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Wie Xi Jinping in China seine Macht zementiert: "Auf die schlimmsten Fälle vorbereiten"


Xi Jinping auf Parteitag
"Auf die schlimmsten Fälle vorbereiten"

Von dpa, afp, reuters, t-online
Aktualisiert am 16.10.2022Lesedauer: 5 Min.
imago images 170944926Vergrößern des BildesXi Jinping: Plant der chinesische Staatschef ein Leben lang an der Macht zu bleiben? (Quelle: IMAGO/Adrien Fillon/imago-video)
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Auf dem Parteitag der Kommunisten will Xi Jinping seine Macht weiter zementieren. Möglicherweise wird er sie erst mit seinem Tod wieder abgeben.

Chinas Kommunistische Partei will die Macht von Xi Jinping ausweiten – auf Lebenszeit und darüber hinaus. Zum Auftakt des nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteitages in Peking stimmte der Staats- und Parteichef das Milliardenvolk am Sonntag auf schwierige Zeiten ein und warnte vor "potenziellen Gefahren".

In seiner Grundsatzrede rief der Präsident das Milliardenvolk dazu auf, sich "auf die schlimmsten Fälle vorzubereiten": "Deswegen richtet euch darauf ein und seid vorbereitet, starken Winden, schwerer See und selbst gefährlichen Stürmen standzuhalten."

International sah der Parteichef "immense Risiken und Herausforderungen" sowie "globale Veränderungen, wie sie in einem Jahrhundert nicht gesehen worden sind". Seine knapp zweistündige Rede in der Großen Halle des Volkes vor roten Fahnen sowie goldenem Hammer und Sichel war stark ideologisch geprägt. Er rief die rund 2.300 Delegierten dazu auf, loyal seiner Führung zu folgen, um ein "modernes sozialistisches Land" zu schaffen. Diese "chinesische Modernisierung" werde einen Beitrag für die Menschheit leisten.

Bald auf einer Ebene mit Mao?

Die Delegierten werden ein neues Zentralkomitee bestimmen. Das Führungsgremium soll ihm nicht nur eine historische dritte Amtszeit sichern, sondern auch eine lebenslange Führungsrolle – ähnlich wie beim "großen Steuermann" Mao Tsetung, dessen Alleinherrschaft aber im Chaos endete. Auch wird der Parteitag Xi Jinpings Ideologie tiefer in der Parteiverfassung verankern, damit sie als Leitlinie noch über Jahrzehnte Bestand hat. "Die beständigen Veränderungen werden im Wesentlichen sicherstellen, dass die Partei tun muss, was Xi Jinping sagt", meinte Nis Grünberg vom China-Institut Merics in Berlin.

Mit seiner Rede enttäuschte Xi Jinping auch Hoffnungen, dass die strikte Null-Covid-Strategie des Landes gelockert werden könnte. Er nannte sie "notwendig" und sah "ermutigende Errungenschaften". Während der Rest der Welt versucht, mit dem Virus zu leben, verfolgt China weiter ein Null-Toleranz-Ziel. Die Lockdowns, Massentests, Quarantäne und digitale Kontaktverfolgung haben die zweitgrößte Volkswirtschaft allerdings in eine Wachstumskrise gestürzt.

Überwachung als zentrales Machtinstrument

Soziale Kontrolle ist schon lange ein wichtiger Pfeiler des Systems. Doch seit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2012 hat sie ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. In den Jahren vor dem Machtwechsel an der Staatsspitze herrschte sogar eine gewisse Entspannung: Die Zivilgesellschaft testete die Grenzen aus, in Internetforen wurde über die Zensur gespottet.

Unter Xi sorgte der Staatsapparat dann mit Gesetzen, neuer Technologie und Ideologie dafür, dass kein Verstoß unentdeckt bleibt – egal ob es sich um Kriminelle, Oppositionelle oder einfache Bürger handelt.

In chinesischen Städten gibt es laut dem Forschungsinstitut Comparitech durchschnittlich 370 Kameras pro 1.000 Einwohner, womit die Volksrepublik weit vor Singapur (18 Kameras pro 1.000 Einwohner) oder London (13 Kameras pro 1.000 Einwohner) liegt.

Zensur wird zur Normalität

Zwar führten auch andere Länder auf der Welt Überwachungssysteme ein, aber "der eigentliche Unterschied in China ist das Fehlen unabhängiger Medien und einer Zivilgesellschaft, die in der Lage wären, diese Neuerungen ernsthaft zu kritisieren", sagt Jeremy Daum vom Paul Tsai China Center an der Yale Law School in den USA.

Die sogenannte digitale Große Mauer zensiert das Internet in China, indem sie viele ausländische Websites blockiert. Wang, ein Oppositioneller der unter diesem Pseudonym auftritt, dokumentierte auf Twitter seit 2013 Tausende Fälle von Chinesen, die wegen Äußerungen im Internet festgenommen oder bestraft wurden. Darunter sind auch Menschen, die über eine mysteriöse Krankheit in der Stadt Wuhan berichteten, die sich später als Covid-19 herausstellte.

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Xi habe die Gesellschaft so umgestaltet, dass "die Partei vorschreibt, was das Volk wissen, fühlen, denken, sagen und tun soll", urteilt Vivienne Shue, emeritierte Professorin für zeitgenössische Chinastudien in Oxford. Noch mehr als die Zensur an sich beunruhigt den Dissidenten Wang, "wie sie die Ideologie der Menschen prägt, vor allem die Generation Z, die mit dieser strengen Zensur aufgewachsen ist".

