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Ukraine-Krieg: Stolpern wir in einen Dritten Weltkrieg?


Ukraine
Stolpern wir in einen Dritten Weltkrieg?

MeinungVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 07.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Prorussische Truppen ohne Hoheitsabzeichen in Donezk: Die Grotesken sind aufs Fürchterlichste von der Wirklichkeit überholt worden.Vergrößern des Bildes
Prorussische Truppen ohne Hoheitsabzeichen in Donezk: Die Grotesken sind aufs Fürchterlichste von der Wirklichkeit überholt worden. (Quelle: REUTERS/Alexander Ermochenko/Montage: Ulrike Frey für t-online)

Die Wirklichkeit des Ukraine-Kriegs übertrifft aufs Fürchterlichste, was sich Filmregisseure ausdenken konnten. Und auch ein Buch über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs kommt einem dieser Tage unweigerlich in den Sinn.

Auf dem Bildschirm verschwimmen zurzeit die realen und die fiktiven Welten auf verstörende Weise. Arte zeigt aktuell erstmals in deutscher Sprache Wolodymyr Selenskyj in der Rolle, die ihn zum Präsidenten der Ukraine gemacht hat: Eine Satire über einen engagierten Lehrer, den ein heimlich aufgenommener Video-Rant über die politischen Verhältnisse im Land und eine Crowd-Funding-Aktion seiner Schüler unverhofft zum Sieger der Präsidentenwahl machen.

Urkomisch, wie "Der Diener des Volkes", Geschichtslehrer (!) und Zufallspräsident Holoborodko von seinem persönlichen Aufpasser begleitet im Fond einer schwarzen Mercedes-S-Klasse und zwei flankierenden G-Mercedes staunend durch sein neues Leben rast. Wie sich Lakaien vor ihm aufreihen, seine Schulden bei der Bank auf wundersame Weise verschwinden, er in feinstem Zwirn und in beste Schuhe gesteckt, von einem Heer an Visagisten und Masseurinnen auf Hochglanz poliert wird, während sein Vater am Handy im Minutentakt Posten und Pöstchen an Freunde und Verwandte in diesem von Korruption zerfressenen Land vertickt.

Ein Klick auf der Fernbedienung, und man sieht den gleichen Selenskyj als tatsächlichen Präsidenten der überfallenen Ukraine in olivgrünem T-Shirt am Videopult in einem Luftschutzbunker stehen: Wie er mit ernstem Blick sein Volk zum Durchhalten aufruft und den Westen um Hilfe bittet. Jeden Tag flehender. Jeden Tag unter der vermehrten Last abermaliger Bomben, immer mehr Toten, Verletzten und Trümmern und unermesslichem Leid. Und unter ständiger Lebensgefahr.

Putin ähnelt dem Erzschurken Blofeld

Im Gegenschnitt der russische Präsident Wladimir Putin, mutmaßlich ebenfalls in seinem Bunker. Mit einem immer mehr zur Grimasse verzerrten, seltsam gespannten Maskengesicht und starrem Blick, in der linken Gesichtshälfte sonderbare Deformationen. Auch hier oszillieren Fiktion und Wirklichkeit: Putin wird Blofeld immer ähnlicher, dem irren Erzschurken aus James Bond. Es fehlt nur noch die weiße Perserkatze im Arm.

Schon die Gespräche von Olaf Scholz und Emmanuel Macron an diesem lächerlich überdimensionierten Tisch erinnerten an die Szene, in der Blofelds Unterbösewicht Largo (Klaus Maria Brandauer) gegenübersaß und die beiden unter steigenden Stromstößen um die Welt spielten. Nichts anderes hat Putin in einem grausamen Schauspiel mit seinen Gästen gemacht.

Die beiden grotesk überzeichneten fiktiven Welten, Selenskyj als Slapstick-Präsident, die von Weltzerstörung getriebenen manischen Bösen bei Bond – beide Grotesken sind von der Wirklichkeit nicht nur ein-, sondern auf Fürchterlichste überholt worden.

