t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Landtagswahl Brandenburg: Schluss mit taktischen Spielchen


Tagesanbruch
Der Zauber, der zum Schrecken wurde

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 23.09.2024Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
urn:newsml:dpa.com:20090101:240922-911-016336Vergrößern des Bildes
Wenig Grund zu feiern: Annalena Baerbock auf der Wahlparty der Grünen in Brandenburg. (Quelle: Frank Hammerschmidt/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser

jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Erinnern Sie sich noch? Dieser Satz von Hermann Hesse galt einmal als treffende Umschreibung für die Ampel. Damals, als sie vor mehr als drei Jahren die Arbeit aufnahm. Lange her. Heute hat sich der Zauber eher in einen Schrecken verwandelt.

Ampelpartei zu sein, ist inzwischen wahlschädigender Makel. Das hat die Brandenburg-Wahl eindrücklich gezeigt. Die SPD siegte zwar im Kopf-an-Kopf-Rennen gegen die AfD. Doch das ist ausschließlich das Verdienst von Ministerpräsident Dietmar Woidke und seiner Taktik, größtmöglichen Abstand zur Bundes-SPD, zum Kanzler und zur Ampel zu halten. Was für die SPD und Scholz daraus folgen sollte, kommentiert mein Kollege Christoph Schwennicke hier.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Die Grünen dagegen verloren dramatisch, verpassten die Fünfprozenthürde und das ausgerechnet in jenem Landesverband, den die grüne Außenministerin Annalena Baerbock einst selbst anführte. Die FDP ist in Brandenburg wie im übrigen Osten Deutschlands praktisch inexistent. Zu den Verlierern gehört aber auch die CDU: vom erhofften Kanzlerkandidaten-Effekt nichts zu spüren. Gewinner sind neben Woidke erneut die Extremisten und Populisten: Die rechtsextreme AfD holte fast ein Drittel der Stimmen, das BSW kam aus dem Stand auf 13,5 Prozent. Lesen Sie hier die Analyse zur Landtagswahl.

Nach der letzten Landtagswahl ist vor der Bundestagswahl: Eine ehrliche Analyse, was in der Bundespolitik schiefläuft, wäre daher dringend notwendig. Vor allem für die Ampel, aber nicht nur. Doch zu befürchten ist etwas anderes: Nicht mehr nur die FDP wird weiter innerkoalitionäre Opposition spielen und so tun, als habe sie mit der ungeliebten Ampel nichts zu tun, also vorzeitig Wahlkampf auf eigene Rechnung machen.

Auch Grüne und SPD werden nun wohl verstärkt darauf dringen, ihre Positionen durchzuboxen und sich von gefundenen Kompromissen (sofern es noch welche geben sollte) schnell und lautstark wieder distanzieren. Die zurückliegenden Wochen nach den Doppel-Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen waren ein Vorgeschmack. FDP-Chef und Vizekanzler Christian Lindner beschwor einen "Herbst der Entscheidungen" – in bewusster Anspielung auf den Sturz von Helmut Schmidt durch die FDP vor mehr als 40 Jahren.

Ein Ende der Kakophonie ist nicht in Sicht, ebenso wenig wie beherztes Regieren. Zur Freude von AfD und BSW, die davon profitieren. Dabei drängt die Zeit, die taktischen Spielchen müssen endlich enden. Wer ein weiteres Erstarken der Populisten und Extremisten verhindern will, der sollte schleunigst ein paar Lehren aus den Wahlergebnissen ziehen.

  • Weniger verteufeln, mehr zuhören

Die AfD, daran sollte niemand zweifeln, ist eine ernst zu nehmende Gefahr für die Demokratie. Aber das hält in vielen ostdeutschen Bundesländern ein Viertel bis ein Drittel der Bürger, bundesweit zwischen 15 und 20 Prozent, nicht davon ab, sie zu wählen. Natürlich sind das nicht alles Nazis. Wer sie pauschal als solche abstempelt, darf sich nicht wundern, wenn sie sich erst recht der AfD zuwenden. Sie zu verteufeln, stärkt die Partei nur. Das haben die vier Wahlen in diesem Jahr bewiesen.

