Hamas-Geisel: Vierjährige überlebte unter Leiche ihres Vaters

Sie hat ein schreckliches Trauma erlitten: Abigail E. musste mit anschauen, wie ihre Eltern getötet wurden. In Geiselhaft wurde sie vier Jahre alt.

Am dritten Tag der Geiselfreilassungen kamen insgesamt 17 von der Terrororganisation Hamas verschleppte Geiseln nach sieben Wochen im Gazastreifen frei. Laut einer vom Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu herausgegebenen Liste befinden sich unter den freigelassenen Israelis insgesamt neun Kinder und vier Frauen.

Biden: "Sie hat ein schreckliches Trauma erlitten"

Das Schicksal eines Mädchens sorgt für besonders viel Aufmerksamkeit: Unter den Geiseln war nach den Worten von US-Präsident Joe Biden auch die vierjährige Abigail E., die neben der israelischen auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt. "Sie ist frei und sie ist jetzt in Israel", sagte der Präsident am Sonntag bei einer Rede im US-Bundesstaat Massachusetts. Er fügte aber hinzu: "Sie hat ein schreckliches Trauma erlitten." In Geiselhaft wurde Abigail E. am Freitag vier Jahre alt, wie der Präsident sagte.

Das Kind war am 7. Oktober zusammen mit etwa 240 weiteren Menschen von der Hamas aus Israel als Geisel in den Gazastreifen verschleppt worden. Sie musste laut dem Berater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, "mit ansehen, wie ihre Eltern vor ihren Augen getötet wurden".

Die damals Dreijährige sei mit ihren beiden 10 und 6 Jahre alten Geschwistern zu Hause in einem Kibbuz gewesen, als die Terroristen einfielen und die Mutter erschossen, wie die "Washington Post" berichtete. Der Vater habe sich demnach schützend über seine Tochter gelegt. Dann sei er auch erschossen worden.

Wie die Zeitung weiter schrieb, sei Abigail unter der Leiche ihres Vaters hervorgekrochen und habe das Haus eines Nachbarn aufgesucht. Dort griffen die Terroristen sie dem Bericht zufolge gemeinsam mit der fünfköpfigen Nachbarsfamilie auf und verschleppten sie in den Gazastreifen. Laut "Washington Post" überlebten auch ihre Geschwister, weil sie sich 14 Stunden lang in einem Schrank versteckten.

Netanjahu: "Die ganze Nation umarmt sie"

"Was für eine Freude ist es, sie bei uns zu sehen, aber andererseits ist es auch traurig, dass sie in eine Realität zurückkehrt, in der sie keine Eltern hat", sagte Israels Ministerpräsident Netanjahu. "Sie hat keine Eltern – aber sie hat eine ganze Nation, die sie umarmt, und wir werden uns um all ihre Bedürfnisse kümmern".

Die Großtante und die Cousine des Kindes sagten am Sonntag in einer Erklärung, sie hätten "keine Worte, um unsere Erleichterung und Dankbarkeit" auszudrücken. Das kleine Mädchen werde vereint mit ihren Geschwistern und bei ihrer Tante, ihrem Onkel und ihren Großeltern in Israel leben, wurde eine Verwandte weiter von US-Medien zitiert.

Neun Kinder und vier Frauen unter freigelassenen US-Geiseln

Die israelische Armee nahm nach eigenen Angaben am Sonntagabend 13 israelische Geiseln in Israel in Empfang, vier weitere Geiseln wurden demnach nach Ägypten gebracht. Zwölf der israelischen Geiseln wurden zunächst zu einem Militärstützpunkt in der Nähe der südlichen Stadt Beerscheva gebracht, wie die israelische Armee erklärte. Das Soroka-Krankenhaus in Beerscheva bestätigte, dass eine 84-jährige weibliche Geisel per Hubschrauber in die Klinik gebracht worden sei. Sie werde derzeit untersucht. Einzelheiten wurden zunächst nicht genannt.

Unter den vier weiteren Geiseln waren drei Thailänder und ein israelisch-russischer Staatsbürger. Im Gegenzug ließ Israel – wie bereits bei den Geiselfreilassungen am Freitag und Samstag – 39 palästinensische Gefangene frei.

Hoffnung auf verlängerte Feuerpause

Am Sonntag hieß es, dass die Hamas und weitere bewaffnete Gruppen im Gazastreifen zu einer Verlängerung der Feuerpause mit Israel um "zwei bis vier Tage" bereit seien. Das sei den Vermittlern aus Katar und Ägypten übermittelt worden. Dadurch könnte "die Freilassung von zusätzlichen 20 bis 40 israelischen Gefangenen sichergestellt" werden. Auch Netanjahu zeigte sich am Sonntagabend für eine Verlängerung der Feuerpause offen, die am Montagabend endet.

US-Präsident Biden hob hervor, dass sich die US-Regierung für eine Verlängerung der Feuerpause einsetze. "Und wir werden nicht ruhen, bis alle Geiseln zu ihren Lieben zurückgekehrt sind." Nach Angaben des Weißen Hauses waren zehn US-Bürger – sieben Männer, zwei Frauen und die kleine Abigail E. – vermutlich von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt worden.