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Corona-Demos in Hamburg: Expertin warnt vor Radikalisierung


Verbotene Corona-Demos
Expertin: "Verschwörungsglaube eint verschiedenste Menschen"


15.01.2022Lesedauer: 7 Min.
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Demonstration von Kritikern der Corona-Maßnahmen am Neujahrstag in Barmbek (Archivbild): Sozialpsychologin Lamberty weiß, wie der Verschwörungsglaube entsteht.Vergrößern des Bildes
Demonstration von Kritikern der Corona-Maßnahmen am Neujahrstag in Barmbek (Archivbild): Sozialpsychologin Lamberty weiß, wie der Verschwörungsglaube entsteht. (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)

Bei oftmals verbotenen "Corona-Demos" gehen immer wieder Menschen auf die Straße. Was bewegt diese Menschen – und ihre Gegner? t-online war bei einer Gegendemonstration in Hamburg dabei und hat mit einer Forscherin gesprochen, die sich mit Verschwörungsideologien beschäftigt.

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Demonstration stehen an allen Kreuzungen rund um den Bahnhof Dammtor Polizeikräfte bereit. Auch die ersten Gruppen an Aktivistinnen und Aktivisten versammeln sich auf dem Bahnhofsvorplatz. Auf einer großen Bündnisdemo wollen sie gegen die wöchentlichen "Coronademos" in der Stadt demonstrieren. Das Motto: "Solidarität und Aufklärung statt Verschwörungsideologien".

"Unsere Geduld ist am Ende", schreiben die Aktivistinnen und Aktivisten des Hamburger Bündnis gegen Rechts in ihrem Aufruf. "Es wird Zeit, dass wir den egozentrischen, wissenschafts- und demokratiefeindlichen Verschwörungsideolog*innen eine klare öffentliche Absage erteilen und unsere Forderung nach einem echten solidarischen Umgang mit der Pandemie auf die Straße tragen".

Den Aufruf haben knapp 100 Vereine, Parteien, Gewerkschaften und linke Gruppierungen unterzeichnet. Darunter auch Arbeitskreise der Jusos, der Grünen und von ver.di, Ortsgruppen von Fridays For Future und Omas gegen Rechts sowie Die Linke Hamburg, der Fanladen St. Pauli und der AStA.

Gegendemonstrierende: "Kommen nur mit Solidarität durch die Krise"

Kurz nach 12 füllt sich die Wiese am Dammtor. Es ist kalt, viele tragen Handschuhe und Mützen. Schon jetzt zeigt sich die Bandbreite der Demonstration. Keine 20 Meter neben einer Trommelgruppe mit orangenen Mützen, sammelt sich eine Gruppe schwarzgekleideter Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Christiane Schneider, die Versammlungsleiterin, aktiv beim Hamburger Bündnis gegen Rechts erklärt: "Es kann nicht sein, dass die Impfgegner und Coronaleugner Woche für Woche nahezu unwidersprochen demonstrieren können. Und wir wollen zeigen, dass wir nur mit Solidarität durch die Krise kommen." Auch Fridays For Future Hamburg fordert eine "solidarische Lösung der Corona- und Klimakrise".

Die Demonstration stellt sich in acht Blöcken von rund 200 Menschen auf: zuerst die Blöcke der Interventionistischen Linken (IL), der Barmbeker Initiative gegen Rechts, der Omas gegen Rechts, der Partei Die Linke, der DGB und der Autonome Antifa Vernetzung gefolgt von einem Klima- und Jugendbildungsblock. Nahezu alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer tragen FFP2-Masken, die Abstände sind in den meisten Blöcken groß. Sie wollen zeigen, dass man in Zeiten einer Pandemie auch verantwortungsvoll demonstrieren kann.

Falschinformationen auf "Corona-Demos": "Geplante Pandemie" und NS-Vergleiche

Anders ist das bei den sogenannten "Coronademonstrationen", die seit Monaten in Hamburg wieder wachsen. Waren es Anfang November noch wenige hundert Teilnehmende, sind es in den letzten Wochen weit mehr als 10.000. Seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 lässt sich hier eine eindeutige Entwicklung feststellen: Mit steigenden Coronafällen und dem wachsenden Diskurs über Maßnahmen der Pandemiebekämpfung wächst in jeder Welle der Pandemie auch der Protest dagegen.

Egal ob dabei Falschinformationen zu Impfungen und Maskenpflicht oder Verschwörungsmythen über die angeblich "geplante Pandemie" über die Lautsprecheranlagen der Impfgegner dröhnen – die Menge klatscht und jubelt. Auch auf Plakaten finden sich neben Statements gegen eine Impfpflicht oder 2G-Regelungen regelmäßig Verschwörungserzählungen oder Vergleiche zur NS-Zeit.

