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Erdogans Macht in der Türkei bricht zusammen: Rebellion in der AKP


Rebellion in der AKP
Erdogans Macht erodiert

Eine Analyse von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 19.09.2019Lesedauer: 6 Min.
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Recep Tayyip Erdogan mit seiner Frau Emine: Der türkische Präsident hat im eigenen Land mit einer Währungskrise zu kämpfen.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdogan mit seiner Frau Emine: Der türkische Präsident hat im eigenen Land mit einer Währungskrise zu kämpfen. (Quelle: Reuters-bilder)

Der Machtzerfall Erdogans in der Türkei schreitet rasant voran. Durch innen- und außenpolitische Niederlagen verliert der Präsident zunehmend die Kontrolle. Eine Zeitenwende in dem Land rückt näher.

Ein Ausdruck von Erschöpfung liegt in seinem Blick. Unbeholfen ergreift Recep Tayyip Erdogan zu Beginn des Syrien-Gipfels die Hände von Wladimir Putin und Hassan Ruhani. Der türkische Präsident lächelt für die Fotografen, pflegt auf der großen internationalen Bühne sein Selbstbild als den starken Mann seines Landes.

Aber bei den Gesprächen mit Russland und dem Iran steht die Türkei am Montag im Abseits. Für Erdogan droht der Bürgerkrieg im Nachbarland seine größte außenpolitische Niederlage zu werden. Doch es ist nur der neueste Akt in einem Jahr des Scheiterns für den 65-Jährigen.

Die wirtschaftliche Krise stellt immer mehr Menschen in der Türkei vor immer größere Probleme. Im Zuge dessen zerbricht die Machtbasis von Erdogan in einem unfassbaren Tempo, der Kampf um sein politisches Überleben hat längst begonnen. Führende Politiker und zahlreiche Mitglieder treten aus seiner AKP aus, und aufgrund der Wirtschaftskrise rutschen die Zustimmungswerte des Präsidenten immer weiter in den Keller.

Einsam an der Spitze

Erdogan ist Scheitern nicht gewöhnt. Für viele Türkinnen und Türken war er ein Heilsbringer. Bei seiner ersten Wahl zum Ministerpräsidenten regierte er zunächst ein Land, das von Militärputschen und von Armut und Arbeitslosigkeit durch die Wirtschaftskrise im Jahr 2001 gebeutelt war. Erdogan gründete die Islam-konservative AKP, gab vielen konservativen und religiösen Menschen eine politische Heimat. Diese Basis machte seine Partei zur mit Abstand stärksten Kraft.

Der rasante wirtschaftliche Aufschwung und der dadurch einkehrende Wohlstand im Land führten die AKP wiederholt bei Wahlen zu absoluten Mehrheiten. Als Erdogan Präsident wurde, führte er mit knapper Zustimmung der Bevölkerung das Präsidialsystem ein und war am Zenit seiner Macht. Er ließ sich einen Palast bauen, forcierte innen- und außenpolitische Großmachtfantasien. Die Türkei sollte an die Vergangenheit des Osmanischen Reiches anknüpfen, mit ihm als starkem Oberhaupt.

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Erstmal an der Macht, ließ Erdogan nie viel Platz neben sich an der Spitze von Staat und Partei. Er entmachtete Weggefährten, wenn sie zu ehrgeizig wurden, schaltete Medien gleich und warf Oppositionspolitiker ins Gefängnis – nach dem Putschversuch 2016 kämpfte er gegen die einflussreiche Gülen-Bewegung. Auch in der AKP duldete Erdogan keinen Widerspruch und verhinderte, dass sich Politiker als führende Köpfe der Partei und damit als Konkurrenz zu ihm aufbauten.

Mit zunehmender Machtfülle wurde der türkische Präsident weniger empfänglich für Beratungen. In der Folge häuften sich besonders in den letzten Jahren seine Fehleinschätzungen, die das Land in schwere Krisen stürzten:

  • Wirtschaftswachstum bis zum Kollaps: Erdogans Wirtschaftspolitik ist kompromisslos auf Wachstum ausgelegt. Das Problem: Es ist Wirtschaftswachstum auf Pump. Die Türkei sitzt auf einem riesigen Schuldenberg und ist von Importen und ausländischen Devisen abhängig. Durch einen sehr niedrigen Leitzins in der Türkei wurden Unternehmen stets mit Kapital versorgt. Dies führt zwar zu Wirtschaftswachstum, aber auch zu einer starken Inflation.

    Mit einem einzigen Interview im Jahr 2018 brachte Erdogan dieses wackelige System fast zum Einsturz. Er erwog, in die Politik der unabhängigen Notenbank einzugreifen. Ausländische Investoren verloren daraufhin das Vertrauen, die türkische Lira stürzte ab und die im Ausland aufgenommenen Kredite wurden für die Türkei teuer. Das Land rutschte in die Rezession, die Armut und Arbeitslosigkeit im Land steigen.
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  • Außenpolitische Niederlagen: Der türkische Präsident sieht sein Land als Nachfolger des Osmanischen Reiches. Die Türkei möchte einerseits als Brücke zwischen Europa und der arabischen Welt fungieren, vor allem aber eine Vormachtstellung im Nahen Osten innehaben. Dafür verbündete sich Erdogan in Ägypten mit den Muslimbrüdern oder in Syrien mit teilweise radikal-islamistischen Rebellen, die gegen das Assad-Regime kämpfen. Im Syrien-Krieg verfolgt die Türkei eigene sicherheitspolitische Interessen: Sie möchte ein autonomes Kurdengebiet an der eigenen Grenze verhindern.

