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Offene DFB-Baustellen vor der EM: Die Zeit der Experimente ist endgültig vorbei


Offene Baustellen vor der EM
Die Zeit der Experimente ist endgültig vorbei

  • Noah Platschko
Aus Duisburg berichtet Noah Platschko

01.04.2021Lesedauer: 5 Min.
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"Löw droht ein katastrophaler Abgang": t-online-Nationalmannschaftsreporter Noah Platschko analysiert die Pleite gegen Nordmazedonien und blickt auf die Chancen bei der Europameisterschaft. (Quelle: t-online)

Das war’s. Die peinliche Pleite gegen Nordmazedonien markierte für Joachim Löw den letzten Test vor der Nominierung des EM-Kaders. Es bleiben etliche Fragezeichen.

Es lief die 59. Spielminute, als sich Joachim Löw von seiner Cheftrainerbank erhob. "Hey, aufwachen", rief der scheidende Bundestrainer seiner Mannschaft zu. 0:1 hatte es da gestanden. Gegen Nordmazedonien.

Der Appell an seine Mannschaft verpuffte. Deutschland verlor verdient mit 1:2 gegen den 65. der Weltrangliste. Schlimmer hätte das dritte WM-Qualifikationsspiel für die Nationalmannschaft kaum laufen können.

Durch die Niederlage rutschte das DFB-Team in der Quali-Gruppe auf den dritten Rang ab – hinter Nationen wie Armenien und Nordmazedonien. Nur der Erste qualifiziert sich sicher für die umstrittene Winter-WM in Katar, der Zweite muss in die Play-Offs, der Dritte geht leer aus. Die deutsche Mannschaft muss damit mehr denn je um eine WM-Teilnahme bangen. Doch bevor sich im September der neue Bundestrainer über die WM Gedanken machen darf, wartet mit der EM noch ein Großturnier auf die DFB-Elf.

Löw will "alles hinterfragen"

Bereits vor den Qualifikationsspielen hatte der scheidende Bundestrainer angekündigt "keine Experimente" mehr zu machen. "Ich kann keine Rücksicht mehr nehmen. Es geht darum, die Spiele zu gewinnen und die Basis für die Vorbereitung im Hinblick auf die EM zu legen", hatte Löw angekündigt – und zunächst auch Taten folgen lassen. Gegen Island und Rumänien lief jeweils dieselbe Elf auf, mit Erfolg. Am Mittwoch tauschte Löw lediglich auf zwei Positionen. Trotzdem legte seine Mannschaft einen desaströsen Auftritt hin.

Löw wolle sich nun "intensiv Gedanken" machen und "alles hinterfragen", hatte er nach der Partie verkündet. Die Niederlage gegen Nordmazedonien zeigte: Diese Mannschaft hat sich noch nicht gefunden, in diversen Mannschaftsteilen bleiben offene Fragen.

Kein Problem im Tor

Vorab: Wenn eine Stelle in der Nationalmannschaft so klar vergeben ist wie das Amen in der Kirche, dann ist es die des Torhüters. Flammten vor einem Dreivierteljahr noch Startelfambitionen bei Marc-André ter Stegen auf, sind diese, was die EM angeht, erloschen.

Neuer ist die klare Nummer Eins, ter Stegen die klare Nummer zwei. Der Barca-Torhüter kassierte gegen Nordmazedonien zwar zwei Gegentreffer, rettete aber vor dem 0:1 sensationell. Die einzig offene Frage bleibt für Löw, ob er Bernd Leno oder Kevin Trapp als dritten Torwart mitnimmt. Hatte bei der EM 2016 noch der Frankfurter Trapp die Nase vorne, setzte sich im Vorfeld der WM 2018 Leno durch. Dabei ist die Besetzung des dritten Torhüters vor allem eines: egal.

Ist Hummels Rückkehr unvermeidbar?

Lange probierte der Bundestrainer aus: Fünfer- oder Viererkette? Knapp zwei Monate vor Turnierstart ist klar: Löw wird in der Abwehr auf eine Viererkette setzen. Wirkte diese in den ersten beiden Duellen gegen Island und Rumänien noch stabil, offenbarte sie gegen Nordmazedonien erneut zahlreiche Lücken. Antonio Rüdiger, nach seiner Rehabilitierung beim FC Chelsea zunächst voller Selbstvertrauen und bei alter Stärke, unterliefen mehrere Unkonzentriertheiten.

