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Ex-DFB-Mann: Kroos-Rückkehr ein "Armutszeugnis für den deutschen Fußball"


DFB-Team vor Heim-EM
"Ein Armutszeugnis für den deutschen Fußball"

  • Noah Platschko
InterviewVon Noah Platschko

Aktualisiert am 23.02.2024Lesedauer: 13 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Toni KroosVergrößern des Bildes
Toni Kroos: Er steht vor einer Rückkehr ins Nationalteam. (Quelle: Andreas Gora/dpa/dpa)

Über 20 Jahre war Joti Chatzialexiou beim DFB, kurz vor Weihnachten folgte die Trennung. Wie kam es dazu? Ein Gespräch über den Fußball in Deutschland – und eine ungewisse Zukunft.

Vor gut zwei Monaten teilte der DFB offiziell mit, was sich unter der Hand schon angebahnt hatte. Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter, verlässt den DFB – nach über 20 Jahren im Verband.

Als die DFB-Frauen 2023 historisch in der WM-Vorrunde scheiterten, war es Chatzialexiou, der das sportliche Debakel erklären musste. Das gleiche Spiel ereignete sich wenige Wochen zuvor bei der U21-EM in Rumänien und Georgien, als das Team von Antonio di Salvo dasselbe Schicksal ereilt hatte.

Chatzialexiou, er musste im Jahr 2023 binnen kurzer Zeit das Scheitern der deutschen Teams erklären. Bei einem Verband, der eines der schwierigsten Jahre überhaupt hinter sich hat. Daran änderte auch der furiose Triumph der deutschen U17 in Indonesien nichts.

Gut zwei Monate nach seinem Aus spricht Chatzialexiou, wenn er über den DFB redet, immer noch vom "Wir". Er erzählt von der wohlüberlegten Trennung, seinem Verhältnis zu DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig, der Suche nach einem Bundestrainer – und einem Bauchgrummeln, wenn er an die Zukunft des deutschen Fußballs denkt.

t-online: Herr Chatzialexiou, wie geht es Ihnen?

Joti Chatzialexiou (47): Mir geht’s super. Ich genieße die Zeit, habe viel Zeit mit meiner Familie verbracht, langjährige Freunde getroffen, mich mit vielen tollen Menschen aus anderen Branchen getroffen, durch Gespräche meinen Horizont erweitert und, was für mich sehr wichtig war, Zeit gehabt, 20 Jahre DFB zu reflektieren. Im Tagesgeschäft bleibt hierfür manchmal zu wenig Zeit, vergangenes Jahr zum Beispiel war ich 200 Tage auf Reisen. In meinem Rückblick ist mir viel Positives gekommen, aber natürlich auch einiges mit Potenzial. Mir war somit in dem ersten Monat nicht wirklich langweilig (lacht).

Nach mehr als 20 Jahren sind Sie nicht mehr beim DFB angestellt. Laut Mitteilung des DFB auf "eigenen Wunsch". Wie genau lief die Trennung ab?

Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, beim DFB aufzuhören. Aber dann gab es eben immer das eine oder andere Projekt, das ich zu Ende bringen wollte. Angefangen von Turnieren bis hin zur Fertigstellung des Campus. Im Sommer ist dann gemeinsam mit der Familie der Prozess gereift, dass ich zum Jahresende aufhöre. Es ist auch die Chance, aus meiner Komfortzone herauszukommen und etwas anderes zu machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, ein Leben lang im selben Verband zu arbeiten. Dafür bin ich zu neugierig und ambitioniert, in meinem Leben was Neues zu gestalten und zu erreichen.

Wenn Sie vom Sommer sprechen, meinen Sie dann vor oder nach der Frauen-WM?

Das war tatsächlich vor der WM. Ich habe gemerkt, dass ich mich verändern möchte und eine neue Herausforderung brauche. Ich habe ein wenig mit der Entscheidung gehadert, weil die Heim-EM der Männer vor der Tür steht. Aber schlussendlich war es ein guter Zeitpunkt, mich zu verabschieden.

Bei der Vorstellung von Horst Hrubesch als Interimsbundestrainer der Frauen Anfang Oktober fehlten Sie bei der Pressekonferenz. Warum waren Sie nicht anwesend?

