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Hass und Beleidigungen: Die Politik ist ein Abbild der Gesellschaft


Tagesanbruch
Politiker sollten verbal abrüsten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 16.02.2024Lesedauer: 7 Min.
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Markus Söder rüstet verbal auf.Vergrößern des Bildes
Markus Söder rüstet verbal auf. (Quelle: Leonhard Simon/REUTERS)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Politik ist ein Abbild der Gesellschaft, jedenfalls in demokratischen Ländern. Nimmt man diesen Satz für bare Münze, muss es um Deutschland schlecht stehen. Ein Haufen wütender, rücksichts- und orientierungsloser Alphamännchen und -weibchen: So präsentieren sich viele Spitzenpolitiker gegenwärtig. Das wäre halbwegs verkraftbar, herrschte ansonsten eitel Sonnenschein. Doch das Gegenteil ist der Fall, man kommt mit dem Krisenzählen ja gar nicht mehr nach. Vorgestern war Pandemie und gestern Energiepreisschock, heute ist Putin, Trump und Atomgefahr. Klima ist sowieso immer, dazu Migration, Inflation und Rezession, nicht zu vergessen die erstarkenden Rechtsextremisten.

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Man würde denken, in so einer Dauerkrisenlage täte ein kühler Kopf gut. Respektvoller Umgang miteinander wäre hilfreich. Weil Probleme ja nicht dadurch kleiner werden, dass man sich lauthals über sie ereifert oder indem man andere Leute anschreit. Genau das aber scheint die Antwort zu sein, die führende Politiker auf die gegenwärtigen Herausforderungen geben wollen. Nicht nur beim Politischen Aschermittwoch, auch im Bundestag, in Talkshows und in den asozialen Medien herrscht mittlerweile ein Ton, der an einen Schweinestall erinnert: Da wird gegrunzt, gegiftet und gebrüllt, als seien die Gegenüber tatsächlich keine Menschen.

Darüber kann man sich ärgern, aber das macht es nicht erträglicher. Also entscheidet man sich dafür, zum Wochenausklang lieber den "Tagesanbruch" zu öffnen, in der Hoffnung, dass er heute ohne Technikprobleme ankommt und ausnahmsweise keine bierernsten Schilderungen der Weltgefahren enthält. Sondern eine heimliche Aufnahme von einem Treffen führender deutscher Politiker, nicht ganz real, aber doch zutreffend.

Und was soll ich Ihnen sagen: Sie haben Glück! Tatsächlich ist uns eine derartige Aufnahme zugespielt worden, sodass wir das Transkript hier wiedergeben können. Nur die Namen der Akteure haben wir getilgt, Datenschutz, Sie wissen schon. Ton ab für den Gipfel der Gehässigkeiten:

Der SPD-Mann: "Echt eine Frechheit, was für einen Schrotthaufen ihr uns hinterlassen habt."

Die Grüne: "Genau, ihr habt's verbockt, aber wir bekommen jetzt die Prügel von den Bürgern."

Der CDU-Mann: "Von wegen! Ihr bekommt Prügel, weil ihr es nicht könnt! Ihr seid Versager!"

Der von der FDP: "Selber doof!"

Der CSU-Mann: "Wisst ihr, was ihr seid, ihr Ampelfuzzis? Schwachköpfe, das seid ihr! Ihr könnt es nicht, ihr müsst weg!"

SPD-Mann: "Die Lage ist wirklich nicht gut. Aber wir könnten ja zusammen versuchen, sie zu verbessern. Dafür sind wir doch heute hier."

Die Grüne: "Wir haben da mal was mitgebracht. Schönes Konzept. Schauen Sie bitte mal auf Seite …"

Der von der FDP: "Mach ich nicht mit."

Die Grüne: "Hä? Du sagst doch selbst immer, dass sich das Land endlich vorwärtsbewegen muss!"

Der von der FDP: "Muss es auch, aber nicht dahin, wohin ihr wollt."

Der SPD-Mann: "Haste einen besseren Vorschlag?"

Der von der FDP: "Nee, aber so wie die Tante da es vorschlägt, geht's definitiv nicht."

Der CDU-Mann: "Hähähä! Da sieht man's wieder, ihr seid totale Oberversager! Nichts kriegt ihr hin, eure Truppe ist eine Schande für Deutschland!"

Die von der AfD: "SIE HASSEN DEUTSCHLAND!"

Die Grüne: "Wer hat die denn reingelassen?"

Der SPD-Mann: "Ich glaube, die ist mit dem von der CDU reingekommen."

Die Grüne: "Wenn die hier mitmachen darf, bin ich raus."

