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Chinas aggressive Außenpolitik bedroht Deutschland: "Gefahr für unsere Sicherheit"


Kurswechsel in Peking
"China ist eine Bedrohung für unsere Sicherheit"

MeinungMichael Roth

Aktualisiert am 12.02.2023Lesedauer: 6 Min.
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Chinesische Soldaten bei einer Übung (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Chinesische Soldaten bei einer Übung (Archivbild). (Quelle: Kirill Kukhmar via www.imago-images.de)

Die Führung in Peking baut ihren globalen Einfluss auf gefährliche Weise aus. Deutschland braucht dringend eine neue China-Strategie. Der SPD-Außenexperte Michael Roth nennt die wichtigsten Schritte.

China hat sich seit der Machtübernahme von Staats- und Parteichef Xi Jinping deutlich verändert: Das Land ist nach innen autoritärer und ideologischer geworden, nach außen tritt es immer aggressiver auf. Beim 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im Oktober 2022 hat Xi seine Macht zementiert und die wichtigsten Posten mit engen Vertrauten besetzt. Zuletzt hat das abrupte Ende der Null-Covid-Strategie unterstrichen, dass die kommunistische Führung immer unberechenbarer wird und dabei auch den Tod zehntausender Landsleute in Kauf nimmt.

Welche Risiken ein autoritär und erratisch geführtes Land mit einem ausgeprägten Führerkult auch für uns mit sich bringt, erleben wir derzeit tagtäglich bei Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. China ist nicht Russland, aber klar ist: China ist nicht länger nur ein Markt mit gewaltigem Potenzial, sondern eben auch ein Risiko für unseren Wohlstand und eine Bedrohung für seine demokratischen Nachbarn und damit auch für unsere eigene Sicherheit.

Die neue China-Strategie der Bundesregierung muss diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Sie muss eine klare Antwort auf die wachsenden Risiken geben, die von China ausgehen. Und sie muss unseren europäischen Partnern deutlich machen: Es ist Schluss mit Deutschlands "Business First"-Mentalität. Allzu lange haben wirtschaftliche Interessen die außen- und sicherheitspolitischen Bedenken in den Hintergrund treten lassen. Wenn Deutschland seiner europäischen Führungsrolle gerecht werden will, dann muss unsere China-Strategie in einen gesamteuropäischen Rahmen eingebettet sein.

Michael Roth
Michael Roth (SPD) (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Der Außenexperte

Michael Roth ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und Präsidiumsmitglied der SPD.

Am Anfang der Neujustierung unserer China-Politik muss eine schonungslose Bestandsaufnahme stehen: China ist seit Xi Jinpings Aufstieg an die Spitze von Partei und Staat nicht mehr dasselbe Land. Alles, was die Herrschaft der Kommunistischen Partei potentiell gefährden könnte, wird erbarmungslos bekämpft: Meinungsfreiheit, Zivilgesellschaft, Minderheiten. Besonders dramatisch ist die Situation in der Provinz Xinjiang, wo hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren in Umerziehungs- und Arbeitslagern gefangen gehalten werden. Ein jüngst von der UN-Menschenrechtskommissarin veröffentlichter Bericht spricht von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren.

Doch China ist nicht nur nach innen autoritärer und ideologischer geworden, sondern tritt auch nach außen zunehmend aggressiv auf. Im Südchinesischen Meer verfolgt Peking mit der völkerrechtswidrigen Besetzung und Militarisierung umstrittener Inselterritorien eine expansive Politik, um die Kontrolle über die Region zu erlangen. Auf dem jüngsten Parteitag hat Präsident Xi eine gewaltsame Wiedervereinigung mit Taiwan nicht mehr ausgeschlossen. Dazu passt, dass China seit Jahren massiv militärisch aufrüstet und mittlerweile über den zweitgrößten Militärhaushalt der Welt verfügt. Die aufgeheizte Debatte über den chinesischen Spionageballon ist ein Vorgeschmack auf den sich zuspitzenden Konflikt zwischen China und den USA in den kommenden Jahren.

So baut China seine Wirtschaftsmacht aus

Auch wirtschaftlich ist China in Xis Amtszeit zu einer Weltmacht mit globalen Ansprüchen aufgestiegen. Für mehr als die Hälfte aller Länder weltweit ist China inzwischen der größte Handelspartner. Zudem investiert China im Rahmen der Initiative Neue Seidenstraße massiv in Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt und präsentiert sich insbesondere im Globalen Süden als alternatives Entwicklungsvorbild. China hat seine wachsende wirtschaftliche Bedeutung genutzt, um auch politisch Einfluss zu gewinnen und Abhängigkeiten zu schaffen – auch bei uns in Europa. Es ist das erklärte Ziel der kommunistischen Führung, China unabhängiger von der Welt und die Welt abhängiger von China zu machen.

Chinas Rolle im Zuge des russischen Angriffskriegs hat deutlich gemacht, welche Ziele das Land international verfolgt. Zwar gibt sich Peking offiziell neutral, aber gleichzeitig wäre Russland ohne Chinas politische und wirtschaftliche Unterstützung international isoliert und wirtschaftlich noch tiefer in der Krise. Beide Länder verfolgen dasselbe strategische Ziel: Sie wollen eine internationale Ordnung, die nicht auf der Stärke des Rechts, sondern auf dem Recht der Stärkeren basiert. Russland und China teilen auch ihre Ablehnung der liberalen Demokratie, die als Bedrohung ihrer totalitären Systeme wahrgenommen werden. Deswegen führt Russland einen Vernichtungskrieg gegen die demokratische Ukraine. Deswegen droht China dem demokratischen Taiwan mit einer gewaltsamen Wiedervereinigung.