Wir, also Andreas Rettig und ich, hatten die Entscheidung, Horst Hrubesch als Interimstrainer zu benennen, gemeinsam getroffen. Andreas war zu diesem Zeitpunkt noch relativ neu beim DFB, es stand ihm auch zu, als Geschäftsführer bei dieser Pressekonferenz anwesend zu sein. Ich habe mich bei solchen Terminen nie in den Mittelpunkt gestellt – und so war es auch bei der Vorstellung von Horst Hrubesch.

Neben einem neuen Bundestrainer suchte der DFB zum damaligen Zeitpunkt auch jemanden, der sich als Sportdirektor vorrangig um den Frauenfußball kümmert. Auch ihr Name wurde gehandelt. Hätten Sie sich den Job zugetraut?

Zugetraut?! Ich habe diesen Job sechs Jahre ausgeübt und darüber hinaus alle weiteren Nationalmannschaften, männlich wie weiblich, die Talentförderung und die Leistungszentren sowie den Bereich Scouting und Analyse in meinem Verantwortungsbereich gehabt. Ich wollte mich nur perspektivisch nicht allein auf den Frauenbereich beschränken.

Aber Sie waren einer der Kandidaten?

Ich wurde gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Das ist aber schon länger her. Ich habe recht schnell zum Ausdruck gebracht, dass es für mich keine Option ist. Und dazu kamen dann auch die Gedankengänge, was meine persönliche Zukunft angeht. Das hatte ich unserem Präsidenten Bernd Neuendorf auch offen kommuniziert, und damit war das Thema erledigt.

Es wurde attestiert, dass es zwischen Ihnen und dem neuen Geschäftsführer Andreas Rettig Spannungen gibt. Gar von einem miesen Spiel war die Rede.

Wenn man, wie ich, die Entscheidung trifft zu gehen, ist natürlich nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen. Dennoch habe ich dem Verband sehr viel in meinem Leben zu verdanken! Und ich bin sehr stolz, ein Teil des Ganzen für ein paar Jahre gewesen zu sein. Zudem in meiner übergeordneten Leitfunktion als sportlicher Leiter Nationalmannschaften Strukturen und Inhalte im deutschen Fußball entwickelt zu haben. Und: Ein falsches Spiel wurde nicht mit mir gespielt – im Gegenteil. Das Verhältnis zwischen Andreas und mir ist intakt, ich lasse da auch keinen Keil zwischen uns treiben. Wir kennen uns über viele Jahre, haben offen und fair gesprochen, und am Ende hatte ich für mich schon zuvor die Entscheidung getroffen, die gar nichts mit Andreas zu tun hatte. Im Gegenteil, wir haben trotz unseres Altersunterschiedes in einigen Themen sogar viele inhaltliche Schnittmengen gehabt (lacht). Jetzt hoffe ich für den DFB, dass die Zukunft sportlich erfolgreicher verläuft als die jüngste Vergangenheit.


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Wenn ich merke, dass es eine Partei gibt, die Menschen wie mich nicht mehr hier haben will, habe ich dafür kein Verständnis.


Joti Chatzialexiou über die AfD


Die Frauen wollen sich für Olympia qualifizieren, bei den Männern steht die Heim-EM an. Ein erfolgreiches Abschneiden wäre der Stimmung in Land und Verband sicher zuträglich.

Das auch, wobei ich mir aktuell über andere Dinge in unserem Land mehr Sorgen mache. Ich war noch nie in meinem Leben auf einer Demonstration – bis vor zwei Wochen, als ich in Frankfurt gegen den Rechtsruck demonstriert habe. Ich kann nicht nachvollziehen, dass in Deutschland solch eine Debatte entsteht, nach dem, was in diesem Land passiert ist. Ich bin ein Kind griechischer Einwanderer, mein Vater wurde während des griechischen Bürgerkriegs als Kind deportiert, meine Mutter ist aus der Türkei geflüchtet. Ich liebe das Land, in dem ich geboren, aufgewachsen bin und noch heute gerne lebe. Wenn ich dann merke, dass es eine Partei gibt, die Menschen wie mich nicht mehr hier haben will, die für dieses Land und seine Werte einstehen, habe ich dafür kein Verständnis. Das stimmt mich sehr bedenklich, und auf der anderen Seite geben mir die Demonstrationen Mut und ich hoffe, dass es nicht nur bei den Demonstrationen bleibt, sondern die Menschen wählen gehen werden, um unsere Demokratie aufrechtzuerhalten.