Der von der FDP: "Nix dagegen."

Der SPD-Mann: "Das geht nicht, dann haben wir nachher beim Abstimmen keine Mehrheit."

Der CDU-Mann: "Ja Herrgott noch mal, dann sprechen Sie doch mal ein Machtwort! Sie haben hier doch die Richtlinienkompetenz!"

Die Grüne: "Moment, also, ohne uns kriegt der nichts durchgesetzt, so viel steht fest."

Der von der FDP: "Und ohne mich!"

Der CSU-Mann: "Ihr müsst alle weg, ihr Schwachköpfe! Deutschland muss grünenfreie Zone werden! Und sozifreie Zone!"

Der SPD-Mann: "Und mit wem würden Sie dann regieren, etwa den AfD-Faschisten?"

Der CSU-Mann: "Egal, Hauptsache, ihr seid alle weg!"

Die Grüne: "Puh."

Der CSU-Mann: "Alle weg, weg, weg!"

Der SPD-Mann: "Irgendwie kommen wir hier nicht weiter. Da sind ja sogar die Telefonate mit dem irren Putin einfacher."

Der von der FDP: "Ich will auch was sagen!"

Der SPD-Mann: "Na was denn?"

Der von der FDP: "Ich! Ich! Ich!"

Es klopft.

Der SPD-Mann: "Ja bitte?"

Die Sahra: "Hallihallo, ich bin die Sahra, kann ich hier mitmachen?"

Alle anderen: "AUF KEINEN FALL!"

Die Sahra: "Schade. Na ja, dann mach ich's halt allein. Geht eh nur darum, euch alle lächerlich zu machen."

Die Grüne: "Also das wird mir jetzt zu flach hier, so kommen wir doch zu nichts. Die Bürger müssen ja denken, wir seien total behämmert."

Der CDU-Mann: "Nur IHR seid behämmert! Total bekloppt! Vollversager!"

Der CSU-Mann: "Die müssen alle weg!"

Die von der AfD: "SIE HASSEN DEUTSCHLAND! SIE HASSEN DEUTSCHLAND!"

Die Grüne: "Kann die eigentlich auch in Kleinbuchstaben reden?"

Die von der AfD: "HASS! HASS! HASS!" Pause – "So, ich hab's, prima."

Der SPD-Mann: "Wie, was haben Sie?"

Die von der AfD: "Mein Selfie-Video, Sie Trottel! Noch nie was von TikTok gehört? Das laden wir jetzt hoch und dann sehen alle unsere Fans, wie ich euch hier in Grund und Boden getextet habe. Das gibt viele Klicks, super!"

Der CDU-Mann: "Moment, und was wird aus unserem Versuch, hier mal in Ruhe darüber zu sprechen, wie wir die Probleme im Land lösen?"

Die von der AfD: "Probleme lösen? Sind Sie irre? Darum ging's uns doch noch nie! Klicks brauchen wir und Likes und dann im Herbst ganz viele Stimmen, damit wir den Laden endlich übernehmen können!"

Der SPD-Mann: "Und dann?"

Die von der AfD: "DANN WERDET IHR ALLE EUER BLAUES WUNDER ERLEBEN!"

An dieser Stelle endet die Aufnahme leider, liebe Leserin und lieber Leser. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir ist das ganz recht. Lange hätte ich das Gekeife nicht mehr mitanhören können. Und falls Sie nun denken: Der Harms, dieser Schlingel, da hat er sich mal wieder was ausgedacht, dann haben Sie natürlich recht. Ein Quäntchen Wahrheit mag die Szene jedoch schon enthalten. Wer in politischen Kreisen unterwegs ist (was immer interessant, aber nicht immer ein Vergnügen ist), wird mir wohl zustimmen, dass es um die Debattenkultur hierzulande schon mal besser bestellt war. Vor allem in der Opposition, aber nicht nur dort scheint es normal geworden zu sein, andere Demokraten zu beschimpfen, herabzuwürdigen und als Nichtsnutze hinzustellen.

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Das verbale Gift der Politiker bleibt nicht folgenlos. Es bestätigt unzufriedene Menschen in ihrem Frust, stachelt Aggressivlinge auf und trägt zur allgemeinen Verrohung bei. So kommt es, dass bei Demonstrationen Politikerpuppen an Galgen baumeln, dass Veranstaltungen so lange gestört werden, bis sie abgebrochen werden müssen, und dass der Schwall an Hass und Morddrohungen auf TikTok, X und Telegram zu einer realen Gefahr für die Betroffenen wird.