Dass auch rechte Akteure auf den "Coronademos" in Hamburg präsent sind, tragen diese mit Kleidung zur Schau: Am 18. Dezember hatte ein Teilnehmer offen eine Jacke der rechten Band "Kategorie C" an, ein anderer einen Pullover mit der Aufschrift "Defend Europe", ein Spruch, der in rechten Kreisen rund um die Identitäre Bewegung genutzt wird. Neben einem Transparent der NPD waren im Dezember auch einige Hamburger Politikerinnen und Politiker der AfD auf der Demonstration zu sehen. Am 8. Januar beteiligten sich nach eigenen Angaben auch Akteure des rechtsextremen "III. Wegs".

"Gut-Böse-Dualismus" bringt verschiedenste Menschen zusammen

"Querdenker", Impfgegner und Neonazis. So widersprüchlich die Weltbilder zu sein scheinen – es sind die gemeinsamen Gegner, die sie einen: Corona-Maßnahmen, Politik, Medien und der Gegenprotest.

"Das ist so ein Gut-Böse-Dualismus. Dahinter steckt der Gedanke: 'Wir sind die Guten, wir kämpfen gegen den aufkommenden Faschismus, wir befreien die Gesellschaft', und die anderen sind dann automatisch die 'Bösen' oder die 'Schlafschafe', die dieses angeblich faschistische System aufrechterhalten", erklärt Pia Lamberty am Telefon. Die Sozialpsychologin ist Doktorandin an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und forscht zu Verschwörungsideologien.

Lamberty: "Das ist zum Beispiel eine Funktion des Verschwörungsglaubens: dass er eben aufgrund der überlappenden Feindbilder Menschen zusammenbringen kann, die erstmal so wirken, als hätten sie wenig gemeinsam. Das sind dann häufig so einende Momente".

Expertin: "Gemeinschaftsgefühl trägt zur Radikalisierung bei"

Diese Weltbilder sind dabei kein Ergebnis der Pandemie, sie waren auch vorher schon da, weiß Pia Lamberty: "Es gibt in der Gesellschaft immer einen gewissen Teil an Menschen, mit einem populistischen Demokratieverständnis, mit einer Affinität zum Verschwörungsdenken, mit antisemitischen oder rassistischen Haltungen". Diese Weltbilder seien außerhalb einer Krise nicht so relevant für das eigene Handeln, ordnet Lamberty ein. Sie vergleicht die "Coronademos" an dieser Stelle mit der Pegida-Bewegung.

Konkrete Zahlen zu nennen, welcher Teil dieser Bewegung tatsächlich ein geschlossenes verschwörungsideologisches Weltbild hat, sei sehr schwierig, so Lamberty. "Ich glaube man darf aber nicht unterschätzen, welche Wirkung solche Proteste psychologisch haben können". Das Gemeinschaftsgefühl und die Sprechchöre würden zu einer Radikalisierung der Demonstrierenden beitragen, warnt die Wissenschaftlerin.

Dass es sich bei den "Coronaprotesten" um eine heterogene Masse handelt, ist auch den Aktivistinnen und Aktivisten der Bündnisdemo klar. "Auch wenn die Zahl der Neonazis und Reichsbürger im Zweifel die klare Minderheit ist, gibt es aus unserer Sicht kein Anliegen, dass wichtig genug ist, mit Nazis zu demonstrieren", bezieht ein Aktivist Position, der Maarten Gruner genannt werden will. Er ist Teil der linken "Gruppe für den organisierten Widerspruch" (GROW) aus dem Umfeld der Roten Flora. "Ich denke, das kann nicht unbeantwortet bleiben; wenn Faschist*innen frei rumlaufen, sollte man sie daran hindern", so Maarten.

Auch Corona-Demo-Gegner kritisieren Politik: "Wirtschaft über Privatleben"

Aber auch die Bündnisdemo hat Kritik an der Coronapolitik. "Uns geht es um mehr, als nur darum, gegen Querdenker*innen auf die Straße zu gehen oder gar Regierungsmaßnahmen zu verteidigen", erklärt Maarten. Sie demonstrieren auch gegen eine neoliberale Politik, die die Freiheit einzelner zum Wohl der wirtschaftlichen Produktivität einschränke. Die eine Sparpolitik und Privatisierung im Gesundheitswesen verursache und die die soziale Frage bei der Umsetzung von Corona-Maßnahmen zu oft vergesse, so Maarten.

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"Ich denke in den letzten zwei Jahren sollte allen klar geworden sein, dass die Stoßrichtung der Corona-Politik ist, die Wirtschaft am Laufen zu halten", ergänzt Kim B. vom antiautoritären Bündnis "Schwarz-Roter 1. Mai". "Wie lächerlich ist es, dass wir unser Privatleben einschränken, aber in vollen Öffis zur Arbeit sitzen, um in vollen Großraumbüros zu arbeiten?".

Kritik gibt es auch an der sozialen Ungleichheit der Corona-Maßnahmen: "'Gegenüber dem Virus sind wir alle gleich, können wir nicht mehr hören", sagt eine Sprecherin der Poliklinik Veddel in einer Rede bei der Auftaktkundgebung. Das Gesundheitssystem müsse sich an den Bedürfnissen orientieren und sozial gerecht sein, ergänzt sie. Die Grüne Jugend fordert in ihrer Rede eine solidarische Impfpflicht und die Freigabe der Patente der Corona-Impfstoffe.