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Glauben Sie, dass die Heim-EM einem Rechtsruck positiv entgegenwirken kann?

Das Turnier kann ein entscheidender Faktor sein, das glaube ich schon. Ich habe ja die Weltmeisterschaft 2006 auch schon hautnah an der Seite von Franz Beckenbauer und Horst R. Schmidt als Assistent des Generalsekretärs miterlebt. Es war eine Freude zu sehen, welche Begeisterung entwickelt werden konnte. Meine Hoffnung ist, dass man nach dem Turnier wieder stolz sein kann, Deutscher zu sein – und das auch nach außen tragen kann. Natürlich gepaart mit der entsprechenden Demut und dem Verstand, den wir in uns tragen – im Gegenteil zu manch anderen Idioten.

Könnte solch eine Heim-EM nicht etwaige nationale Tendenzen verstärken, indem beispielsweise Mitglieder der AfD oder Untergruppierungen das Turnier für ihre Zwecke missbrauchen?

Ich trage zwei Kulturen in mir. Die Griechen sind auch ein stolzes Volk, tragen ihre Fahnen nach außen. In vielen anderen Ländern ist das genauso, weshalb ich mir die Frage stelle: Warum darf man als Deutscher nicht stolz auf sein Land sein und auf das, was wir hier haben? Ich sehe mich als Kosmopoliten, als Europäer – aber ganz klar mit deutschem Herzen. Mir ist es schleierhaft, warum man nicht mit Stolz die Hymne singen oder das deutsche Trikot tragen kann, ohne gleich als rechtsradikal zu gelten. Wenn es Leute gibt, die diese Symbole missbrauchen, ist das einfach nur traurig. Uns würde guttun, diese Symbole positiv zu besetzen und als Land wieder stärker zusammenzustehen. Jedoch muss der DFB eine Vorbildfunktion übernehmen, was zuletzt nicht immer der Fall war.

Was meinen Sie damit konkret?

Wenn ich lese, wie beispielsweise DFB-Vizepräsident Ralph-Uwe Schaffert Ende vergangenen Jahres gegen unseren Kapitän İlkay Gündoğan und andere Spieler geschossen hat – das führt doch zu nichts. Und das ist das komplette Gegenteil von Zusammenhalt. Ich würde mir wünschen, dass unser Land, der Verband und unsere gesamte Fußballfamilie, inklusive unserer TV-Experten, enger zusammenrücken und nicht die Spieler, den Trainer oder sonstige Dinge anzweifeln und schlechtreden. Wir benötigen einen Schulterschluss im gesamten Land und sollten Julian und seinem Trainerteam den Zuspruch zukommen lassen, den Sie benötigen, um fokussiert arbeiten zu können. Auch unseren Spielern sollten wir einen positiven Druck, nämlich den der Leidenschaft, Hingabe und Energie mitgeben, um Höchstleistungen abzurufen. Wenn das gelingt, dann bin ich überzeugt, dass wir ein gutes Turnier spielen werden.

Was bedeutet "ein gutes Turnier spielen"?

Wenn du das Halbfinale erreichst, hast du definitiv ein gutes Turnier gespielt. Manchmal braucht man aber auch das Quäntchen Spielglück. Wer weiß, wie man heute über die WM 2014 reden würde, wenn das Achtelfinale gegen Algerien (2:1 für Deutschland nach Verlängerung, Anm. d. Red.) in die Hose gegangen wäre. Ich habe die Hoffnung, dass Julian in den Wochen der Vorbereitung noch mal mehr Einfluss auf das Team nehmen kann. Und dass er mit mehr Arbeitszeit seine Ideen so transportiert bekommt, dass die Spieler seine Spielauffassung auf den Platz übertragen bekommen.

