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DFB: Was ist das Problem der Mannschaft? – Matthäus schießt gegen Völler


Das Problem der Nationalelf
Eine Ohrfeige mit Ansage

Von Benjamin Zurmühl

21.06.2023Lesedauer: 6 Min.
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Rudi Völler: Der Sportdirektor stellte fehlende Qualität bei einigen Nationalspielern fest.Vergrößern des Bildes
Rudi Völler: Der Sportdirektor stellte fehlende Qualität bei einigen Nationalspielern fest. (Quelle: IMAGO/Revierfoto)

Rudi Völler begründet die Niederlage gegen Kolumbien auch mit mangelnder Qualität. Lothar Matthäus widerspricht. Was stimmt nun?

Die Fans im Stadion und im Netz waren sich größtenteils einig. Buhrufe und Pfiffe in der Veltins-Arena Gelsenkirchen, "FlickRaus"-Hashtag auf Twitter und Facebook. Ein Jahr vor der Europameisterschaft in Deutschland fordern viele Fans einen neuen Bundestrainer. Zu enttäuschend sind die Ergebnisse aus den vergangenen Tagen und Monaten. Auf das WM-Aus in der Vorrunde 2022 folgten ein Sieg, ein Unentschieden und drei Niederlagen.

Ein Mann sah es am Dienstagabend jedoch anders als die kritischen Fans: Rudi Völler. Am RTL-Mikrofon nahm der DFB-Sportdirektor die Nationalspieler in die Pflicht – und den Trainer in Schutz: "Hansi Flick ist die ärmste Sau. Er versucht alles, aber die Qualität ist nicht die allergrößte, wie vielleicht noch vor ein paar Jahren. Es sind sicher ein paar Spieler dabei gewesen, die wir im September nicht mehr sehen werden."

Wen er meinte, wollte Völler nicht verraten. Klar war er dennoch: "Der ein oder andere stößt trotz aller Bemühungen an seine Grenzen. Ohne Namen zu nennen, aber das wird man bei der nächsten Nominierung sehen."

Lothar Matthäus widersprach Völler entschieden. Der Rekordnationalspieler und RTL-Experte zählte mehrere Akteure auf, die bei internationalen Spitzenklubs spielen, und ergänzte: "Sie haben zurzeit einfach kein Selbstvertrauen. Ich glaube nach wie vor, dass wir 16 bis 18 Nationalspieler haben, denen sogar Rudi Völler hohes Niveau zusprechen würde, wenn sie das wieder umsetzen würden, was sie können."

Zudem vermisste Matthäus im Team einen klaren Plan: "Es ist viel Ratlosigkeit da. Auf dem Platz, aber auch von außen. Bei Auswechslung gehen einige raus und andere rein, aber es gibt keine echten Veränderungen. Es ist einfach so viel Sand im Getriebe."

Fehlendes Selbstvertrauen, mangelnde individuelle Qualität, Planlosigkeit. Es gibt viele Erklärungsansätze für die aktuelle Krise in der Nationalmannschaft. Die Wahrheit ist: Alle drei Punkte stimmen und hängen zusammen. Doch der Bundestrainer und der DFB sollten das schon länger wissen. Und so ist die derzeitige Misere eine Ohrfeige mit Ansage.

Flick kennt das Problem – aber (bisher) nicht die Lösung

Nach dem dritten und letzten deutschen Gruppenspiel bei der WM in Katar äußerte sich Hansi Flick kritisch über die deutsche Nachwuchsarbeit. Der Bundestrainer monierte die fehlende Qualität bei einzelnen Spielern, vor allem in der Defensivarbeit. "Es ist wichtig für die deutsche Zukunft, dass man in der Ausbildung verschiedene Dinge anders macht. Wir reden schon seit was weiß ich wie viel Jahren über einen Neuner, den wir brauchen, über spielstarke Außenverteidiger. (…) Was den deutschen Fußball ausgezeichnet hat, war, dass wir verteidigen konnten. Das sind Elemente, die wir für den Nachwuchsbereich brauchen. Das sind die Basics."

Während Deutschland im Spiel nach vorne Namen wie Jamal Musiala, İlkay Gündoğan, Florian Wirtz, Kai Havertz oder Leroy Sané zu bieten hat, mangelt es in der Defensive auf mehreren Positionen an Topspielern. Sowohl links als auch rechts in der Abwehr gibt es Spieler, die vom Niveau nicht mithalten können. Auch im defensiven Mittelfeld fehlt es an einem Hochkaräter, der gerade im Spiel gegen den Ball für die nötige Ordnung und Aggressivität sorgt.

Hansi Flick weiß über all das Bescheid. Anders als im Vereinsfußball kann er für diese Positionen jedoch nicht einfach einen neuen Spieler kaufen. Er muss selbst die Lösungen dafür finden. Gelungen ist ihm das bisher nicht. Bei der WM spielte er meist im 4-2-3-1-System, im März war es ein 4-2-2-2. Für die vergangenen drei Spiele gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien wählte er hingegen jeweils eine Formation mit Dreierkette.

Drei Ideen gehen schief

Das Ziel war dabei immer dasselbe: Die eigenen Stärken sollten die Schwächen übertünchen. Für eine Viererkette haben die Linksverteidiger David Raum und Robin Gosens nicht ausreichend defensive Qualität. Gleiches gilt für die rechte Seite mit Marius Wolf oder dem Gladbacher Jonas Hofmann, der ohnehin eigentlich ein gelernter offensiver Flügelspieler ist. Flick versuchte bei der WM noch, einen offensiven Außenverteidiger auf der einen durch einen defensiven Außenverteidiger auf der anderen Seite auszugleichen. Die Wahl fiel dabei meist auf gelernte Innenverteidiger, doch weder Niklas Süle (gegen Japan) noch Thilo Kehrer (gegen Spanien) wussten vollends zu überzeugen.

