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Ukraine-Krieg: Wladimir Putins Verzweiflung wächst


Massive Verluste
Putins Verzweiflung wächst

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 24.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident kämpft im Ukraine-Krieg mit zahlreichen Problemen.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident kämpft im Ukraine-Krieg mit zahlreichen Problemen. (Quelle: IMAGO/Sergei Guneyev/imago images)

In der Ukraine tobt ein blutiger Abnutzungskrieg, mit massiven Verlusten auch für Russland. Wie lange kann Putin den Konflikt noch weiterführen? Ein Überblick.

Er kämpfte in der Ukraine, doch nun soll er von einem Erschießungskommando hingerichtet werden. Viktor Sewalnew verbüßte laut Angaben der Menschenrechtsorganisation "Gulagu" in Russland eine vierjährige Haftstrafe wegen Körperverletzungen und meldete sich dann offenbar freiwillig für die Front in der Ukraine. Nachdem er mit anderen Häftlingen einer Einheit der selbsternannten Volksrepublik Luhansk zugeteilt und dann bei Kämpfen im Donbass angeblich mehrfach verletzt wurde, soll er laut "Gulagu" mit seiner Einheit von der Front geflohen sein. Daraufhin habe sich die Frau des 43-Jährigen bei der Menschenrechtsorganisation gemeldet.

Ihr Mann soll von der russischen Armee aus einem Krankenhaus abgeholt worden sein. Sewalnew drohe nun ein Todesurteil durch Erschießen.

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Ob die Geschichte des russischen Häftlings wirklich authentisch ist, kann schwer überprüft werden. Beide Seiten nutzen Desinformation als eine zentrale Waffe im Ukraine-Krieg. Fest steht: Derartige Berichte aus dem Donbass sind kein Einzelfall. Es häufen sich abgehörte Telefonate und Berichte russischer Soldaten, die vor allem eines nahelegen: Der Blutzoll der russischen Armee, um die Front im Osten der Ukraine halten zu können, ist groß.

Putins Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung

Aber ist damit auch ein Rückzug Russlands oder gar eine russische Niederlage wahrscheinlicher? Das ist bisher Wunschdenken im westlichen Bündnis, aber bislang hat sich der Kreml und insbesondere der russische Präsident Wladimir Putin von seinen Kriegszielen nicht verabschiedet. Im Gegenteil: Seine Taktik scheint darauf zu zielen, den Durchhaltewillen der Ukraine und ihrer westlichen Unterstützer zu brechen.

Aufgrund der aktuellen militärischen Unterlegenheit der russischen Armee lässt Putin die Infrastruktur der Ukraine beschießen. So schoss Russland am Mittwoch etwa 70 Raketen auf die Ukraine ab. Zwar hat die Ukraine laut Luftwaffenangaben 51 Raketen und fünf Drohnen abgefangen. Doch die übrigen Geschosse töteten zehn Menschen und richteten einmal mehr schwere Schäden am Stromnetz an.

Die Kernkraftwerke des Landes wurden abgeschaltet, die meisten Wärme- und Wasserkraftwerke fielen aus, wie das Energieministerium mitteilte. Es kam zu großflächigen Blackouts. Die Ukraine erlebt derzeit dunkle und kalte Nächte.

Putins Kriegsverbrechen sind allerdings eher als Verzweiflungstaten zu werten. "Die Besatzer tun alles, damit Menschen leiden, damit wir einander nicht einmal fühlen oder sehen", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierte am Mittwoch Putins erbarmungsloses Vorgehen. "Ein Krieg, den er auf dem Schlachtfeld gar nicht mehr gewinnen kann, so viel scheint klar", so der Kanzler.

In der Tat kämpft die russische Führung momentan mit mehreren Problemen:

  • Hohe Verluste an Soldaten, Gerät und Munition.
  • Zunehmende Kriegsmüdigkeit in Russland.
  • Schwindende Moral der eigenen Soldaten wegen militärischer Misserfolge.
  • Zunehmende internationale Isolation, wie sie auf dem G20-Gipfel in Bali deutlich wurde.

Unterstützung der Ukraine stärker, als der Kreml dachte

Die Ukraine erlebt aktuell den Abnutzungskrieg, den viele Militärexpertinnen und -experten bereits im Frühsommer befürchtet hatten. Die Frontverläufe verändern sich nur minimal, beide Seiten erleiden hohe Verluste. Die Folge: Am Ende wird wohl die Partei den Krieg gewinnen, die mehr Ressourcen aufbringen kann.

Und eben dabei sieht es düster für Putin aus. Die Ukraine wird weiter von einer größtenteils geeinten westlichen Front unterstützt. Allein die USA stellten am Mittwoch erneut 400 Millionen US-Dollar für militärische Unterstützung bereit. Für Kiew ist die westliche Unterstützung überlebenswichtig und zum Ärger des Kreml-Chefs scheint diese Front bislang nicht wirklich zu bröckeln.