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Die t-online-Politikredakteurin Lisa Becke hat in einem Stück ("Ist Putin verrückt geworden?") die Indizien der vergangenen Jahre zusammengetragen, die darauf hindeuten, dass sich hinter der Maske seines Gesichts der Irrsinn eingenistet hat. Um nur ein Beispiel aufzugreifen, an das sie erinnert hat: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte schon 2014 zu US-Präsident Barack Obama nach einem verstörenden Kontakt mit Putin gesagt, dieser lebe offenbar mittlerweile "in einer anderen Welt". Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach dieser Tage von einer "klinischen" Atmosphäre seines anderthalbstündigen Telefonats mit dem russischen Präsidenten im Kriegsmodus.

Den Krieg der Bilder hat der gelernte Schauspieler Selenskyj gegen den früheren KGB-Agenten Putin schon gewonnen. Den fürchterlichen Zerstörungskrieg Russlands gegen den von Putin als Brudervolk bezeichneten Nachbarn wird Moskau gewinnen. Zu erdrückend ist die Übermacht. Und zu groß die Ohnmacht des Westens, wirklich militärisch dagegenzuhalten, jenseits von verschimmelten Panzerabwehrraketen aus der NVA-Zeit und anderen Schulterwaffen für die so verzweifelt wie tapfer sich aufbäumenden ukrainischen Soldaten und Milizen.


Selenskyj hat in dieser Verzweiflung etwas ausgesprochen, das zu weit geht, das man ihm aber situativ nachsehen muss. Er sagte auf die Weigerung der Nato, den Luftraum der Ukraine zu sperren, von nun an stürben die Menschen in der Ukraine wegen dieser Schwäche der Nato.

Vorher hatten in Deutschland sowohl CDU-Chef Friedrich Merz wie auch Springer-Chef Mathias Döpfner in einem flammenden Kommentar und in der "Bild"-Zeitung, substanziell allerdings unterschiedlich, ein Eingreifen der Nato ins Spiel gebracht.

Die Muster ähneln sich

Diese Einlassungen sind als Reflex so nachvollziehbar wie die enttäuschte Reaktion Selenskyjs. Aber dennoch falsch und hochgefährlich. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein Mann, der seine Besonnenheit schon als norwegischer Regierungschef beim Amoklauf auf der Insel Utoya unter Beweis stellte, hat recht, wenn er unter Schmerzen diesen Wunsch der Ukraine nicht erfüllen möchte.

Schon seit Beginn dieses Krieges, schon in dessen dräuendem Vorlauf, musste ich immer wieder an Christopher Clark denken. Der australischstämmige Historiker mit Wohnsitz in England und Affinität zu Deutschland hatte vor Jahren einen Klassiker über den Ersten Weltkrieg geschrieben. "Sleepwalkers" hieß das Werk, und es schildert, wie die Welt nicht erst mit dem Mord am Thronfolger in Sarajevo in den Ersten Weltkrieg taumelte – wie der Schlafwandler, der sich seines Tuns nicht bewusst ist, dessen Folgen aber doch zu tragen hat.

Direkte Parallelen verbieten sich in der Geschichte, die sich nicht wiederholt. Aber es gibt Muster, sich ähnelnde Muster. Und das Muster von 1914 findet sich wieder, wenn man die unklaren, diffusen Machtverhältnisse der Welt von heute betrachtet. Dazu eine generelle Gereiztheit, eine aggressive Grundstimmung, aufgepeitscht durch soziale Medien, zusätzlich angespannt und ermüdet durch eine mehr als zweijährige globale Pandemie.

In dieser diffusen Weltlage kann das Verhängen eines Flugverbots durch die Nato über ukrainischem Gebiet etwas gleichkommen, das man in Anlehnung an 1914 "Sarajevo-Incident" nennt. Einen Auslöser, der eine nicht zu stoppende Kettenreaktion in Gang setzt. Und damit einen Dritten Weltkrieg auslöste, der der letzte sein würde, den diese Erde erlebte.

Hier finden Sie alle Kolumnen von Christoph Schwennicke.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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