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Ukraine-Krieg: Russland macht Druck – kritische Lage in Pokrowsk


Offensive hat begonnen
"Die Russen wollen eben keinen Waffenstillstand"


23.05.2025 - 09:06 UhrLesedauer: 4 Min.
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Russischer Artillerist feuert in Richtung ukrainischer Stellungen: "Der Druck auf Putin reicht noch nicht aus." (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov)
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Die Friedensgespräche für die Ukraine bleiben ergebnislos. Auf dem Schlachtfeld machen die Russen derweil Druck. Besonders kritisch ist die Lage bei Pokrowsk.

Auf der internationalen Bühne tut Kremlchef Putin so, als würde er über einen Waffenstillstand verhandeln. Doch auf den Schlachtfeldern in der Ukraine greifen seine Truppen unvermindert an – unter hohen Verlusten, aber nicht ohne Geländegewinne. Vor allem bei der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk in der Region Donezk wird die Lage für die ukrainischen Verteidiger offenbar immer verzweifelter.

Seit Mitte Juli vergangenen Jahres konzentrieren die Russen ihre Angriffe auf die Bergbaustadt mit früher einmal 53.000 Einwohnern. Und die Verteidiger versuchen mit allen Mitteln, die Stadt zu halten. Denn in Pokrowsk laufen mehrere Straßen und Bahnlinien zusammen, die für die Versorgung der ukrainischen Truppen in der Region von großer Bedeutung sind. Für den Kriegsherrn Putin wäre die Einnahme von Pokrowsk ein wichtiger Schritt zur Einnahme von ganz Donezk – einem erklärten Kriegsziel.

Video | Explosion: Russland trifft ein ukrainisches Trainingslager
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Quelle: t-online

Angriff der Ukrainer bei Pokrowsk endet fatal

Nun geraten die Ukrainer bei den Kämpfen um die Stadt offenbar immer mehr in die Defensive. "In der Region Donezk sind die Kämpfe derzeit am heftigsten, besonders bei Pokrowsk", bestätigte am Donnerstag auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Berichten zufolge sollen die Russen dort stellenweise schon die vierte und damit letzte Verteidigungslinie der Ukrainer erreicht haben.

Ein Gegenangriff der Ukrainer mit mehreren Panzerfahrzeugen in der nordöstlich gelegenen Nachbarstadt Torezk scheiterte kürzlich an heftigen russischen Drohnenangriffen, wie Videos in russischen sozialen Netzwerken zeigten. Wie viele Soldaten und Fahrzeuge der gescheiterte Vorstoß die Ukrainer kostete, ist unklar. Doch nach Angaben des österreichischen Militärobersten Markus Reisner offenbart der Vorfall in Torezk eine dramatische Veränderung im Drohnenkrieg zwischen Russen und Ukrainern.

"In diesem Korridor kann sich keine Seite bewegen"

"Das Kräfteverhältnis ist nahezu paritätisch", sagte Reisner dem Sender n-tv. Bislang hatten die Ukrainer einen taktischen Vorteil auf dem Schlachtfeld, weil sie mehr und bessere Drohnen zur Verfügung hatten. Doch inzwischen haben die Russen auf dem Gebiet offenbar stark aufgeholt – und setzen massenweise mit Glasfaserkabeln gelenkte Kamikazedrohnen ein. "Die sind absolut störresistent, sämtliche Störmaßnahmen waren damit völlig nichtig", so Reisner. "Das heißt, wenn die Ukraine in die Offensive geht, hat sie genau dieselben Herausforderungen wie die Russen."

Die "Todeszone" entlang der unmittelbaren Kontaktlinie zwischen Russen und Ukrainern sei mittlerweile auf 15 Kilometer Tiefe angewachsen, so Reisner. "In diesem Korridor kann sich keine Seite bewegen. Wenn, dann nur unter massiven Verlusten", sagt der Angehörige des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer. Die Überwachung in dieser Zone sei lückenlos. "Die russische Seite nimmt das in Kauf. Sie nimmt auf menschliche Verluste keine Rücksicht. Die ukrainische Seite versucht, so vorsichtig wie möglich vorzugehen. Nicht zuletzt, weil sie weniger Soldaten hat."

Russland setzt auf neue mit Glasfaser gesteuerte Drohnen

Ähnliches berichtet ein ukrainischer Kommandeur auf Telegram. Er beklagt, dass die Russen bei der Versorgung mit Drohnen "extrem aufgeholt" oder die Ukrainer womöglich schon überholt hätten. Hunderte mit Glasfaserkabeln gesteuerte Drohnen würden die Russen inzwischen täglich einsetzen und damit die Logistik der Verteidiger praktisch unmöglich machen.