Mit mehr als 3.000 Menschen zieht die Demo los. Über die Lautsprecher dröhnt "Bella Ciao". Auf selbstgebastelten Schildern stehen Aufforderungen zum Impfen oder "Eure Freiheit ist Egoismus". Andere haben blau-violette Schilder mit der Aufschrift "Impfen ist Liebe". "Die Mehrheit der Hamburger*innen hält sich an die Maßnahmen und ist geimpft!", schallt es über die Lautsprecher, nachdem das Lied verklungen ist.

Währenddessen hat sich der Block der Antifa-Vernetzung mit Bannern und Regenschirmen abgeschirmt und ruft: "Impfstoff für alle, sonst gibt's Krawalle" und "Esos und Nazis, Hand in Hand, unsere Antwort Widerstand". Auf dem Dammtordamm zünden sie Rauchtöpfe und Bengalos.

Wissenschaftlerin: Statt Demo-Verboten Auflagen durchsetzen

Die heutige Demonstration der Impfgegner und Pandemieleugner in Hamburg wurde verboten, ein Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht wurde abgelehnt. Grund seien demnach "hinreichende konkrete und belastbare Anhaltpunkte", dass bei der Durchführung der Versammlung Maskenpflicht und Mindestabstände nicht eingehalten werden. In diversen Telegram-Chats rufen die Impfgegner und Pandemieleugner unterdessen zu zahlreichen unangemeldeten Versammlungen im ganzen Stadtgebiet auf: beworben als "friedliche Spaziergänge".

Von Demonstrationsverboten hält die Sozialpsychologin Pia Lamberty wenig. Wichtiger wäre aus ihrer Sicht, die Auflagen durchzusetzen und sich dem demokratisch entgegenzustellen. In ganz Deutschland wachsen diese Gegenproteste aktuell: In Mannheim stellten sich am Montag zum wiederholten Male Menschen mit einer Menschenkette um das Rathaus, in Städten wie Bremen und Freiburg gab es antifaschistische Gegenproteste mit mehreren hundert Menschen.

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr demonstrierten in Hamburg schon einmal rund 800 linke Aktivistinnen und Aktivisten für eine "solidarische Antwort auf die Corona-Krise", aufgerufen von GROW. In den letzten Monaten war der Protest gegen Coronaleugner hingegen sehr überschaubar: Meist sammelten sich nur wenige Gegendemonstrierende am Rand der Demoroute. Die letzten größeren Proteste gab es im Frühjahr 2021, als Menschen mit Fahrrädern die Autokorsos der "Querdenker" blockierten.

Kurz vor dem Gänsemarkt teilt sich der Block der Antifavernetzung in zwei Blöcke – es sind zu viele Teilnehmende. Auf dem Fronttransparent des zweiten Blocks steht: "Solidarisch und vermummt gegen Nazis, Kapital und Coronaleugner*innen". Schwarze Schirme verdecken den Blick auf die Demonstrierenden, viele haben die schwarzen Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Nur die weißen FFP2-Masken blitzen hinter den Bannern vor. Die Polizei zieht währenddessen mehr Kräfte zusammen und läuft neben den beiden Blöcken im Spalier.

Am Jungfernstieg werden die beiden Blöcke dann von Polizeikräften ausgebremst. Die Demonstrierenden würden nicht genug Abstand einhalten, heißt es. Fünf bürgerlich gekleidete Demonstrierende stellen sich daraufhin zwischen die Polizei und den Block. Andere Demonstrierende solidarisieren sich: "Wir gehen nur mit denen weiter", hört man einen älteren Mann rufen. Auch über die Lautsprecher ist zu hören, man würde nur mit den Antifablöcken die Endkundgebung erreichen.

Expertin zu Wissenschaftsleugnern: "Ohne gemeinsame Wahrnehmung keine Kommunikation"

"Ich finde es wichtig, dass die Gesellschaft auch zeigt, dass sie mit so einer Mobilisierung nicht einverstanden ist", sagt Pia Lamberty. "Ich glaube, das hat eine starke Signalwirkung". Eine klare Kante gegen Wissenschaftleugner und Verschwörungsgläubige ist für Pia Lamberty dabei entscheidend. "Das ist etwas, was der Gesellschaft unglaublich schwer fällt, aber wenn es keine gemeinsame Grundlage der Wirklichkeitswahrnehmung mehr gibt, funktioniert Kommunikation nicht –dann ist es besser eine klare Linie zu ziehen".

Gemeinsam mit den beiden Antifa-Blöcken erreicht die Demo schließlich ihren Abschluss in der Bergstraße. Bis auf ein bisschen Pyrotechnik bleibt es friedlich. Pandemieleugner tauchten am Rande der Demonstration keine auf, sie trafen sich in anderen Teilen der Stadt, fern ab von denen, die auf die Straße gegangen sind, um ihnen zu widersprechen.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Gespräch mit Sozialpsychologin Pia Lamberty
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