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Ukraine-Krieg: Carlo Masala zum zweiten Jahrestag des Angriffskriegs


Jahrestag des Ukraine-Kriegs
"Fraglich, wie lange Russland das durchhält"

InterviewVon Simon Cleven

23.02.2024Lesedauer: 6 Min.
Interview
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UKRAINE-CRISIS/AVDIIVKAVergrößern des Bildes
Schlacht um Awdijiwka: Ukrainische Soldaten feuern mit einem Granatwerfer auf russische Stellungen (Archivbild). (Quelle: RFE/RL/SERHII NUZHNENKO/reuters)

Seit gut zwei Jahren verteidigt sich die Ukraine gegen die russische Invasion. Militärexperte Carlo Masala erklärt im t-online-Interview, wo die Lage besonders kritisch ist und warum es Zweifel an Russlands Durchhaltevermögen gibt.

Am 24. Februar 2022 gab Wladimir Putin den Befehl zur Invasion in die Ukraine. Seitdem wehren sich die ukrainischen Streitkräfte in blutigen Schlachten gegen die russischen Angreifer. Gräueltaten der Kremltruppen in Orten wie Butscha, Isjum und Mariupol haben sich genauso in das kollektive Gedächtnis der Ukrainer eingebrannt wie anhaltende Angriffe auf die zivile Infrastruktur oder die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland.

Seit knapp zwei Jahren wütet der Krieg und ein Ende ist nicht in Sicht. "Russland stellt sich definitiv auf einen langen Krieg ein", sagt Militärexperte Carlo Masala im Interview mit t-online. Wie lange Russland angesichts einer schwierigen Wirtschaftslage durchhalten kann, ist seiner Ansicht nach jedoch fraglich. Zudem zeichnet er Szenarien auf, wie die Unterstützung Chinas, dem größten Verbündeten Wladimir Putins, bröckeln könnte.

t-online: Herr Masala, am 24. Februar jährt sich die russische Invasion in die Ukraine zum zweiten Mal. Im Westen macht sich angesichts der komplexen Lage des Krieges Ernüchterung breit. Wie blicken Sie aktuell auf den Krieg?

Carlo Masala: Die Ukraine geht schweren Zeiten entgegen. Im Donbass musste man bereits Städte wie Bachmut und Awdijiwka aufgeben, die sehr lang erfolgreich verteidigt wurden. Die entscheidende Frage ist nun: Ist die Ukraine in der Lage, nicht mehr allzu viel Territorium im Donbass zu verlieren?

Und wie lautet die Antwort?

Das lässt sich kaum voraussagen. Denn es ist eine hochdynamische Situation. Die Lage im Osten ist zumindest kritisch. Und das könnte bis nach dem Sommer anhalten. Abseits davon gelingen der Ukraine aber Erfolge: Im Schwarzen Meer hat man es geschafft, Russland die Kontrolle zu entreißen. Die russische Luftwaffe gerät zunehmend unter Druck. Anschläge auf kritische Infrastruktur in Russland nehmen zu. Auch das bindet Kräfte der russischen Streitkräfte.

Die Ukraine steckt in einem blutigen Abnutzungskrieg. Die Schlacht um Awdijiwka hat das bestätigt. Kann die Ukraine einen solchen Krieg überhaupt gewinnen?

Natürlich kann sie diesen Abnutzungskrieg gewinnen. Awdijiwka zeigt das anschaulich: Bis vor Kurzem verteidigte die ukrainische Armee die Stadt noch sehr erfolgreich. Am Ende gab sie die Stadt nicht etwa auf, weil Massen an russischen Soldaten drohten, sie zu überrollen. Sie gab Awdijiwka auf, weil die Munition fehlte, um den Russen möglichst viele Verluste zuzufügen. Das war die Strategie der Ukrainer in der Stadt.

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(Quelle: IMAGO/M. Popow/imago-images-bilder)

Zur Person

Carlo Masala (55) ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Zudem leitet der Politologe das Metis Institut für Strategie und Vorausschau der Hochschule. Masala diskutiert regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik.

Dabei steht vor allem der Westen in der Bringschuld: Bislang haben die EU und die USA viel weniger geliefert als zugesagt. Liegt das Schicksal der Ukraine nur in der Hand der Verbündeten?

Das ist mir zu apodiktisch. Aber eines stimmt: Es liegt in der Hand der Alliierten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Ukraine gewinnen kann.

Welche Voraussetzungen sind das?

Vor allem geht es um Waffenlieferungen. Die Ukraine braucht Munition, Ersatzteile und Artilleriesysteme. Das können und sollten wir liefern. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass die Ukraine taktische Fehler macht – selbst wenn sie alles an Material haben sollte, was sie braucht. Wir im Westen können aber die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Ukraine militärisch erfolgreich ist. Dann muss die Ukraine noch ihre innenpolitischen Hindernisse beiseiteräumen.

Wo sehen Sie die dringendsten Probleme?

Die Ukraine muss vor allem ihre Mobilisierungsfrage klären. Der ehemalige Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, hat 500.000 Mann gefordert. Präsident Wolodymyr Selenskyj scheut sich aber davor, die nötige Mobilisierungswelle einzuberufen. Woran das liegt, ist nicht ganz klar. Vermutlich hat das mit der Stimmung innerhalb der Ukraine zu tun. Das ist zwar eine sehr widerstandsfähige Gesellschaft – doch angesichts hoher Verluste gibt es einen wachsenden Teil in der Bevölkerung, der nicht in den Krieg will.