Zuhören, Ängste und Sorgen ernst nehmen, sie nicht als übertrieben und nur eingebildet abstempeln wäre dagegen ein guter Anfang. Das gilt für Politiker, Medien wie auch alle anderen da draußen im Netz und im direkten Gespräch.

Irreguläre Migration ist zwar vermutlich nicht das größte Problem, das Deutschland aktuell hat – wenn man sich einstürzende Brücken, wirtschaftliche Stagnation oder die Wohnungsnot anschaut. Aber wer Angst hat, beim nächsten Stadtfest erstochen zu werden, dem wird diese Angst nicht genommen, indem man an die Tausenden Feste im Jahr erinnert, bei denen es keine Toten gibt. Rationalität nimmt selten Angst. Probleme totschweigen, auch nicht. In manchen Gegenden nimmt die Gewaltkriminalität zu. Das muss benannt, dafür müssen Lösungen gefunden werden.

Doch nur an den Symptomen anzusetzen, also mit Repression, springt zu kurz. Auch die Ursachen müssen angepackt werden, mit effektiver Prävention. Die wird zwar gerne gefordert, aber selten konsequent umgesetzt. Dauert halt länger, ist dafür aber nachhaltiger.

  • Weniger Populismus, mehr Ehrlichkeit

Wer Angst hat, der ist für einfache Antworten empfänglich. Der möchte nicht hören, was nicht, sondern was geht. Das ist verständlich. Doch einfache Lösungen helfen selten. Tief drinnen wissen das auch die meisten. Umso wichtiger ist es, ihnen zu zeigen, warum die einfachen Antworten der AfD ins Leere laufen und wie die Partei mit kalkulierten Tabubrüchen keine Lösungen bieten, sondern weitere Ängste schüren will. Und wie menschenverachtend sie hetzt und diskriminiert, so wie das meine Kollegin Annika Leister regelmäßig entlarvt.

Auch die Politik sollte konkreter auf die Inhalte der Partei zielen, aufzeigen, welche Folgen die Forderungen der Partei haben. Mehr Ehrlichkeit wäre ebenfalls hilfreich, zugeben, dass es in manchen Fällen keine einfachen, schnellen Lösungen gibt, wie es sich viele etwa in der Migrationspolitik wünschen.

Wer sich aber in einen populistischen Wettbewerb mit der AfD begibt, wie der CDU-Vize Jens Spahn gar den Einsatz von Gewalt an den Grenzen fordert oder wie Friedrich Merz Ultimaten stellt, statt ernsthaft an Lösungen mitzuarbeiten, der muss sich nicht wundern, wenn der Wähler an der Urne das Original der Kopie vorzieht.

  • Weniger Profilierung, mehr Gestaltungswillen

Die Parteienlandschaft in Deutschland ändert sich gerade. Sie wird kleinteiliger. Die Ampel ist die erste Dreierkoalition der Bundesrepublik seit Jahrzehnten (nur in den Anfangsjahren der Konrad-Adenauer-Zeit gab es zwei). Sie ist zwar eine "Übergangsregierung", wie Grünen-Chef Omid Nouripour zu Recht sagt, denn über den September 2025 hinaus hat sie keine Zukunft mehr. Doch angesichts der Schwäche der Volksparteien sollte niemand glauben, dass sie auch die letzte Dreierkoalition war.

Nachfolgende sollten aus den Fehlern der Ampel daher lernen. Es hätte nicht so kommen müssen. Am Anfang gab es tatsächlich die Chance eines Neuanfangs: Drei ungleiche Partner hatten sich über Wochen diszipliniert und kompromissbereit auf einen vielversprechenden Koalitionsvertrag geeinigt. Das Land sehnte sich nach 16 Jahren Merkel nach Veränderung, nach Aufbruch, die Ampel versprach genau das, wollte "mehr Fortschritt wagen". Und anfangs lieferte sie auch.

Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Trotz wahnwitziger Krisen – den Ausläufern der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – gelang ihr vieles. Sie wendete die drohende Energiekrise ab, ebenso wie den prognostizierten Wutherbst und sie rief eine "Zeitenwende" aus. Ihr Krisenmanagement konnte sich sehen lassen.

