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Rücktritt von Großbritannien-Premier Boris Johnson: Das Ende des Zockers


Boris Johnson tritt ab
Das Ende des Zockers

  • David Schafbuch
MeinungEin Kommentar von David Schafbuch

Aktualisiert am 07.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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"Das ist schmerzlich": Hier dankt Boris Johnson als Parteichef ab. (Quelle: t-online)

Viel zu spät hat Boris Johnson erkannt, dass er seinen Posten als britischer Premier abgeben muss. Zurück bleibt ein Land, das einem Scherbenhaufen gleicht.

Wie recht David Cameron hatte, war ihm wahrscheinlich selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Als "einen Sprung ins Ungewisse und den falschen Schritt für unser Land" bezeichnete im Februar 2016 der damalige britische Premier die Pläne eines gewissen Boris Johnson: Dieser hatte, damals noch Bürgermeister von London, zuvor erklärt, er werde sich für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union einsetzen.

Camerons Worte fassen die darauffolgende Politkarriere von Boris Johnson präzise zusammen: Mit seiner Brexit-Kampagne stieß Johnson seine Heimat ins Verderben. Seine Kampagne markierte darüber hinaus auch den Startschuss einer neuen populistischen Phase in der Weltpolitik. Karrieren wurden auf einmal möglich, die zuvor völlig undenkbar waren: 2017 zog Donald Trump in das Weiße Haus ein, Matteo Salvini prägte ab 2018 das Bild Italiens als Innenminister, 2019 übernahm in Brasilien der Rechtsextremist Jair Bolsonaro die Geschicke als Präsident.

Politik als Spiel

Johnson machte es ihnen vor, wie man mit Lügen und einfachen Versprechen an die Macht kommt. Um sein Land ging es dem 58-Jährigen nicht: Er regierte ohne Rücksicht auf Verluste, immer auf den eigenen Vorteil bedacht, aber nie im Sinne der britischen Bevölkerung. Und was noch schlimmer ist: Er machte stets den Eindruck, als wäre Politik für ihn – einem Sprössling wohlhabender Eltern, Oxford-Absolventen und späteren Journalisten – nichts weiter als ein Spiel.

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Schon Johnsons Brexit-Kampagne war nichts anderes als eine große Zockerei: Als er sich für die Unterstützung des EU-Austritts entschied, hatte er zuvor zwei unterschiedliche Kolumnen für den britischen "Daily Telegraph" vorbereitet: Eine für und eine gegen den Austritt. Johnson setzte nur auf das Brexit-Pferd, weil es ihm die größeren Chancen zur Macht versprach. Als seine Landsleute dann tatsächlich für den Austritt votierten und die Downing Street schon zum Greifen nahe war, überließ er anderen die Drecksarbeit: Theresa May musste sich zuerst über Jahre abmühen, einen Deal für den EU-Abschied auf die Beine zu stellen, ehe Johnson 2019 das Ruder übernahm.

Brexit bleibt sein Erbe

Wieder drei Jahre später mag der Brexit formal vollzogen sein, gelöst sind viele Probleme noch längst nicht. Johnsons waghalsiger Kurs könnte auf lange Sicht das Ende des Vereinigten Königreichs eingeleitet haben. Der Austritt hat zu neuen Spannungen in Nordirland gesorgt, die zur Wiedervereinigung mit Irland führen könnten. Als Gegenmittel fiel Johnson zuletzt nichts Besseres ein, als damit zu drohen, sich über das mühevoll ausgehandelte Nordirland-Protokoll mit der EU hinwegzusetzen. In Schottland hat gerade erst Regierungschefin Nicola Sturgeon ein neues Unabhängigkeits-Referendum angestoßen. Sturgeon begründet ihre Ambitionen damit, dass die Schotten sich 2016 für einen EU-Verbleib ausgesprochen hatten.

Das Brexit-Chaos wird Johnsons Erbe bleiben, doch es ist nur ein Ausschnitt seiner turbulenten Politkarriere. Auch Johnsons streitbares Vorgehen in der Corona-Pandemie wird hängenbleiben. Die Briten mögen zwar zu Beginn eine schnellere Impfkampagne gefahren haben als viele EU-Länder. Doch das täuscht nicht über die massiven Versäumnisse der Regierung in der Virusbekämpfung hinweg: Nirgends gab es in Europa mehr Corona-Tote.

Gleichzeitig machten die "Partygate"-Enthüllungen deutlich, dass der Premier und seine Mitarbeiter es selbst bei den Corona-Regeln nicht allzu genau nahmen. Allein für diese Affäre hätte Johnson längst sein Amt abgeben müssen. Hinzu kommen die vielen kleineren und größeren Skandale, die fast vergessen werden: Etwa die aus dem Ruder gelaufene Renovierung seiner Dienstwohnung oder zuletzt die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegenüber dem Tory Chris Pincher, von denen Johnson schon lange gewusst hat.

Von wegen ein Skandal zu viel

Ob die Pincher-Affäre am Ende wirklich der eine Skandal zu viel war? Dass hinter Johnsons angekündigtem Rücktritt auch nur ein Funken von Einsicht steht, ist unwahrscheinlich. Kein Wort über eigene Fehler verlor er, als er am Mittwoch in London ankündigte, er wolle seinen Posten räumen, sobald es einen Parteichef bei den Konservativen gibt. Stattdessen sei es seine Partei, die ihn zu diesem Schritt gezwungen hat. Überhaupt könne sich die Bilanz seiner Amtszeit sehen lassen, machte Johnson deutlich.

Das Gegenteil ist der Fall: Zurück bleibt ein Land, das in eine mehr als ungemütliche Zukunft wankt. Wer auch immer auf Johnson folgt, muss sich auf schwierige Jahre in einem politisch und wirtschaftlich gespaltenen Land einstellen. Das Geld ist trotz historisch niedriger Arbeitslosenzahlen in der britischen Gesellschaft ungleich verteilt, Jahrzehnte der Deindustrialisierung haben vor allem den Norden Englands ausbluten lassen, während der Ukraine-Krieg die Preise in die Höhe steigen lässt.

Johnsons politisches Ende könnte aber auch einen Schlussstrich ziehen unter dem Gedanken, dass Politiker mit einfachen Wahrheiten auf komplexe Fragen langfristig Erfolg haben können. Viele seiner populistischen Nachahmer in Europa hatten zuletzt ein ähnliches Schicksal erlitten. Es wäre zumindest ein kleiner Trost.

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