China hat sich stark verändert – und deshalb muss sich auch unser Umgang mit China verändern. Niemand will einen neuen Kalten Krieg oder eine Spaltung der Welt in ein westliches und ein chinesisch dominiertes Lager. Wir sollten weiter an dem Prinzip festhalten, nicht nur über, sondern mit China zu reden. Wir müssen eine gewisse Ambivalenz ertragen, dass China in vielen Bereichen unser Wettbewerber und Systemrivale ist, wir aber gleichzeitig bei anderen Themen mit Peking im Gespräch bleiben und zusammenarbeiten. Es gibt viele globale Bewährungsproben, die wir nur gemeinsam mit China lösen können – allen voran die Bekämpfung des Klimawandels. Aber wir sollten uns nichts vormachen: In dem Dreiklang aus Partner, Wettbewerber und Systemrivale haben sich die Gewichte bei China zuletzt deutlich zu den beiden letztgenannten verschoben.

Der falsche Ansatz

Mit Blick auf China ist Deutschland der Schlüsselstaat in Europa: Kein anderes Land ist einerseits so verwundbar und verfügt gleichzeitig über so viel Einfluss in Peking. Deswegen beobachten unsere europäischen Partner ganz genau, wie wir unser Verhältnis zu China neujustieren. Die Bundesregierung sollte daher mit gutem Beispiel vorangehen und deutlich machen, dass es ein einfaches "Weiter so" mit China nicht geben kann.

Wir müssen weg von der durch Peking gezielt betriebenen Bilateralisierung der Beziehungen hin zu einer gemeinsamen europäischen China-Politik. Als EU-Staaten müssen wir uns auf die Grundpfeiler einigen, in den zentralen Themen eng abstimmen und mit einer Stimme sprechen. Europas Geschlossenheit, die unsere gemeinsame Antwort auf Russlands Angriffskrieg prägt, muss auch Vorbild für unsere China-Politik sein. Wichtige Schritte wären gemeinsame Reisen europäischer Staats- und RegierungschefInnen nach Peking sowie die europäische Einbettung der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, z. B. durch die Teilnahme von RepräsentantInnen der EU-Institutionen.

China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Deutsche Unternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten hervorragende Geschäfte in China gemacht und dort massiv investiert. Das hat aber auch zu gefährlichen Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten in Produktions- und Lieferketten sowie Absatzmärkten geführt. Gleichzeitig hat China seinen Einfluss in Europa durch Investitionen in die kritische Infrastruktur ausgebaut. In vielen Bereichen ist das Ausmaß der Abhängigkeiten noch gar nicht bekannt. Nach den Erfahrungen mit Russland müssen wir diese einseitigen Einflussmöglichkeiten schnellstmöglich reduzieren.

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Erster Schritt unserer China-Strategie muss deswegen ein Stresstest zur Identifizierung dieser gefährlichen Abhängigkeiten sein. Zweitens müssen wir entscheiden, aus welchen kritischen Bereichen chinesische Unternehmen künftig ausgeschlossen werden sollen. Drittens müssen wir eine kluge Diversifizierungsstrategie verfolgen, die auf neue Rohstoffpartnerschaften und Handelsabkommen mit demokratischen Wertepartnern setzt. Zuletzt brauchen wir eine EU-Industriestrategie, die europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb stärkt. Dazu gehören eine Investitionsoffensive, ein Update des EU-Beihilferechts und ein massiver europaweiter Ausbau der erneuerbaren Energien.

Europa muss der bessere Wettbewerber sein

Auch wenn die Gemeinschaft liberaler Demokratien so geeint ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, nimmt unser globaler Einfluss ab. Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie uns die schweren Fehler des Westens im Umgang mit dem Völkerrecht und die Vernachlässigung des Globalen Südens auf die Füße fallen. Wir müssen auf diese Staaten zugehen und ihnen auf Augenhöhe mit attraktiven Angeboten begegnen.

Die Global Gateway Initiative, das 300 Milliarden Euro schwere globale Infrastrukturprojekt der EU, muss deshalb endlich mit Leben gefüllt werden. Die EU braucht den Wettbewerb mit China nicht scheuen, wenn sie Staaten in Afrika, Lateinamerika oder auf dem westlichen Balkan glaubhaft vermitteln kann, dass die Zusammenarbeit mit anderen Demokratien unter dem Strich attraktiver und nachhaltiger ist als mit autoritären Regimen.

Russlands Überfall auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf die Demokratie. Nicht nur, aber auch deshalb engagieren sich Staaten wie Japan oder Australien, die tausende Kilometer entfernt liegen, so vorbildlich für die Ukraine. Diese Staaten hoffen auf unseren Beistand, sollte China jemals militärisch eskalieren. Das demokratische Taiwan ist am konkretesten durch Peking bedroht und verdient unsere Solidarität. Der Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den Demokratien im Indopazifik muss ein Leitprinzip unserer China-Politik sein. Auch hier sollten wir eng mit unseren transatlantischen Partnern zusammenarbeiten.

Für eine erfolgreiche China-Strategie gilt es, die richtigen Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen. Es kann kein einfaches "Weiter so" im Umgang mit autoritären Staaten geben. Insbesondere nicht mit einem China, das immer autoritärer und aggressiver auftritt. Die systemische Bedrohung aus China verlangt eine systemische Antwort. Es muss gelten: Europäisches Teamspiel ausbauen, wirtschaftliche Risiken und Abhängigkeiten minimieren, kooperieren wo möglich und nötig, in eigene Stärken investieren sowie alte und neue Partnerschaften stärken.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag
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