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Schoss die Polizei scharf? | 21-Jähriger erhebt schwere Vorwürfe gegen Griechenland


Schoss die Polizei scharf?
21-Jähriger erhebt schwere Vorwürfe gegen Griechenland

Von dpa
28.02.2021Lesedauer: 4 Min.
Muhammad Hantou in Istanbul: Der 21-Jährige leidet noch immer unter Schwindel und Konzentrationsschwäche.Vergrößern des BildesMuhammad Hantou in Istanbul: Der 21-Jährige leidet noch immer unter Schwindel und Konzentrationsschwäche. (Quelle: Ahmed Deeb/dpa-bilder)
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Vor einem Jahr erklärte die Türkei die Grenze nach Griechenland für geöffnet, Tausende Menschen versuchten daraufhin in die EU zu gelangen. Es folgte eine blutige Aktion der griechischen Grenzpolizei.

Hätte das Geschoss Muhammad Hantou etwas höher oder niedriger am Kopf getroffen, wäre er heute nicht mehr am Leben. So habe es ihm ein Arzt vor einem Jahr in der griechisch-türkischen Grenzstadt Edirne gesagt, erzählt der 21-Jährige in Istanbul. Graue Narben weisen auf die Verletzung am Ohr hin, die ihn noch immer beeinträchtigt. Manchmal werde ihm schwindlig und er könne sich nicht lange konzentrieren, sagt Muhammad Hantou.

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Im März 2020 harrte der Syrer wie Tausende andere Menschen an der griechisch-türkischen Landgrenze aus. Sie hofften in die EU zu gelangen, nachdem die Türkei die Grenze zu Griechenland für geöffnet erklärt hatte. Doch Athen setzte das Asylrecht aus, griechische Polizisten drängten die Menschen mit Tränengas, Blendgranaten und Schlagstöcken zurück. Am Ende der Polizeiaktion waren zwei Geflüchtete tot, der Syrer Muhammad al-Arab und der Pakistaner Muhammad Gulzar. Eine Syrerin gilt nach Angaben von Amnesty International als vermisst.

Griechische Polizei soll scharf geschossen haben

Was genau damals passiert ist, ist bis heute nicht offiziell geklärt. Die Türkei beschuldigt Griechenland, für den Tod der Migranten verantwortlich zu sein. Athen weist die Vorwürfe zurück. Nach Erkenntnissen von internationalen Rechercheteams verschossen die griechischen Polizisten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch scharfe Munition. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) bezeichnete Griechenland damals übrigens als "Schild Europas". Die Geflüchteten steckten unterdessen am Grenzfluss Evros zwischen Griechenland und der Türkei fest.

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt sagt, es sei "sehr schockierend", dass die Vorfälle an der türkisch-griechischen Grenze bislang folgenlos geblieben sind. "Da hätte ich erwartet, dass es einen größeren Aufschrei gibt." Die Ereignisse von damals beeinflussen bis heute die EU Flüchtlingspolitik – und das Leben von Muhammad Hantou. Es war sein dritter Anlauf, um nach Europa zu gelangen. Zwei Mal habe er es mit dem Boot versucht und sei gescheitert. Er habe in die Niederlande gewollt, weil seine damalige Freundin dort lebe und sie sich verloben wollten, erzählt er. Vor dem Krieg seien sie in Damaskus Nachbarn gewesen. Als er hörte, dass die Grenzen angeblich offen seien, habe er sich in Istanbul in den Bus gesetzt.

Als er durch den Zaun wollte, traf ihn ein Schuss

Die Zustände an der Grenze beschreibt Muhammad Hantou als chaotisch. Tagelang hätten die griechischen Polizisten Tränengas auf sie geschossen. Auf der anderen Seite des Zauns wiederum warfen Menschen Steine auf die Beamten, manche hätten Löcher in den Zaun geschnitten. Auch er habe am 4. März auf die andere Seite gewollt, sagt Muhammad Hantou: "In dem Moment, als ich einen Fuß in das Loch gesetzt habe, haben sie geschossen." Die Schüsse seien von der griechischen Seite gekommen. Er ging zu Boden, sein rechtes Ohr sei voller Blut gewesen, dann habe er das Bewusstsein verloren.

Er könne sich noch daran erinnern, wie andere Migranten ihn in eine Decke legten und zum Krankenwagen schleppten, erzählt Muhammad Hantou. "Ich glaube, dass ich von Schrotkugeln getroffen wurde." Der medizinische Bericht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, spricht von Kugeln aus einer Schusswaffe, die Muhammad Hantou verletzt haben. Es gebe ein Einschussloch am rechten Ohr – eine Kugel stecke noch im rechten Schädelknochen fest. "Manchmal habe ich Schmerzen in dem Teil, wenn ich schlafen gehe. Manchmal habe ich Angst, dass ich hinfalle oder es sich entzündet und alles schlimmer wird." Eigentlich müsse er operiert werden.

Jetzt arbeitet Muhammad Hantou als Tellerwäscher

Sieben Tage lang war Muhammad Hantou im Krankenhaus. "Dann bin ich zurück nach Istanbul und seitdem mache ich nicht mehr viel", sagt er. Am Anfang habe er wegen der Verletzung nicht arbeiten können. Seit drei Monaten hat er einen Job als Tellerwäscher in einem Restaurant.

In der Türkei leben rund vier Millionen Flüchtlinge, 3,6 Millionen davon sind Syrer. In einem Abkommen mit der EU hat sich die Türkei dazu verpflichtet, gegen irreguläre Migration nach Europa vorzugehen. Im Gegenzug erhält das Land etwa Unterstützung für die Syrer im Land. Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt den Flüchtlingspakt immer wieder als Druckmittel ein. Auch die Grenzöffnung 2020 war nach Ansicht von Beobachtern ein Manöver Erdogans, um von der EU mehr Unterstützung zu erwirken.

Muhammad Hantou hegt keinen Groll gegen Europa

Zurzeit steht auch die EU-Agentur Frontex in der Kritik, weil griechische Grenzbeamte mehrfach Boote mit Migranten illegal zurück in Richtung Türkei gedrängt haben sollen. Frontex-Beamte sollen dabei teils in der Nähe gewesen sein und dies nicht verhindert haben.

Muhammad Hantou sagt, er wolle nur Gerechtigkeit. "Ich weiß, dass derjenige, der auf mich geschossen hat, nur seine Arbeit gemacht hat, aber er hat einen Fehler gemacht und muss dafür bestraft werden", sagt er. Seine Träume seien zerstört, aber er verspüre keinen Ärger gegenüber Europa. Er glaube nach wie vor, dass Europa ein Ort sei, an dem er seine Rechte erhalte und wo man für ihn einstehe.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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