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Raketen und Eurofighter für Saudi-Arabien? Ein Dilemma für Deutschland


Tagesanbruch
Das könnte ihr schwer im Magen liegen

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 11.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock: Die Außenministerin signalisierte, dass Deutschland eine Lieferung von Kampfjets an Saudi-Arabien unterstützen würde.Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock: Die Außenministerin signalisierte, dass Deutschland eine Lieferung von Kampfjets an Saudi-Arabien unterstützen würde. (Quelle: Michael Kappeler/dpa/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Politik kann schon ein unangenehmes Geschäft sein. Im Parlament streiten die Abgeordneten verschiedener Parteien miteinander, in der Regierung streiten die Koalitionspartner, und innerhalb der Parteien herrscht auch nicht immer gute Stimmung: Dort ringen die Mitglieder um die richtige Ausrichtung, die passenden Themen und natürlich auch darum, wer diese Ideen am besten nach außen vertreten kann. "Feind – Todfeind – Parteifreund", so soll es einst Konrad Adenauer auf den Punkt gebracht haben.

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Noch komplizierter kann das Ganze dann auf der internationalen Bühne werden. Das zeigt sich auch an den jüngsten Aussagen von Annalena Baerbock: Am Sonntag, die Außenministerin war da gerade in Israel, lobte die Grünen-Politikerin das Engagement von Saudi-Arabien. Maßgeblich trage das Land aktuell zur Sicherheit Israels bei und dämme "die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes" ein, doch damit nicht genug: "Gerade deshalb sehen wir nicht, dass wir uns als deutsche Bundesregierung den britischen Überlegungen zu weiteren Eurofightern für Saudi-Arabien entgegenstellen."

Video | Baerbock: Saudi-Arabien kann weitere Eurofighter erhalten
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Quelle: reuters

Soll heißen: Deutschland könnte Großbritannien die Erlaubnis erteilen, Eurofighter-Kampfjets nach Riad zu liefern. Denn diese Erlaubnis aus Berlin ist nötig, weil auch die deutsche Rüstungsindustrie an der Produktion der Flugzeuge beteiligt ist – und derzeit überlegt man in London, ein Angebot für eine entsprechende Ausschreibung des Wüstenstaats abzugeben.

An Baerbocks Aussage zeigen sich gleich mehrere Dilemmas. Ein persönliches, eines ihrer Partei und eines der Bundesregierung:

Auch wenn die Ministerin in Israel nicht für sich sprach, sondern im Namen der deutschen Regierung, könnte ihr die Aussage persönlich schwer im Magen gelegen haben. Denn Saudi-Arabien ist das Regime, das einst den Journalisten Jamal Kashoggi in seiner Botschaft in Istanbul ermorden ließ, weswegen Deutschland Rüstungsexporte seit 2018 an das Land eingeschränkt hatte. Die Autokratie führt darüber hinaus einen blutigen Krieg im Jemen und hat 2022 nach China und dem Iran weltweit die meisten Todesstrafen vollstreckt. Oder anders formuliert: Es ist ein Land, das Baerbock, die häufig von wertegeleiteter und feministischer Außenpolitik spricht, ferner nicht sein könnte.

Dementsprechend riefen die Aussagen der Ministerin auch bei den Grünen Aufsehen hervor, was einen zum zweiten Dilemma bringt: Manche ihrer Kollegen, wie Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang, betonten, dass die Linie der Partei bei Waffenlieferungen an Saudi-Arabien eine andere sei. Außenpolitikerin Djamila Schäfer erinnerte Baerbock im "Spiegel" an ihre eigenen Grundsätze und bemängelte, dass eine wertegeleitete Außenpolitik nicht über Menschenrechtsverletzungen eines Landes hinwegsehen sollte.

Omid Nouripour, von Haus aus Außenpolitiker und neben Lang ebenfalls Parteichef, klang dagegen etwas abwägender. Er sperre sich nicht grundsätzlich gegen eine solche Waffenlieferung, sagte der Grünen-Chef im Deutschlandfunk. Aber man sehe gleichzeitig, "dass es notwendig ist, sehr, sehr vorsichtig und restriktiv mit Rüstungsexporten umzugehen." Auch für die Grünen zeigt sich also an diesem Beispiel: Die eigenen Ideale und die reale Politik können durchaus zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe sein.

"Vorsichtig" und "restriktiv" sind Worte, die im Zusammenhang mit Saudi-Arabien im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition allerdings nicht fallen. Dort fällt die Bewertung des Landes deutlich schärfer aus – was uns zum dritten Dilemma führt: Saudi-Arabien tauchte 2021 in dem Papier der damaligen "Fortschrittskoalition" zwar mit keiner Silbe auf, aber indirekt eben doch: "Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind", heißt es dort eindeutig – und in diesem Krieg kämpft die Monarchie aus Riad an der Seite der Regierungstruppen gegen die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Eine Exportgenehmigung dürfte also eigentlich kein Thema sein.

Seit der Vertrag beschlossen wurde, hat sich allerdings einiges geändert: Die israelische Regierung und das saudische Regime, geeint in ihrer Abneigung gegen den Iran, haben sich in den vergangenen Monaten einander angenähert. Das brachte auch die Bundesregierung schon im vergangenen Sommer dazu, den Saudis wieder offener zu begegnen – wohlgemerkt schon vor den Anschlägen der Hamas. Zurzeit werden mit saudischen Raketen nicht nur die Huthi-Rebellen im Jemen bekämpft. Die Waffen gewährleisten auch, dass die Rebellen Israel nicht weiter gefährden oder mit ihren Angriffen noch mehr Handelsschiffe im Roten Meer bedrohen.