Diese neuen Drohnen lassen sich nicht durch Störsender vom Kurs abringen, sondern fliegen zuverlässig ins Ziel. So verliere die Ukraine inzwischen mehr Fahrzeuge, als sie ersetzen könne. "Das Oberkommando sollte dies endlich berücksichtigen und seine Bemühungen auf die Vernichtung feindlicher Drohnenbesatzungen konzentrieren", zitiert der Kriegsberichterstatter Julian Röpcke den Kommandeur.

Steht Pokrowsk also kurz vor dem Fall? Der Militärexperte Nico Lange glaubt das nicht. "Ich teile diese Dramatik in diesem Krieg nicht mehr", sagt der Politikwissenschaftler und frühere Mitarbeiter im Verteidigungsministerium t-online. "Diese Schilderungen klingen nach einem baldigen Durchbruch und schnellen Veränderungen, die es so nicht gibt." Entwarnung geben kann Lange aber nicht.

"Die Russen wollen eben keinen Waffenstillstand"

"Es ist bekannt, dass Russland an diesem Frontabschnitt schon länger eine neue Offensive vorbereitet, und jetzt sieht es so aus, als hätte diese Offensive begonnen. Und das läuft völlig unabhängig von den Friedensgesprächen, auf die im Westen viele hoffen. Die Russen wollen eben keinen Waffenstillstand, die wollen ihre Offensive vorantreiben", erklärt Lange, der aktuell als Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative bei der Münchener Sicherheitskonferenz tätig ist.

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(Quelle: Tobias Koch)

Zur Person

Nico Lange (48) ist Politikwissenschaftler und Publizist. Von 2006 bis 2012 leitete er das Auslandsbüro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine. Von 2019 bis 2022 führte Lange den Leitungsstab im Bundesverteidigungsministerium. Aktuell ist er Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative bei der Münchener Sicherheitskonferenz.

Das Ziel der russischen Offensive sieht Lange aber nicht primär in Pokrowsk, sondern in der nordöstlich gelegenen Kleinstadt Kostjantyniwka. Die Stadt liegt nur etwa 25 Kilometer entfernt von Bachmut, das die Russen im Mai 2023 erobert hatten. Dabei erkennt auch Lange, dass die Russen dort Fortschritte machen. "In den vergangenen Monaten hatten die Russen dort eher Probleme, jetzt kommen wir in eine Phase, wo es eher umgekehrt läuft", so der Militärexperte. Im Drohnenkrieg hätten die Russen tatsächlich viel von den Ukrainern gelernt und ihre Fähigkeiten stark verbessert.

"Wir könnten viel mehr tun"

Statt eines schnellen Durchbruchs der Russen fürchtet Lange aber, dass "viele weitere ukrainische Ortschaften komplett zerstört werden". Er findet es "extrem frustrierend", dass die Verbündeten der Ukraine nicht mehr für das angegriffene Land tun. Zwar würden Amerikaner und Europäer ihre früheren Zusagen abarbeiten, aber keine neuen Waffenlieferungen auf den Weg bringen, so Lange. "Wir könnten viel mehr tun, zum Beispiel direkt in den ukrainischen Rüstungssektor investieren. Warum tun wir das nicht?"

Schon 0,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts würden die Lage schnell verbessern, erklärt Lange. "Und wenn ganz Europa zusammen zehn Milliarden Euro aufbringt, wäre wirklich etwas erreicht." Die Ukrainer hätten ihre Produktionskapazitäten bereits hochgefahren, allein die Finanzierung neuer Waffen sei ein Problem: "Die Ukraine stellt jetzt schon in einem Monat so viele Haubitzen her wie wir im ganzen Jahr." Auch vom neuen Bundeskanzler erwartet Lange "mehr Dampf".

"Der Druck auf Putin reicht noch nicht aus, von Bildern und Erklärungen lässt er sich nicht beeindrucken, sondern nur von Taten." Putin dürfte es auch als Schwäche angesehen haben, dass die Europäer dem Kreml ein Ultimatum für einen Waffenstillstand gestellt haben, aber noch keine neuen Sanktionen vorbereitet hatten, als Putin sich der Feuerpause entzog, sagt Lange. "Putin nutzt es aus, dass wir auf Frieden hoffen und bei Waffenlieferungen zögern."

Verwendete Quellen

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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