Ex-FSB-Spitzel packt aus: So arbeitet die russische Stasi
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Michail Sokolow hat jahrelang Freunde und zuletzt den Oppositionellen Alexej Nawalny ausgehorcht. Jetzt hat er sich in den Westen abgesetzt.
Michail Sokolow war 19, als der russische Geheimdienst FSB ihn als inoffiziellen Mitarbeiter rekrutierte, auf einer Polizeistation in seiner Heimatstadt Wotkinsk 1.300 Kilometer ΓΆstlich von Moskau. Dort hatte sich Sokolow mit YouTube-Videos schon einen Namen gemacht β als lokaler Aktivist gegen Korruption. "Ich hatte groΓe Angst vor den SicherheitsbehΓΆrden und war nicht bereit, ins GefΓ€ngnis zu gehen", berichtet Sokolow jetzt, sechs Jahre spΓ€ter, dem britischen "Guardian".
Unter dem Vorwand, er habe sich dem Wehrdienst entzogen, habe ihm der Geheimdienst zwei Jahre Haft angedroht. Unter diesem Druck habe er sich bereit erklΓ€rt, den FSB ΓΌber oppositionelle AktivitΓ€ten und geplante Demonstration in der 100.000-Einwohner-Stadt Wotkinsk zu unterrichten, berichtet Sokolow. Ein- bis zweimal im Monat habe er von nun an seine FΓΌhrungsoffiziere getroffen, meist auf irgendeinem abgelegenen Parkplatz. "Sie haben mich immer wie einen Freund behandelt und ich habe zurΓΌckgelΓ€chelt", sagt er. "Aber eigentlich dachte ich nur: Ihr Typen seid Wichser."
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Sokolow spionierte auch Alexej Nawalny aus
HΓ€ufig hΓ€tten die FSB-Offiziere von ihm auch kompromittierendes Material ΓΌber Beamte oder GeschΓ€ftsleute verlangt, um diese erpressen zu kΓΆnnen, sagt Sokolow. Manchmal habe er sich auch als Doppelagent betΓ€tigt, um befreundete Aktivisten vor einer drohenden Verfolgung zu warnen: "Dann habe ich ihnen gesagt, dass die SicherheitsbehΓΆrden sich fΓΌr sie interessieren und sie vorsichtig sein sollen", behauptet Sokolow, der inzwischen in den Niederlanden lebt.
Der "Guardian" rΓ€umt ein, dass sich nicht alle Details aus Sokolows Bericht bestΓ€tigen lieΓen. Der 25-JΓ€hrige habe der Redaktion aber ChatverlΓ€ufe mit seinen FSB-Offizieren gezeigt. AuΓerdem hΓ€tten zwei Mitarbeiter des inhaftierten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny bestΓ€tigt, dass Sokolow sich bei ihnen gemeldet und die Spitzelei fΓΌr den FSB gestanden habe. Als Freiwilliger arbeitete Sokolow von 2017 bis 2021 fΓΌr Nawalny, bevor er einen bezahlten Job als Ermittler in dessen Organisation gegen Korruption erhielt. "Der FSB wollte wissen, wo Nawalnys Mittel herkommen, wer fΓΌr alles bezahlte", erinnert sich Sokolow.
Sokolow wollte fΓΌr die Ukraine kΓ€mpfen
Unklar ist, welche Rolle Sokolows Informationen bei der Verfolgung Nawalnys und dessen Organisation Anfang 2021 spielten. Sokolow glaubt: keine groΓe. "Ich hatte gar keinen Zugang zu wichtigen Dokumenten, ich wusste nicht einmal, wie viel meine Chefs eigentlich verdienten." Das bestΓ€tigte dem "Guardian" ein damaliger Kollege Sokolows. "Meinetwegen ist kein einziger Strafprozess gegen ihn in Gang gekommen", sagt er selbst. Seine Chance zur Flucht aus Russland sah Sokolow, nachdem Nawalnys Organisation Mitte 2021 zerschlagen war.
Wie er es schildert, sah der FSB in diesem Moment keine Verwendung mehr fΓΌr ihn in Russland und schickte ihn stattdessen in die georgische Hauptstadt Tiflis, um dort die Exil-Opposition auszukundschaften. Nach dem Γberfall auf die Ukraine am 24. Februar habe er dort aber die Verbindungen zum FSB gekappt und sich der Free Russia Foundation angeschlossen, die im georgischen Exil Proteste gegen das Putin-Regime organisierte. "Ich dachte schon vor dem Einmarsch, dass ich nicht gerade eine gute Person bin, aber danach fΓΌhlte ich mich nur noch elend", sagt Sokolow dem "Guardian".
Zusammen mit einem Freund sei er zunΓ€chst nach Istanbul gegangen, um sich der ukrainischen Armee anzuschlieΓen. Diese hΓ€tte sich aber geweigert, russische StaatsbΓΌrger in die internationale Legion aufzunehmen. "Ich wollte in diesem beschissenen Krieg gegen Russland kΓ€mpfen, vielleicht weil ich mich wegen der FSB-Geschichte schuldig fΓΌhle", sagt Sokolow. Als die Situation in Georgien fΓΌr Oppositionelle wie ihn zu gefΓ€hrlich wurde, sei er in die Niederlande gereist, um politisches Asyl zu beantragen. "Wegen dieses schrecklichen Krieges werden wir noch mehr Geschichten wie meine hΓΆren."
- theguardian.com: "'There were hundreds of us': Navalny ex-staffer tells of being FSB informer" (englisch; Stand: 26. August 2022)