Reicht das allerdings, um die deutsche Haltung zu Saudi-Arabien zu ändern? Der Schutz Israels hat für Deutschland zu Recht eine herausragende Bedeutung. "Unsere Solidarität erschöpft sich nicht in Worten", sagte etwa Bundeskanzler Olaf Scholz, nachdem er Israel nach dem 7. Oktober besucht hatte. Wer dieser Argumentation folgt, hat Gründe, auch zur Bewaffnung Saudi-Arabiens beizutragen, solange sie auch Israel nützt.

Ein vollständig verlässlicher Partner wird Saudi-Arabien dadurch trotzdem nicht. Im Moment mag das Regime nützlich sein. Dass die Waffen irgendwann aber nicht mehr nur für den Schutz Israels genutzt werden, kann heute niemand sicher sagen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre mit Russland sollten uns gelehrt haben, dass die Bundesregierung autokratischen Regimen nicht allzu viel Vertrauen entgegenbringen sollte.

Es wirkt zudem befremdlich, den Saudis zu vertrauen, während die Ampel weiter der Ukraine die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern verwehrt. Es passt nicht zusammen, wenn etwa der Kanzler die Zukunft des Landes in der Europäischen Union sieht, gleichzeitig aber offenbar große Angst davor hat, dass die ukrainischen Truppen mit den Waffen Ziele tief im Inneren Russlands attackieren könnten.

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Im Falle von Saudi-Arabien besteht zumindest seit gestern kein Zweifel mehr, dass die deutsche Regierung eine Kurskorrektur vorgenommen hat: Schon im Dezember hatte die Ampel den Weg für die Lieferung von 150 Iris-T-Lenkflugkörpern nach Riad freigemacht, bestätigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Diese können – Sie ahnen es bereits – auch von Eurofightern abgefeuert werden.


Vergessene Konflikte

Krisen prägen weltweit die Schlagzeilen. Seit einigen Jahren hat man diesen Eindruck noch häufiger: Israel, die Ukraine, Syrien, Jemen – alle Länder stehen mittlerweile sinnbildlich für Krisen und Katastrophen, die kein Mensch auf der Welt erleiden sollte.

Wir Medienschaffenden versuchen, immer die wichtigsten Schauplätze im Blick zu haben – und doch versagen wir dabei kläglich. Das ist zumindest das Ergebnis der Analyse "Breaking the Silence" der internationalen Hilfsorganisation Care, die heute veröffentlicht wird: In der Analyse wurden weltweite Krisen untersucht, die mindestens eine Million Menschen betreffen, aber gleichzeitig kaum mediale Aufmerksamkeit erfahren. Dafür wurden weltweit mehr als fünf Millionen Online-Artikel geprüft.

Trauriger Spitzenreiter des Rankings ist in diesem Jahr Angola: Dort kämpfen die Menschen gegen die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Doch weltweit beschäftigten sich die Medien in nur knapp 1.000 Artikeln mit der Situation in dem Land. Klingt doch gar nicht so wenig, glauben Sie? Im gleichen Zeitraum wurde der Film "Barbie" weltweit mit mehr als 273.000 Artikeln gewürdigt.

Andere Krisenländer kommen nach Angola kaum besser weg: Auf den Plätzen zwei und drei folgen Sambia (1.371 Artikel) und Burundi (3.939 Artikel). Auf den weiteren Plätzen folgen Krisenherde wie Senegal, Mauretanien, Kamerun, Uganda und Simbabwe.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass die Länder etwas gemeinsam haben: Sie liegen alle in Afrika, dem insgesamt großen blinden Fleck unserer westlichen Medienwelt – und die Zahlen sind auch keine Ausnahmen: Bereits 2023 lagen die zehn am wenigsten beachteten Krisenländer alle in Afrika. Das Schlusslicht, damals wie heute: Angola.


Auftakt geglückt

Auftaktsieg vor Weltrekordkulisse: Besser konnte es für die deutschen Handballer beim Auftakt der Heim-Europameisterschaft nicht laufen. Mit 27:14 schlägt das DHB-Team von Bundestrainer Alfred Gislason die Schweiz deutlich.

Vor 53.586 Zuschauern im Fußballstadion von Fortuna Düsseldorf ließ die deutsche Mannschaft nie Zweifel an ihrem Sieg aufkommen. Zu verdanken hatten die Deutschen das vor allem ihrer starken Abwehr um Torhüter Andreas Wolff mit einer Fangquote von 61 (!) Prozent.

Viel Zeit zu verschnaufen hat die deutsche Mannschaft nicht: Am Sonntag steht das zweite Spiel gegen Nordmazedonien in Berlin an. Falls Sie ein Spiel verpassen sollten: halb so wild. Wir liefern Ihnen zu allen Spielen der deutschen Mannschaft die Zusammenfassung im Video.


Ohrenschmaus

Musik hilft mir manchmal, wenn ich mich beim Schreiben nicht richtig konzentrieren kann, verriet ich gestern meinen Kollegen. Was ich gehört habe, während ich diese Zeilen geschrieben habe? Hören Sie selbst.


Das historische Bild

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Die Regierung muss sparen – und die Haushaltsplanung entsprechend angepasst werden. Doch wo soll gekürzt werden? Den Überblick haben Tim Kummert und Florian Schmidt.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Am Freitag schreibt Florian Harms für Sie den Tagesanbruch.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X/Twitter: @Schubfach
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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