    Mit der Absetzung Assads wollte Erdogan aber auch seinen Einfluss in der Region ausbauen. Dieses Vorhaben schlug fehl. In dem Bürgerkriegsland steht die Türkei mit dem Rücken zur Wand, Russland und der Iran kämpfen an der Seite von Assad. Wegen der Wirtschaftskrise kann sich die Türkei einen umfangreichen militärischen Konflikt nicht leisten. Im Kampf um die letzte Rebellenregion Idlib geben sich Russland und der Iran gegenüber Erdogan kompromisslos. Alle Versuche Ankaras, einen Angriff durch das Assad-Regime zu verhindern, sind gescheitert. Ein außenpolitischer Gesichtsverlust für den türkischen Präsidenten.
  • Von Putin in Syrien ausgespielt: Erdogan steckt in der Zwickmühle

Rebellion in der AKP

Diese Fehleinschätzungen machen Erdogan angreifbar. Vor allem durch die Wirtschaftskrise sank die Zustimmung für ihn und seine AKP in den vergangenen Monaten rasant ab. Auf diese Gelegenheit warteten seine politischen Gegner.

Einst treue Parteisoldaten treten aus der AKP aus. Anfang September war es der ehemalige Parteivorsitzende und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, den Erdogan 2016 aus beiden Ämtern drängte. Zuvor verließ der ehemalige Wirtschaftsminister Ali Babacan die AKP. Beide möchten offenbar neue Splitterparteien gründen, vermutlich wird Babacan von Ex-Präsident Abdullah Gül unterstützt.

Die führenden Köpfe, die sich von der Partei abwenden, sind das Sinnbild der Machterosion Erdogans. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs, denn in den letzten Monaten haben auch Hunderttausende Mitglieder die AKP verlassen.

Erdogan reagierte, wie Erdogan in der Vergangenheit oft bei Angriffen reagierte: Er beschimpfte Davutoglu und die abtrünnigen Weggefährten als Verräter: "Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen, wenn die Zeit gekommen ist."

Nicht mehr unschlagbar

Der Präsident dürfte sich der Gefahr bewusst sein. Neue Splitterparteien würden der AKP im konservativen Lager Wählerstimmen kosten, die Vormachtstellung der Erdogan-Partei wäre in Gefahr.

Dass nun auch Teile der eigenen Partei gegen Erdogan rebellieren, ist kein Zufall. Bei den Kommunalwahlen im März musste die AKP empfindliche Niederlagen hinnehmen, die Städte Ankara und Istanbul wurden an die sozialdemokratische CHP verloren. Vorher galt, dass Erdogan jede Wahl gewinne, auch wenn es um seine Partei gerade nicht gut stehe. Den Nimbus der Unbesiegbarkeit hat er nun verloren.

Und dies stärkte auch die Opposition. Mit Ekrem İmamoglu regiert nun in Istanbul der neue Hoffnungsträger der CHP, der möglicherweise Erdogan bei den nächsten Präsidentschaftswahlen herausfordern soll. In der Metropole ließ er nicht viel Zeit verstreichen und stellte die AKP gleich zu Beginn seiner Amtszeit bloß. So strich er Gelder für AKP-Stiftungen und ließ Hunderte Dienstwagen der Stadtverwaltung auf dem Yenikapi-Platz aufreihen, die teilweise angeblich von der vorigen AKP-Administration an Freunde der Partei gegeben wurden. Mit dieser symbolischen Aktion wollte er Korruption und Vetternwirtschaft offenlegen. "Mein Ziel ist, die Vergeudung in dieser Stadt zu unterbinden", sagte İmamoglu.

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Machtkampf auf dem Rücken der Flüchtlinge

Erdogan ist in die Defensive gedrängt worden, der Machtkampf um seine Nachfolge hat bereits begonnen, auch mit Folgen für Europa: Die Türkei nahm im Zuge des syrischen Bürgerkrieges 3,6 Millionen Flüchtlinge auf, durch die Kämpfe in Idlib drohen neue Fluchtwellen. Doch durch die Wirtschaftskrise lehnt eine Mehrheit der türkischen Bevölkerung die Aufnahme von Flüchtlingen mittlerweile ab und es gibt zunehmend Spannungen in der Gesellschaft.

Deshalb steht inzwischen auch der EU-Türkei-Deal auf der Kippe. Erdogan möchte keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, aber gleichzeitig auch ein wichtiges Druckmittel gegenüber der EU nicht aus der Hand geben. Deswegen fordert er mehr Geld und möchte die Flüchtlinge wieder in Syrien ansiedeln. Auch İmamoglu hat angekündigt, keine neuen Flüchtlinge mehr nach Istanbul zu lassen.

Der innenpolitische Druck auf Erdogan ist enorm. In den Verhandlungen mit der EU wird er aggressiv und unnachgiebig auftreten müssen. Eine weitere Niederlage in der Wahrnehmung der türkischen Öffentlichkeit kann sich der Präsident nicht leisten. Die nächste Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei ist zwar erst im Jahr 2023, aber wenn er seinen Sturz vermeiden will, braucht Erdogan Erfolge. Besonders in der Wirtschaft, aber auch auf der internationalen Bühne.


Sollte Erdogan abtreten müssen, gäbe es in jedem Fall ein riesiges Machtvakuum. Noch unklar ist, welche politische Kraft überhaupt in der Lage wäre, es zu füllen. Diese Ungewissheit ängstigt auch progressive Kräfte im Land, denn viele fürchten die Rückkehr in alte Chaoszeiten. Auch mit dem Blick auf einen schwächer werdenden Präsidenten kann sich ein Großteil der türkischen Bevölkerung ein Szenario dieser Tage noch nicht vorstellen: eine Türkei ohne Erodgan.

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