Video | Ukrainische Soldaten mit düsterem Front-Bericht
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Quelle: t-online

Könnte sich das letztlich als entscheidender Faktor erweisen, wichtiger noch als Waffen- und Munitionslieferungen der Verbündeten?

Natürlich. Wenn die Gesellschaft keine Motivation mehr hat, den Krieg weiterzuführen, dann wird es unmöglich, ihn fortzusetzen. Darüber sollten wir uns als Verbündete jetzt jedoch keine Gedanken machen. Sollte es eines Tages so sein, dann haben wir das zu akzeptieren. Solange die Ukrainer aber weiterkämpfen wollen, müssen wir ihnen das geben, was sie dafür brauchen: Waffensysteme und Munition.

In Europa blickt man bereits nervös auf die US-Präsidentschaftswahlen im November. Zieht Trump erneut ins Weiße Haus ein, könnte das die Unterstützung für die Ukraine auf die Probe stellen.

Es bleibt abzuwarten, wer Trump dann sicherheitspolitisch berät. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass die Ukraine-Hilfe dann eingestellt wird, seine Wählerschaft ist ja dagegen. Für uns in Europa bedeutet das: Die Lage wird unberechenbarer.

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Die Ukraine wäre dann allein von Europa abhängig. Könnten die Europäer das bewältigen?

Rein finanziell könnten sie das definitiv. Das reicht aber nicht. Entscheidend ist nicht das finanzielle Volumen von Waffenlieferungen, sondern ihr Inhalt. Ein Beispiel: Die USA scheinen jetzt weitreichende ATACMS-Raketen liefern zu wollen. In dem Bereich hat Europa nicht viel zu bieten.

Schauen wir uns die andere Seite an: Wie lange kann Russland den Krieg noch fortführen?

Das weiß kein Mensch. Russland stellt sich definitiv auf einen langen Krieg ein. Mittlerweile gibt der Kreml 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aus. Die entscheidende Frage ist daher: Wie lange kann Russland das noch aufrechterhalten, ohne dass der Lebensstandard der Bevölkerung flächendeckend dramatisch sinkt? Und da gibt es bereits erste Anzeichen für eine Negativentwicklung.

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Zum Beispiel?

Die Versorgungslage ist schon jetzt problematisch. Schauen Sie sich die immens gestiegenen Preise für Eier an. Die sind im vergangenen Jahr teils um mehr als 60 Prozent angestiegen. Auch der Handel mit dem Ausland ist betroffen, siehe Gazprom. Der Staatskonzern exportiert so wenig Gas wie zuletzt in den 1980er-Jahren und spült so deutlich weniger Geld in die Kremlkassen.

Haben daran auch die westlichen Sanktionen ihren Anteil?

Auch, aber eher weniger. Man muss leider feststellen, dass die Sanktionen große Schlupflöcher haben, die nicht geschlossen werden. Allerdings wissen wir aus der historischen Rückschau: Die Umstellung auf Kriegswirtschaft gibt einer Volkswirtschaft zunächst einmal einen Schub. Das haben auch die Russen erlebt. Es bleibt aber fraglich, wie lange Russland das durchhält.

Auch politisch ist Russland nicht so tief gefallen, wie es zu Beginn des Krieges schien. Mit China hat das Land einen gewichtigen Verbündeten. Bleibt Peking an der Seite Moskaus?

So sieht es derzeit zumindest aus. China profitiert von dem Krieg. Er bindet die USA stark, weshalb Washington in Asien nicht so präsent sein kann. Wenn aber die chinesischen Interessen durch den Krieg berührt werden, dann könnte auch Pekings Unterstützung für Russland schwinden.

Von welchem Szenario sprechen Sie?

Etwa, wenn sich die Kriegsfolgen auf die Weltwirtschaft niederschlagen. Das ist bisher aber nur im geringen Ausmaß der Fall. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Nachweise publik werden, die belegen, dass Nordkoreas Waffenlieferungen an Russland mit China abgestimmt sind. Dann könnte China von der EU und den USA mit Drittstaatensanktionen belegt werden. Außerdem wäre es für die Chinesen problematisch, wenn sich die Nuklearfrage erneut stellen würde. China ist dezidiert gegen einen Einsatz von Nuklearwaffen in der Ukraine. Staatspräsident Xi Jinping soll Putin bereits persönlich davor gewarnt haben.

Für die Ukraine ist all das eine schwierige Gemengelage. Welche Strategie sollte das Land nun Ihrer Ansicht nach fahren?

Ich denke, dass die von Selenskyj ausgerufene "aktive Verteidigung" der richtige Weg ist. Die Ukraine muss Zeit überbrücken, bis ihr die Grundlagen zur Kriegsführung, also Waffen und ausreichend Munition, wieder zur Verfügung stehen. Sich verteidigen, die Russen im Donbass stören, mit gezielten Aktionen die russische Logistik zerstören und weiterhin die Krim angreifen – das steht jetzt wohl auf dem Fahrplan der Ukrainer.

Kann die Ukraine das mit ihren Möglichkeiten erfolgreich umsetzen?

Das bleibt abzuwarten. Im Osten sieht es momentan kritisch aus. Wenn Europa und die USA mehr liefern, gestaltet sich die Lage wieder anders. Wenn nicht, wird die Ukraine weitere Städte im Donbass verlieren. Und dann ist der komplette Zusammenbruch der Front im Donbass denkbar.

Herr Masala, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Carlo Masala
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