Wie kommen wir raus aus der Aggressionsspirale? Indem alle verbal abrüsten, und zwar sofort. Das kostet nichts, stärkt den Zusammenhalt der Gesellschaft und vermutlich auch die Bereitschaft, in Krisenzeiten den Gürtel notgedrungen enger zu schnallen, ohne das Wichtigste infrage zu stellen, das wir haben: unsere Freiheit, die Vielfalt der Ansichten und Lebensentwürfe, die Regeln des Rechtsstaats und des gegenseitigen Respekts, die Sicherheit, in einem sozialen, immer noch wohlhabenden und vergleichsweise friedlichen Staat zu leben. Errungenschaften also, auf die frühere Generationen zu Recht stolz waren. Wir sollten es auch sein!


Viel zu besprechen

Mehr als 50 Staats- und Regierungschefs, 60 Außen- und 25 Verteidigungsminister: So viele Staatsvertreter wie nie zuvor treffen sich ab heute im Hotel "Bayerischer Hof" zur 60. Münchner Sicherheitskonferenz. Geschuldet ist der Rekord weniger dem Jubiläum als der angespannten Weltlage – von den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen bis zum dauerdrohenden Donald in Amerika gibt es eine Menge zu besprechen.

Neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Vizepräsidentin Kamala Harris kommt auch Wolodymyr Selenskyj in die bayerische Landeshauptstadt – allerdings erst morgen. Heute stehen zunächst Berlin und Paris auf der Reiseroute des ukrainischen Präsidenten. Mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron will er ein bilaterales Sicherheitsabkommen unterzeichnen, bei dem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz dürfte es ebenfalls darum gehen. Diese Abkommen waren der Ukraine im vergangenen Jahr am Rande des Nato-Gipfels in Vilnius von den G7-Staaten zugesagt worden. Sie sollen dem kriegsgeschundenen Land militärische und zivile Unterstützung garantieren, solange keine Aussicht auf die Aufnahme in die Militärallianz besteht.


Prozess gegen Maddie-Verdächtigen

Wegen fünf schwerer Sexualstraftaten muss sich ab heute der schon einmal wegen Vergewaltigung verurteilte Christian B. vor dem Landgericht Braunschweig verantworten. Dem 47-jährigen gebürtigen Würzburger werden drei Fälle schwerer Vergewaltigung und zwei Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorgeworfen. Die Taten soll er zwischen Ende Dezember 2000 und Juni 2017 in Portugal begangen haben. Weil der Verdächtige seinen letzten Wohnsitz vor dem Auslandsaufenthalt in Braunschweig hatte, findet der Prozess dort statt.

Dass heute sogar Journalisten aus Großbritannien nach Niedersachsen blicken, hat aber einen anderen Grund: Gegen Christian B. wird seit einigen Jahren außerdem wegen Mordverdachts im Fall der vermissten Maddie McCann ermittelt. Das damals dreijährige britische Mädchen war am 3. Mai 2007 aus einer Ferienanlage im portugiesischen Praia da Luz verschwunden. Und auch wenn dieser Fall in Braunschweig nicht verhandelt wird, gibt es doch indirekte Verbindungen, die bei Zeugenanhörungen zu neuen Erkenntnissen führen könnten. Für den Prozess sind 29 Verhandlungstermine angesetzt.


Ohrenschmaus

Es ist wieder so weit: Heute Abend dudelt im ARD-Fernsehen der deutsche Vorentscheid für den Eurovision Song Contest über die Mattscheibe. Kann man mögen oder kann es bleiben lassen. Wer zu Letzterem tendiert, wird vielleicht mit einem seriöseren Titel glücklich.


Lesetipps

Wie würde Putin bei einer Attacke auf Nato-Staaten vorgehen, wie würde ein russischer Angriff ablaufen? Der Tagesanbruch vom Mittwoch hat viele Reaktionen hervorgerufen, wurde aufgrund eines technischen Problems jedoch leider nicht allen Abonnenten zugestellt. Hier können Sie ihn nachlesen.


Donald Trumps Aussagen über die Nato erschüttern die Partner in Europa. Zu Recht, sagt der amerikanische Sicherheitsexperte Joshua Shifrinson. Im Gespräch mit unserem USA-Korrespondenten Bastian Brauns erklärt er, warum das Militärbündnis auf wackeligen Beinen steht.



Manche Historiker vertreten die These, dass alle 70 Jahre ein großer Krieg kommt – weil die Menschheit dessen Schrecken verdrängt. Ist die aktuelle Lage ein Beleg dafür? Unser Kolumnist Christoph Schwennicke liefert Antworten.


Zum Schluss

Worum es in München wirklich geht:

Ich wünsche Ihnen einen sicheren Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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