Doch nach knapp einem Jahr wich dem gemeinsamen Gestaltungswillen die Profilierungssucht. Statt wie zuvor Konflikte hinter verschlossenen Türen auszuräumen, wurde gestichelt, durchgestochen und öffentlich gestritten. Dazu ein Kanzler, der mehr als salomonischer Moderator denn als taktgebender Dirigent agierte.

Heute fühlen sich diese Streitjahre fast schon so bleiern an wie die letzten Merkel- Jahre. Für das Erstarken der Populisten ist daher auch die Ampel mitverantwortlich – und ihre Unfähigkeit, den Zauber des Anfangs zu bewahren.


Mal kurz die Welt retten

Wer den Kanzler gestern bei der Wahl in Brandenburg suchte – er lebt immerhin in Potsdam – der fand ihn bei den Vereinten Nationen in New York. In Brandenburg mag es vielleicht um seine politische Zukunft gegangen sein, in New York ging es um nicht weniger als die Zukunft der Weltgemeinschaft. Und Olaf Scholz war an vorderster Front dabei. Gemeinsam mit Namibia hat Deutschland den Entwurf für ein Reformpaket für die UN erarbeitet. Der "Pakt für die Zukunft" ist angesichts der vielen Krisen und Kriege notwendiger denn je.

Größte Hürde: Alle 193 Staaten sollten sich auf ihn verständigen. Sie wurde nicht genommen. Russland stellte sich quer, stimmte mit wenigen weiteren Ländern wie Belarus, Nicaragua, Nordkorea und Syrien gegen die Annahme. Die UN nahmen den Pakt trotzdem an. Worum es darin geht, lesen sie hier.


Was steht an?

Teures Deutschlandticket: Ab 1. Januar soll der Preis für das 49-Euro-Ticket steigen; das hatten die Verkehrsminister der Länder im Juli beschlossen. Allerdings sagen schon jetzt ein Drittel derjenigen, die es bislang mindestens zeitweise abonniert haben oder sich prinzipiell dafür interessieren, sie würden das Abo kündigen oder kein Ticket kaufen, wenn es teurer wird. Wie viel es künftig kosten soll, darüber beraten heute die Verkehrsminister der Länder.

Schwächelnde Autobranche: Seit Längerem mehren sich die schlechten Nachrichten in der für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Autoindustrie. Die Absatzzahlen im E-Automarkt brechen ein, VW kündigt die Beschäftigungssicherung mit den Gewerkschaften, und Mercedes-Benz senkt seine Gewinnprognosen. Wirtschaftsminister Robert Habeck lädt Vertreter der größten deutschen Automobilhersteller und -zulieferer, den Branchenverband VDA und die Gewerkschaft IG Metall, daher zu einem Auto-Gipfel ein.


Das historische Bild

Der Deutsche Fußballbund machte es Frauen im Fußball lange Zeit schwer. Mehr lesen Sie hier.


Lesetipps

AfD im Höhenflug: Wer rechtsextremistischen AfD-Landesverbänden seine Stimme gibt, versündigt sich an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Brandenburger Wahlergebnis ist ein Skandal, findet mein Kollege Florian Harms.

Die große Comeback-Story: Robert Habeck will die Grünen als Kanzlerkandidat wieder in die Regierung führen. Nur wie soll ausgerechnet der Mann mit dem Heizungsgesetz das schaffen? Reporter Johannes Bebermeier über Habecks Plan, der viel mit Jürgen Klopp und Angela Merkel zu tun hat.

Konflikt im Schatten: Immer wieder kommt es zu gefährlichen Auseinandersetzungen zwischen China und den Philippinen im Südchinesischen Meer. Der Konflikt könnte für die Welt ähnlich gefährlich werden wie der um Taiwan, schreibt Auslandsreporter Patrick Diekmann.


Ohrenschmaus

Wie die Zeit vergeht: Der Boss wird 75 Jahre alt. Welcher Boss? Es gibt nur einen. Einen seiner ganz besonderen Songs für einen ganz besonderen Fan.


Zum Schluss

Manche sind beratungsresistent.


Ich wünsche Ihnen einen zauberhaften Wochenanfang. Morgen schreibt Ihnen wieder Florian Harms.

Herzliche Grüße

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren.

Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website