"Spürte den zunehmenden Druck"

Viele beschreiben 2015 als Wendepunkt. Mehr als 300 Anwälte und Aktivisten wurden damals verhaftet. In diesem Jahr wurde auch der Gesetzentwurf vorgelegt, der es Nichtregierungsorganisationen verbietet, Geld aus dem Ausland zu erhalten. 2017 trat das Gesetz in Kraft und war der Todesstoß für viele Nichtregierungsorganisationen (NGO).

Kein Vergleich zu dem relativ liberalen Klima Anfang der 2010er Jahre unter Präsident Hu Jintao. Damals habe man an der Universität über sexuelle Identität diskutieren können, erinnert sich Carl, Aktivist einer LGBTQ-Gruppe. "Man spürte den zunehmenden Druck, aber die Themen wurden durch die öffentliche Debatte auch sichtbarer."

"Von einem Mühlstein zermahlen"

2018 habe sich die Lage weiter verschärft. "Zuvor auf dem Campus tolerierte Aktivitäten wurden verboten und ideologischer Unterricht ausgeweitet", sagt Carl. Im Juli bestrafte die renommierte Tsinghua-Universität in Peking zwei Studenten, die Regenbogenfahnen verteilt hatten.

Ein Vorbote des Rückschritts war ein parteiinternes Kommuniqué von 2013, in dem das Eintreten für so genannte westliche liberale Werte wie zivilgesellschaftliches Engagement und Pressefreiheit verboten wurde. "In den 1980er Jahren konnte man darüber diskutieren und Bücher dazu veröffentlichen", sagt die regierungskritische Journalistin Gao Yu, die von 2015 bis 2019 im Gefängnis saß. Frei ist die 78-Jährige auch heute nicht: Sie darf weder Anrufe aus dem Ausland annehmen noch sich mit Freunden treffen. "Wir sind wie Maiskörner, die von einem Mühlstein zermahlen werden", klagt sie.

"Der Kern dessen, was wir tun"

Durch zu innenpolitischer Kontrollen mischen sich zunehmend auch aggressive außenpolitische Töne: Mitten in den wachsenden Spannungen mit den USA um Taiwan plädierte Xi auf dem Parteitag für den Ausbau der Volksbefreiungsarmee und drohte mit einem Militäreinsatz gegen die demokratische Inselrepublik. China strebe eine friedliche "Vereinigung" an, "aber wir werden uns niemals verpflichten, den Einsatz von Gewalt aufzugeben". Peking betrachtet die Insel nur als Teil der Volksrepublik. Taiwan wies die Drohungen umgehend zurück: "Konfrontation ist definitiv keine Option", sagte ein Präsidentensprecher in Taipeh. Taiwan sei ein unabhängiges Land.

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Auf den Krieg in der Ukraine ging Xi nicht ein. Auch zum Vorgehen Pekings gegen die Uiguren in Xinjiang äußerte er sich nicht. Der Westen wirft China schwere Menschenrechtsverletzungen in der Region im Nordwesten Chinas vor.

Rehema Awuqi von der Xinjiang-Delegation sagte der Nachrichtenagentur AFP nach Xis Rede: "Wir in Xinjiang leben so glücklich, weil unsere große Partei uns führt... Als Uigurin bin ich sehr dankbar, dass ich hier in China leben kann."

Einige der Delegierten trugen die Trachten ethnischer Minderheiten. He Xiangyin, Delegierte aus Guangxi, sagte AFP über Xi: "Solange er sich für das Glück der Menschen einsetzt und unsere Lebensqualität weiter verbessert, werden wir ihn alle unterstützen. Er ist der Kern dessen, was wir tun."

"Reform und Öffnung zu einem Ende gekommen"

"Wir haben uns von kollektiver Führung zu Alleinherrschaft entwickelt, von Amtszeitbegrenzungen zu lebenslanger Führung, von Leistung zu Loyalität, von privatem zu staatlichem Sektor, von Reichtum zu gemeinsamem Wohlstand, von Globalisierung zu technischer Eigenständigkeit", sagte der China-Experte McGregor. Aus Koexistenz zwischen China und den USA sei auch noch "Konfrontation" geworden.

Der chinesische Politikwissenschaftler Wu Qiang sah wachsende Isolation, indem China seine Grenzen wegen der Null-Covid-Politik abschottet und auf Eigenständigkeit setzt. "Ich glaube, dass 40 Jahre Reform und Öffnung zu einem Ende gekommen sind", sagte der Dozent, der wegen kritischer Analysen die renommierte Tsinghua-Universität in Peking verlassen musste. "China ist durch Globalisierung sowie Reform und Öffnung stark geworden und hat diese Macht bewahrt, deswegen wird es nicht leicht sein, sich abzukoppeln." Aber ideologisch sei die Reform- und Öffnungspolitik längst aufgegeben worden.

Angesichts des Personenkults um Xi und seiner Macht im Parteiapparat sehe es so aus, als wolle er für lange Zeit die Herrschaft übernehmen, sagt der Hongkonger Politikwissenschaftler Jean-Pierre Cabestan. "Vielleicht ein Leben lang."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa, Reuters und AFP
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