Düstere Prognose bei "Anne Will" "Wenn das so weitergeht, wird es im Winter keine Ukraine geben"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was können Deutschland und die Nato für die Ukraine tun? Anne Wills Talkgäste äußerten sich mit Blick auf kurzfristige Sanktionen oder ein militärisches Eingreifen skeptisch. Die Deutsch-Ukrainerin Marina Weisband war davon frustriert und zog ein ernüchterndes Fazit.
Die langjährige Nato-Strategin Stefanie Babst stellte das Fernsehpublikum in Anne Wills Talk zum Thema "Putins Angriff – Krieg ohne Ende?" auf einen langen militärischen Konflikt in der Ukraine ein. Zudem prognostizierte sie, dass die Situation in naher Zukunft eskalieren werde.
Grund dafür seien die eingeschränkten Handlungsoptionen des russischen Präsidenten, der sein politisches Schicksal an das der Ukraine geknüpft habe. Putin werde versuchen, "eine große Pufferzone zu schaffen und die Ukraine auf eine Art von Rumpfstaat im Westen zurückzudrängen", so die Mitbegründerin der strategischen Beratungsfirma Brooch Associates.
Die gebürtige Kiewerin Marina Weisband warnte angesichts zögerlicher Sanktionen des Westens sogar vor einer vollständigen Auflösung ihrer Herkunftsnation. "Wir reden über den nächsten Winter und den übernächsten Winter. Wenn das so weitergeht, wird es im nächsten und übernächsten Winter keine Ukraine geben", äußerte die sichtlich gerührte deutsch-ukrainische Publizistin.
Gäste
- Christine Lambrecht (SPD): Bundesverteidigungsministerin
- Alexander Graf Lambsdorff: stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion
- Stefanie Babst: ehemalige Nato-Strategin
- Christoph Heusgen: Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
- Marina Weisband: deutsch-ukrainische Publizistin
Nach fast vier Wochen Krieg und der bewegenden Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das deutsche Parlament fragt sich die Politik, welche weiteren Maßnahmen sie zur Unterstützung seines Landes ergreifen kann.
Dem Wunsch, den Ukrainerinnen und Ukrainern bei der Verteidigung ihrer Leben und ihrer Interessen zu helfen, steht die Sorge vor wirtschaftlichen Nachteilen und einer unkontrollierten Ausweitung des Krieges gegenüber.
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Das wurde am Sonntagabend auch in Anne Wills ARD-Talk deutlich. Wie weit Deutschland und die Nato bei ihren Anstrengungen gehen sollten, war unter den Diskutierenden umstritten – besonders mit Blick auf den Abbruch aller wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland.
Sicherheitsexperte Heusgen sieht Russland als "Pariastaat"
"Es tut einem weh, wenn wir jeden Tag 200 Millionen überweisen und Putin kann davon seinen Krieg weiterführen", gab etwa Christoph Heusgen zu bedenken. Gleichzeitig verwies der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz auf die Abhängigkeit beispielsweise der deutschen Chemieindustrie von russischen Gasimporten.
"Es ist doch der Ukraine nicht geholfen, wenn jetzt unsere Wirtschaft zusammenbricht", lautete das ernüchternd pragmatische Fazit des ehemaligen außenpolitischen Beraters von Angela Merkel.
Stattdessen riet Heusgen, der den Überfall Putins auf die Ukraine mehrfach als "Zivilisationsbruch" bezeichnete, weiter an der Isolierung des russischen Präsidenten durch eine internationale Allianz zu arbeiten. "Russland ist heute ein Pariastaat", konstatierte der Fachmann für internationale Sicherheitspolitik.
FDP-Fraktionsvize: "Die rote Linie ist die Grenze des Bündnisgebiets"
"Jeder fühlende und denkende Mensch will dieses Embargo für Energielieferungen aus Russland", stellte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff fest. Die Bundesregierung sei auf dem Weg, die Energieabhängigkeit von Russland endlich zu reduzieren.
Angesichts der Bilder von Putins jüngstem Jubelauftritt im Moskauer Luschniki-Stadion fühlte sich der Liberale an das Dritte Reich und dessen Propagandaminister erinnert. "So stelle ich mir den Sportpalast vor, als Goebbels da redete", so Graf Lambsdorff.
Der Nato bescheinigte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, klare Ansagen an Russland zu machen. "Die rote Linie ist die Grenze des Bündnisgebiets", zeigte er sich hinsichtlich eines eventuellen militärischen Eingreifens überzeugt.
Ein Urteil, das von der Nato-Expertin Stefanie Babst geteilt wurde. Die Bündnispartner kommunizierten aus guten Gründen deutlich, dass sie nicht die Absicht hätten, aktiv in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine einzutreten.
Verteidigungsministerin Lambrecht rät zu Sanktionen mit Augenmaß
"Wir liefern Waffen, und wir leisten unseren Beitrag", erläuterte auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht, die zu den Transporten aus Sicherheitsgründen keine weiteren Angaben machen wollte.
Die Sozialdemokratin sprach sich dafür aus, bei neuen Sanktionen wie einem Energieembargo stets das eigene Durchhaltevermögen im Blick zu haben. "Wenn dann Arbeitsplätze verloren gehen, wenn dann die Preise weiter steigen – dann einknicken zu müssen und zu sagen: 'Ne, dann haben wir es doch nicht ernst gemeint', das wäre eine verheerende Wirkung."
"Wir können kurzfristig mit einem Energieembargo sehr viel ausrichten", argumentierte hingegen die Deutsch-Ukrainerin Marina Weisband. Die Publizistin zeigte sich im Laufe der Sendung zunehmend frustriert von der Art, wie in Deutschland über die eigene Rolle in diesem Krieg diskutiert werde.
Man sei nur bereit, etwas zu tun, "solange uns das militärisch nicht gefährdet, solange uns das wirtschaftlich nicht gefährdet, solange es keine Unannehmlichkeiten bereitet und solange wir keine Arbeitslosen haben", beklagte sie.
Was das für ihr Herkunftsland in der konkreten Auseinandersetzung mit Russland heißen könnte, fasste Weisband schonungslos zusammen: "Putin kann Chemiewaffen einsetzen, Putin kann Städte dem Erdboden gleichmachen, Putin kann taktische Atomwaffen in der Ukraine einsetzen: Er weiß jetzt schon, dass ihn das nichts kosten wird."
- "Anne Will" vom 20.3.2022