Mit dem Raketenterror gegen die Ukraine zielt Russland vor allem auch auf die westliche Solidarität. Im Angesicht des Leids der Zivilbevölkerung und einer neuen drohenden Flüchtlingswelle nach Europa sollen Washington, Berlin und Paris die ukrainische Führung zu Zugeständnissen bewegen.

Doch dieser Plan geht nicht auf. Putin, der schon die militärische Stärke der Ukraine sträflich unterschätzt hat, begeht den gleichen Fehler wieder: Er unterschätzt die Wehrhaftigkeit der ukrainischen Zivilbevölkerung und die Widerstandsfähigkeit der westlichen Gesellschaften. Der Kreml-Chef erhoffte sich höchstwahrscheinlich Revolten der Menschen in der Ukraine aufgrund der Blackouts, massive Proteste in Europa aufgrund der Energiepreise und eine Quittung für US-Präsident Joe Biden bei den Zwischenwahlen in den Vereinigten Staaten.

Doch all das blieb aus. Putin scheint sich erneut verrechnet zu haben.

Putins Terrorstrategie in Gefahr

Darüber hinaus ist die psychologische Komponente momentan auf der Seite der Ukraine. Im Herbst konnte sie eine erfolgreiche Gegenoffensive im Nordosten und im Süden starten. Sie zwang Russland zum Rückzug aus der strategisch-wichtigen Stadt Cherson. Seit Monaten sind die russischen Truppen in der Defensive, begleitet von ständigen Nachrichten über Misserfolge und Rückschläge.

In diesem Krieg könnte das Durchhaltevermögen der entscheidende Faktor werden. Die Menschen in der Ukraine glauben an ihren Sieg, sie sind in der Offensive und motiviert, ihr Land zu verteidigen. Sie haben Resilienz entwickelt, und mit der ist es wahrscheinlich, dass sie, die ohnehin harte Winter gewöhnt sind, auch diese Kälteperiode überstehen – notfalls ohne Strom.

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Dagegen könnte die Kriegsmüdigkeit in Russland für Putin zu einem immer größeren Problem werden. Laut Angaben des US-Verteidigungsministeriums wurden mittlerweile geschätzt mindestens 85.000 russische Soldaten in der Ukraine getötet oder durch Verletzungen kampfunfähig. Zwar sind die Verluste auf ukrainischer Seite wahrscheinlich viel höher, aber die Verteidiger können mittlerweile auf viele Freiwillige zurückgreifen, die in den vergangenen Monaten ausgebildet wurden.

Die russische Armee hat wahrscheinlich außerdem Materialprobleme. Niemand weiß wirklich, wie viel Ausrüstung und Waffen Russland noch in seinen Arsenalen hat. Doch auf dem Gefechtsfeld ist Experten zufolge zu beobachten, dass es den russischen Truppen vor allem an Mikrochips und Halbleiter für moderne Lenkwaffen fehlt. Die Ukraine geht davon aus, dass Russland schon mehr als 87 Prozent seiner Iskander-Raketen verschossen hat und nun auf umfunktionierte S-300-Geschosse zurückgreifen muss. Die USA sehen dagegen "erhebliche Engpässe" bei der russischen Artillerie-Munition.

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Das bedeutet: Materialengpässe könnten die Terrorstrategie Putins gefährden, sofern Russland nicht Nachschub aus dem Iran oder aus Nordkorea bekommen würde. Teheran stellte Lieferungen von Raketen bereits in Aussicht.

Wie geht es weiter?

Im Winter sind zumindest keine großen Entscheidungen auf dem Schlachtfeld zu erwarten. Russland verlegte zwar viele der Truppen aus Cherson in den Donbass. Bislang konnten russische Offensiven dort aber von der Ukraine weitgehend erfolgreich abgewehrt werden. Die ukrainische Armee steht im Süden nun allerdings vor dem Dnipro, einem großen natürlichen Hindernis für die Fortsetzung der Gegenoffensive.

Zu erwarten sind erbitterte Artilleriegefechte mit dem beschränktem Einsatz von Panzern, weil diese außerhalb von Straßen im ukrainischen Matsch in dieser Jahreszeit versinken. Militärisch sind die Möglichkeiten deshalb bis zum Frühjahr beschränkter.

Die Kämpfe um das Durchhaltevermögen könnten nun erst richtig beginnen. Die US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" rechnet damit, dass der Kreml mit einer Operation unter falscher Flagge einen ukrainischen Angriff auf Südrussland inszenieren könnte. Putins Ziel dabei könnte es laut der Analyse sein, die Kriegsmoral in Russland wieder zu stärken, indem er vorgibt, angegriffen worden zu sein, und die Verteidigung des Landes beschwört. Doch Anzeichen dafür gibt es bisher nicht.

In jedem Fall muss der russische Präsident zwischen kriegsmüden und nationalistischen Kräften in seinem Land vermitteln. Ein Drahtseilakt.

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