Wie haben Sie den Bundestrainer in seiner bisher kurzen Amtszeit erlebt? Dass er die Spieler nicht tagtäglich bei sich hat, dürfte gerade ihn besonders wurmen.

Das ist sicherlich keine leichte Erfahrung für ihn aktuell (lacht). Für den deutschen Fußball als Bundestrainer tätig zu sein, ist jedoch eine Ehre. Das sieht Julian auch so. Ich will keine Prognose abgeben, wie es mit ihm nach der EM weitergeht, aber er ist sicher einer, der in Zukunft wieder das tagtägliche Geschäft bevorzugen wird. Ob er den Job als Bundestrainer in seinem jungen Alter über mehrere Jahre macht, wage ich zu bezweifeln. Aber das ist eine Entscheidung, die er ganz für sich allein treffen muss – und eben auch vom sportlichen Erfolg im Sommer abhängen wird.


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Sollte sich die Konstellation ergeben, dann wird das Angebot vom DFB kommen.


Joti Chatzialexiou über einen Bundestrainer Jürgen Klopp


Es gibt sicherlich angenehmere, weniger druckvolle Situationen, als unter einem "Schattenbundestrainer" Jürgen Klopp die Nationalmannschaft zu betreuen.

Jürgen ist mit der beste deutsche Trainer. Er ist charismatisch, sympathisch, erfolgreich – ein unfassbar wichtiger Botschafter für den deutschen Fußball auch im Ausland. Sollte er den Job machen wollen, wäre das für viele Menschen eine traumhafte Vorstellung. Jürgen hat selbst die Wahl. Sollte sich die Konstellation ergeben, dann wird das Angebot vom DFB kommen, da bin ich mir sicher. Aber aktuell ist Julian Trainer und man sollte ihm und seinen Spielern vollkommen vertrauen.

Zuletzt wurde über eine Rückkehr von Toni Kroos ins DFB-Team spekuliert.

Ich will niemandem zu nahe treten, aber irgendwo ist es ein Armutszeugnis für den deutschen Fußball, dass es bislang niemand geschafft hat, den Posten, den Toni 2021 mit seinem Rücktritt freigeräumt hat, zu übernehmen. Offenbar hat Deutschland auf dieser Position ohne Toni nicht die Qualität, die man braucht, um auf internationalem Topniveau mitzuhalten.

Auch bei den Frauen steht ein Umbruch bevor, den die neue Sportdirektorin Nia Künzer mit der Nachfolgerin/dem Nachfolger von Horst Hrubesch vorantreiben muss. Waren Sie mit ihr im Austausch?

Wir haben uns das eine oder andere Mal gesehen und ausgetauscht. Ich war in den vergangenen Wochen auch immer mal wieder beim DFB, bin da also nicht Persona non grata, falls das irgendwer gedacht haben mag (lacht). Sie weiß, dass sie sich jederzeit bei mir melden kann. Ich hoffe sehr, dass sie mit einem positiven Erlebnis – der Qualifikation für Olympia – in ihr Amt starten kann.

Wie würden Sie den Zustand im deutschen Frauenfußball aktuell beschreiben? Die WM war sportlich ein Debakel, die Nations League verlief holprig, in der Champions League hat kein einziges Team die Gruppenphase überstanden.

Die aktuellen Ergebnisse in den Klubs sind ein Spiegelbild der zuletzt gezeigten Leistungen im DFB-Team. Dass es weder die Wolfsburger, die ja bereits in der Qualifikation zur Champions League gescheitert sind, noch der FC Bayern und Eintracht Frankfurt geschafft haben, die K.-o.-Runde zu erreichen, ist ein Fingerzeig. Ein negatives Ausrufezeichen. Dass das Ausscheiden bei der WM ein historisches Ereignis war, ist ebenso bekannt. Für die Frauen-Nationalmannschaft braucht es zeitnah eine Klarheit, wer diese Mannschaft in Zukunft betreuen wird.


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In der aktuellen Situation würde ich mich für einen Mann aussprechen.


Joti Chatzialexiou über die Nachfolge von Horst Hrubesch


Sie hatten doch bestimmt schon jemanden auf dem Zettel.