Im März riskierte Flick es mit den eher offensiven Spielern Marius Wolf und David Raum auf den Außen. Gegen Peru (2:0) klappte das Experiment, gegen Belgien (2:3) wurde die Nationalelf eiskalt ausgekontert, ihre Schwäche offengelegt. Zudem zeigte sich, dass das Duo Goretzka/Kimmich im Zentrum zu viele defensive Mängel aufweist. Das Problem, das zur gleichen Zeit beim FC Bayern aufkam und auch die aktuelle Transferperiode der Münchner begleitete, sollte beim DFB Emre Can lösen.

Der aggressive Mittelfeldmann von Borussia Dortmund ist jedoch an vielen Stellen ebenfalls zu limitiert. Der BVB kämpft daher Medienberichten zufolge um den Mexikaner Edson Álvarez von Ajax Amsterdam und ist offenbar bereit, Can im Sommer abzugeben. Beim DFB bleibt er hingegen für diese Rolle klar die erste Wahl. Viele Alternativen hat Hansi Flick nicht. Und auf Optionen wie Robert Andrich (Bayer Leverkusen) oder Vitaly Janelt (FC Brentford) verzichtet er bisher.

In den drei Tests im Juni versuchte es Flick dann mit der Dreierkette. Ein zusätzlicher Innenverteidiger sollte sowohl die defensiven Schwächen der Außenverteidiger als auch die der zentralen Mittelfeldachse ausgleichen. Sechs Gegentore aus drei Spielen zeigen, dass Flicks Plan nicht aufging. Ex-Nationalspieler Jürgen Kohler erkannte nach dem 3:3 gegen die Ukraine im "Kicker" ein grundlegendes Problem: "Es sind wiederkehrende Fehler in der Defensive, taktisch und individuell. Wir waren über Jahrzehnte das Land mit den besten Abwehrspielern der Welt, da muss also etwas schiefgelaufen sein."

"Siege geben Sicherheit"

Dass all diese Pläne nicht aufgehen und die individuellen Mängel von den Gegnern aufgedeckt werden, hat aber auch andere Gründe. Denn selbst mit diesen Schwächen sollte der 14. der Weltrangliste Heimspiele gegen den 17. (Kolumbien) und 30. (Ukraine) gewinnen und auch auswärts beim 23. (Polen) zumindest einen Punkt holen.

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Lothar Matthäus machte fehlendes Selbstvertrauen als Grund für das Scheitern aus. Schon im Rahmen des Nations-League-Endspiels zwischen Kroatien und Spanien sagte er bei RTL: "Meiner Meinung nach kann sich Deutschland keine Rückschläge leisten. Die Siege schweißen uns zusammen. Die Siege geben Sicherheit."

Er sprach sich gegen Experimente des Bundestrainers aus und forderte mehr Kontinuität, um die nötigen Ergebnisse einzufahren, die ein Jahr vor der EM eine Euphorie im Land erzeugen könnten. Denn die gibt es bisher noch nicht, wie eine repräsentative Umfrage von t-online in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey offenbart. Nur ein Fünftel der Deutschen (20 Prozent) freut sich bisher auf die EM, knapp zwei Drittel noch nicht (63 Prozent), der Rest ist unentschlossen.

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Das Problem: Die fehlende Euphorie sorgt für eine schlechtere Stimmung in den Stadien, was wiederum den nötigen Ansporn für die verunsicherten Spieler vermissen lässt. "Es ist aktuell so, dass gefühlt alles gegen uns läuft. Dass wir uns von Negativereignissen sehr stark beeinflussen und aus dem Spiel bringen lassen", resümierte Robin Gosens in der ARD. "Wir brauchen mal einen dreckigen 1:0- oder 2:1-Sieg, um wieder in dieses positive Erlebnis reinzukommen. Das ist genau das, was uns fehlt."

Der Hoffnungsschimmer im Tor

So findet sich die deutsche Nationalmannschaft in einem Kreislauf aus fehlender Qualität auf einzelnen Positionen, daraus resultierenden Experimenten, die schiefgehen, schlechten Ergebnissen, noch schlechterer Stimmung und fehlendem Selbstvertrauen wieder.

Einen Weg raus aus dem Negativstrudel könnten frische Impulse ermöglichen. Ein Trainerwechsel wäre eine solche Option, Sportdirektor Völler schloss diesen aber bereits aus. Frischer Wind im Kader und klarere Ansagen wären eine andere Möglichkeit, die zudem die wahrscheinlichere ist. Ein Hoffnungsschimmer wird wohl auch die Rückkehr von Kapitän Manuel Neuer sein, der nach langer Verletzung bald ins Mannschaftstraining beim FC Bayern einsteigen soll.

Doch für eine erfolgreiche EM braucht Flick mehr als nur seinen Kapitän zurück. Er braucht einen funktionierenden Plan für die Partien gegen Japan und Frankreich im September. Denn wenn auch diese Spiele schiefgehen, wird die Ohrfeige womöglich zum Knock-out.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • Eigene Teilnahme an der Pressekonferenz Deutschland gegen Costa Rica (WM 2022)
  • RTL-Übertragung am Dienstag
  • Nachrichtenagenturen dpa, SID
  • youtube.com: "Lothar spricht Klartext!"
  • rtl.de: "Lothar Matthäus: Deutschland kann sich keinen Ausrutscher mehr leisten"
  • fifa.com: "FIFA-Weltrangliste (Männer)"
  • sportschau.de: "Gosens - 'Wir sind absolut von Hansi Flick überzeugt'"
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