und gezielt tödlich verletzt. Das Bundeskriminalamt schreibt später: "Die Tatmodalitäten zeugen von einem hohen technischen Know-how der Attentäter."

"Eine technische Professionalisierung"

Was beweist der Einsatz des aufwändigen Mordwerkzeugs? An der Universität Regensburg arbeitet der Politikwissenschaftler Alexander Straßner. Er ist Experte für die Geschichte des Terrorismus. t-online.de hat ihn befragt: "Bei dem Herrhausen-Anschlag hat die RAF eine bestimmte Schwelle von Komplexität überschritten", sagt Straßner, "eine neue Vorgehensweise kommt zum Einsatz, eine technische Professionalisierung."

Dabei: Die RAF sei seit Mitte der 80er-Jahre als Organisation "eigentlich tot" gewesen. "Allein mit dem Personal, das sie zu dieser Zeit noch hatte, wäre so eine Tat nie zu realisieren gewesen. Es ist wahrscheinlich, dass man Hilfe von außen in Anspruch genommen hat." Der Wissenschaftler spricht von einer "Dienstleistung", die die deutschen Attentäter damals eingekauft haben müssen, von einem Geschäft. Geld und vielleicht noch Unterstützungsleistungen an anderer Stelle gegen die Waffe? "So ist es", sagt Straßner.

2014 sendet die ARD unter dem Titel "Die Spur der Bombe" eine Recherche des Autors Egmont R. Koch. Er hat erfahren, dass US-Streitkräfte im Irak 2004 rund 100 GIs verloren haben, weil deren gepanzerte Jeeps durch den Beschuss mit trichterförmigen Kupferplatten zerstört wurden.

Spur in den Nahen Osten?

Laut CIA kannten arabische Terroristen diese mörderische Schusswaffe länger, seit Mitte der 80er-Jahre schon, eingesetzt durch Hisbollah und Palästinenser im Libanon und beim Bau logistisch unterstützt aus dem Iran. Es ist der im Westen bis dahin unbekannte Geschoss-Typ, der am 22. November 1989 den erst 17 Tage regierenden libanesischen Präsidenten René Moawad in Beirut tötete und acht Tage später Alfred Herrhausen.

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Erstmals wird auch nachvollzogen, wie die RAF an die Wunderwaffe aus dem Nahen Osten geraten sein könnte. Eine Spur, geht es aus Kochs Bericht hervor, führte in die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Dort fanden Polizisten im Frühjahr 1989 durch Zufall die Adresse einer Wohnung, die sich als konspiratives Quartier von einheimischen Terroristen entpuppte. Die "Blekingegade-Bande" unterhielt hier ein ganzes Waffenlager und bewahrte Hinweise auf, die zum Geheimdienstchef der Palästinenserorganisation PFLP ("Volksfront zur Befreiung Palästinas") und auch in die deutsche Terrorszene führten.

Jörn Moss, der damalige dänische Chefermittler, zeigte sich gegenüber der ARD sicher, dass die dänischen Terroristen Kontakte mit der RAF hatten. Der Regensburger Professor Alexander Straßner bestätigt das: "Es scheint in Kopenhagen in der Blekingegade eine Anlaufstelle für ein klassisches Joint Venture gegeben zu haben."

Geständnis gegen Geld?

Am Ende ist die Waffe ein interessantes Indiz. Die Chancen aber, die Mörder des Bankmanagers Alfred Herrhausen persönlich abzuurteilen, sind heute genauso gering wie für weitere Versuche, mehr Licht in das Dunkel zu bringen. Denn Zeugenaussagen fehlen. Die verurteilten RAF-Leute schweigen. Auch kann keine von Ex-Ermittlern wie dem Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger geforderte Amnestie mehr Wirkung zeigen, weil alle Terroristen aus der Haft entlassen sind. Was bleibt?


Vielleicht ein Mittel, das das deutsche Recht gar nicht kennt. Ein Geständnis gegen Bezahlung. Politikwissenschaftler Straßner: "Ich würde vermuten, dass die Betroffenen sich mit Geld, einer neuen Identität und mit Aussicht auf einen materiell erfüllten Lebensabend locken lassen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Alexander Straßner
  • Klaus Pflieger: "Die Rote Armee Fraktion", Baden-Baden, 2. Auflage 2007
  • Butz Peters: "Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF", Frankfurt/Main 2007
  • ARD-Dokumentation: Die Spur der Bombe
  • Deutschlandfunk: Das Schweigen der Dritten Generation
  • Der Spiegel: Die DDR ist am Zug
  • Der Westen: Zehn RAF-Morde bleiben wohl für immer ungesühnt
  • Bundestags-Drucksache 13/754: "Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden"
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