Ich bin und war immer ein Unterstützer von Trainerinnen. Es ist wichtig für den Frauenfußball, dass es weibliche "role models" gibt, die nach außen hin signalisieren, dass es möglich ist, diesen Posten zu übernehmen. In der aktuellen Situation würde ich mich aber für einen Mann aussprechen, da ich aktuell keine Deutsch sprechende Frau auf der Trainerposition sehe, die sich so aufdrängt, dass man an ihr nicht vorbeikommt.

Drängt sich denn ein Mann auf?

Meiner Ansicht nach ja. Ich habe ein, zwei Personen im Kopf, weil ich mich ja auch mit diesem Thema beschäftigt habe. Aber das habe ich intern geäußert und das bleibt auch so.

Der Name Colin Bell war immer wieder ein Thema.

Ja, aber vor allem, weil er mit Südkorea dafür gesorgt hat, dass wir ausgeschieden sind. Das allein ist noch kein Gütesiegel, um Bundestrainer zu werden – ohne das jetzt böse zu meinen. Ich finde, die Amerikanerinnen haben einen sehr guten Fang gemacht …

… Emma Hayes vom FC Chelsea übernimmt die US-Girls …

Das wäre eine Trainerin gewesen, die ich mir sehr gut hätte vorstellen können. Aber die USA waren einfach ein bisschen schneller.

Ich schätze Tabea und weiß, was sie meint. Es schadet nie, sich Impulse aus dem In- und Ausland zu holen. Aber wir haben intern beim DFB eine enorme Qualität. Wenn man davon überzeugt ist, dass die Trainer im eigenen Haus Potenzial haben, dann halte ich es für konsequent und auch richtig, auf dieses Potenzial zurückzugreifen. Nichtsdestotrotz: Es gibt Alternativen, die habe ich mir auch angeschaut. Jetzt bin ich aber nicht mehr derjenige, der die Entscheidung trifft.

Eintracht Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann hat jüngst eine Abspaltung der Liga vom DFB ins Spiel gebracht. Halten Sie die Idee für zielführend?

Die Professionalisierung der Liga gehört beim DFB zu den wichtigsten Themenfeldern. Wenn wir uns dem nicht stellen und gewisse Stellschrauben drehen, dann wird die deutsche Frauen-Bundesliga international das Nachsehen und nicht mehr die Stärke der vergangenen Jahre haben. Am Ende geht es wie immer auch ums Geld. Und dass die Zeit der goldenen Wasserhähne beim DFB vorbei ist, das muss ich Ihnen nicht erzählen. Ich bezweifle aber, dass eine Abspaltung die Situation verbessern und beispielsweise die DFL mehr in den Frauenfußball investieren würde.

Gefühlt redet man beim Frauenfußball immer wieder über dieselben Themen, die Entwicklung geht aber nur schleppend voran.

Ich glaube schon, dass sich in den vergangenen Jahren einiges getan hat, aber eben nicht genug. Noch mal: Die Professionalisierung muss her. Eine verstärkte Ausbildung von Fußballlehrern und -lehrerinnen, genügend Trainingsplätze, Rasenheizungen – einfach eine deutlich bessere Infrastruktur. Es kann nicht sein, dass bestimmte Vereine diese Voraussetzungen bieten und andere Mädels auf irgendeinem Acker trainieren müssen, weil sie nicht die Unterstützung bekommen, die sie verdient haben.

DFB-Geschäftsführer Holger Blask hat eine mittelfristige Aufstockung der Liga angekündigt.

Diesen Schritt haben wir in der Vergangenheit häufig diskutiert, und er ist auch Bestandteil des "Projekt Zukunft weiblich". Damals gab es jedoch keine Mannschaften, die die infrastrukturellen Voraussetzungen stemmen konnten. Heute zeichnet sich ein etwas besseres Bild ab, da einige Bundesligavereine den Frauenfußball als Chance sehen, um ihren Klub für neue Zielgruppen attraktiv zu machen. Daher wäre zukünftig eine Aufstockung sinnvoll.