Gladbachs Ginter spielte in den ersten beiden Quali-Spielen in der Innenverteidigung solide, auf der rechten Seite offenbarte er aber erneut, dass er eine Fehlbesetzung ist. Die Abwehr ist alles andere als titeltauglich. Gegen Weltmeister Frankreich wäre die Defensive komplett überfordert. Angesichts der Formschwäche Niklas Süles und Jonathan Tahs dürfte Löw mehr denn je Mats Hummels und/oder Jerome Boateng auf dem Zettel haben und für die Europameisterschaft mit einplanen. Eine Rückkehr scheint unvermeidbar.

Wo ist Platz für Toni Kroos?

Das Mittelfeld bildet das Herz, die Schaltzentrale der Nationalmannschaft – stellt Löw aber zugleich vor ein Problem. Mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka galten schon vor dem Mazedonienspiel zwei Bayern-Profis als absolut gesetzt. Doch auch Ilkay Gündogan, der bei der 1:2-Pleite als Kapitän auflief, beansprucht einen Platz in der Startelf. Das führt zur Frage: Wo ist noch Platz für Toni Kroos?

Der 101-fache DFB-Spieler und vierfache Champions-League-Spieler wird sich kaum mit einem Bankplatz zufriedengeben. Dass das komplette Mittelfeld gegen Nordmazedonien enttäuschte, dürfte die Chancen des Weltmeisters auf einen Stammplatz allerdings erhöhen. So oder so droht Löw in diesem Bereich Konfliktpotenzial. Mit Florian Neuhaus sowie dem nicht-nominierten Mahmoud Dahoud hat Löw zumindest noch zwei talentierte und offensiv-orientierte Akteure für die Schaltzentrale. Auch der jüngst eingewechselte Amin Younes könnte eine Alternative für die Achterposition werden.

Nominiert Löw einen Strafraumstürmer?

Die kniffligsten Fragen muss sich Löw aber im Angriff stellen. Seine Grundformation steht, er will im 4-3-3, also mit drei Spitzen agieren. Doch mit welchem Personal? Serge Gnabry dürfte gesetzt sein. Bei Leroy Sané, Timo Werner und Kai Havertz gestaltet sich die Frage nach der Startelf schwieriger. Sané ist dribbelstark und schnell – fiel in den WM-Qualifikationsspielen aber auch immer wieder durch Schlampig- und Nachlässigkeiten auf. Timo Werner steckt in einem Formtief, sein "Fehlschuss des Jahres" stand sinnbildlich für seine derzeitige Misere. Kai Havertz spielte maximal ordentlich. Reicht die Qualität im Sturm, um bei der EM im Sommer erfolgreich zu sein?

Diese Frage führt zur nächsten: Welche Rolle spielen eigentlich ehemals feste Größen wie Marco Reus (verletzungsanfällig) und der ausgemusterte Thomas Müller? Während Löw dem Bayern-Profi zuletzt Hoffnungen auf ein Comeback machte, knüpft Löw bei Reus eine Nominierung auch an dessen Fitnesszustand: "Er ist ein überragender Fußballer, der jeder Mannschaft helfen kann", so Löw über Reus. Er sagt aber auch: "Voraussetzung ist eine große körperliche Fitness." Ob Reus diese mitbringen kann, ist offen.

Unabhängig von der Leistungsfähigkeit dürfte der finale Spielstil entschieden sein. Schnelles Umschaltspiel, in der EM-Vorrunde gegen Frankreich und Portugal wichtig, kann der Bundestrainer mit seinen aktuellen Stürmern angehen. Für Müller und Reus müsste erst eine Rolle geschaffen werden. Allerdings würde er mit der Nominierung der beiden "Alt-Stars" das Angriffsspiel flexibel halten.

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Müller als Stoßstürmer wäre eine Alternative, funktionierte in der Nationalmannschaft aber nur bedingt. Auch Monacos Kevin Volland oder der jüngst bei der U21 überzeugende Lukas Nmecha könnten die Rolle des klassischen Strafraumstürmers einnehmen, wie sie 2016 Mario Gomez oder jahrelang Miroslav Klose innehatte. Die zuletzt nicht-nominierten Julian Brandt und Julian Draxler zurückzuholen oder auf die beiden Jungstars Jamal Musiala und Florian Wirtz zu setzen, dürfte das grundlegende Problem nicht lösen.

Der Bundestrainer hat nun knapp sechs Wochen Zeit, ehe er Mitte Mai seinen vorläufigen Kader für die Mission EM-Titel bekanntgeben wird. Zum dann allerletzten Mal. Erneut geht die Nationalmannschaft, wie schon im November nach dem 0:6 gegen Spanien, mit einem Negativerlebnis in die Pause. Doch vor der Nominierung hat Löw keine Spiele mehr, um Dinge zu korrigieren. Die Zeit der Experimente ist endgültig vorbei.

Verwendete Quellen
  • Digitale Pressekonferenzen mit Joachim Löw
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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