Die letzten 13 Monate waren sportlich mehr als unbefriedigend, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Anfang Dezember konnten Sie in Indonesien zumindest einen deutschen WM-Erfolg im Nachwuchs bejubeln, die deutsche U17 wurde Weltmeister. Ein versöhnlicher Abschluss für Sie?

Definitiv. Das war sehr emotional und hat mich für die Jungs unglaublich gefreut. Aber ich weiß auch, dass die Mannschaften darüber sportlich keine gute Figur abgegeben haben. Rückblickend kann ich sagen, dass es hilft, durch eine Krise zu gehen. Für meine kommenden Stationen wird das ungemein wichtig gewesen sein. Wichtig für den deutschen Fußball wird nur sein, dass wir uns, nur weil die U17 jetzt Weltmeister geworden ist, nicht in die Hängematte legen.

Haben Sie Sorge, dass das passieren könnte?

Wir wollen den deutschen Fußball zurück an der Weltspitze sehen. Stand jetzt habe ich ein bisschen Bauchgrummeln, weil ich nicht weiß, ob wir auf gewissen Positionen die Qualität haben werden, um Titel zu gewinnen. Deutschland ist eine Fußballnation. Wir werden immer eine gute Mannschaft stellen und auch Talente herausbringen. Aber es darf nicht sein, dass sich Ideen und Anregungen über Jahre ziehen. Und das mussten ich und mein Team leidlich im "Projekt Zukunft" feststellen. Das 9-gegen-9 beispielsweise, das noch vom früheren DFB-Sportdirektor Matthias Sammer konzipiert wurde, ist erst nach acht Jahren in der D-Jugend deutschlandweit umgesetzt worden. Acht Jahre sind in anderen Branchen Lichtjahre, da verlierst du irgendwann den Anschluss. Sollte ich jobtechnisch in Deutschland bleiben, dann werde ich sicherlich weiter auch für diese Themen kämpfen.

Neben Ihnen hat auch Tobias Haupt, langjähriger Bereichsleiter der DFB-Akademie, den Verband verlassen. Reißt der DFB seine eigene Arbeit wieder ein?

Tobi war immer wieder ein wichtiger Ansprechpartner für mich. Unser Ziel war es, mit der DFB-Akademie technische und andere Innovationsthemen in unser Land zu bringen und sie der Fußballfamilie zur Verfügung zu stellen. Mirko Dismer wird diese Aufgabe nun federführend übernehmen und weiterführen. Einige Themen werden fortgesetzt. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass Andreas Rettig andere Schwerpunkte setzen wird.


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Eine andere Sportart kommt, Stand jetzt, für mich nicht infrage.


Joti Chatzialexiou über seine persönliche Zukunft


Über Ihre persönliche Zukunft wurde zuletzt auch viel spekuliert, der VfB Stuttgart sucht aktuell einen Sportvorstand. Ein Thema für Sie?

Zu diesen Gerüchten habe ich mich nie geäußert und werde ich auch in Zukunft nicht. Wenn es was zu vermelden gibt, dann werde ich es bekannt geben. Ich kann sagen, dass mich der Vereinsfußball sehr interessiert und ich auch stärker ins Tagesgeschäft möchte. Wie bei Trainern auch, die im Klub Tag für Tag mit ihrer Mannschaft auf dem Platz stehen möchten, reizt mich auch eine Aufgabe, bei der es Woche für Woche um Fußball geht. Der VfB ist ein toller Verein, mit einem wundervollen Trainer. Ich freue mich für die Menschen vor Ort und schaue mir gerne schönen Fußball an, deswegen werde ich mir auch in Zukunft sicherlich das eine oder andere Spiel des VfB anschauen.

Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff ist aktuell als Berater bei den New England Patriots in der NFL tätig. Ist für Sie solch ein Sportartenwechsel auch vorstellbar?

Mein Herz gehört dem Fußball. Eine andere Sportart kommt, Stand jetzt, für mich nicht infrage. Ich bin als kleiner Junge auf dem Bolzplatz groß geworden und möchte die Dinge, die ich über die vergangenen Jahre beim DFB erlebt habe und entwickeln konnte, weiter vorantreiben. Im Fußball bin ich am besten aufgehoben.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Joti Chatzialexiou
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