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Gazastreifen: "Situation wird stündlich schlimmer"


Situation im Gazastreifen
"Es wird stündlich schlimmer"

InterviewVon David Schafbuch

22.06.2025 - 19:11 UhrLesedauer: 4 Min.
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Palästinenser vor dem Nasser-Krankenhaus in Chan Junis: Die humanitäre Situation ist laut Unicef-Sprecher James Elder katastrophal. (Quelle: Abed Rahim Khatib/dpa)
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Wie ist die aktuelle humanitäre Situation im Gazastreifen? Der Sprecher von Unicef, James Elder, malt ein düsteres Bild.

Für das, was im Gazastreifen passiert, gibt es auch in der Bundesregierung nicht mehr viel Verständnis: Er verstehe nicht mehr, mit welchem Ziel die israelische Armee in dem Palästinensergebiet vorgehe, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Ende Mai Außenminister Johann Wadephul (CDU) nannte die dortige Situation zuvor "unerträglich".

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Was das bedeutet, bleibt von außen schwer vorstellbar: Ausländische Journalisten erhalten aktuell kaum noch Zutritt zu dem Gebiet. James Elder befindet sich allerdings seit etwa zwei Wochen dort. t-online hat den Sprecher der Hilfsorganisation Unicef zu seinen Eindrücken in dem Palästinensergebiet befragt.

t-online: Herr Elder, Sie waren für Unicef schon in vielen Kriegs- und Katastrophengebieten, jetzt sind Sie erneut seit zwei Wochen im Gazastreifen. Was erleben Sie dort?

James Elder: Es ist beispiellos – und es wird stündlich schlimmer. Es gibt tägliche Bombardierungen. An den Ausgabestellen der "Gaza Humanitarian Foundation" (GHF) sind Menschen ums Leben gekommen – und darüber hinaus wird jetzt das Wasser knapp. Viele Palästinenser sagen mir, dass sie gelernt haben, mit Verlusten umzugehen. Sie haben ihre Häuser und geliebte Menschen verloren, sie haben gelernt, eine Woche oder länger ohne Essen auszukommen. Aber ohne Wasser kann man nicht überleben.

Wie kommt es zu dieser Knappheit?

Es gibt Pipelines aus Israel. Von dort könnte mehr Wasser fließen, aber das ist gerade nicht der Fall. Hier gibt es zwar auch Pumpen und Entsalzungsanlagen. Aber all das benötigt Strom. Der wurde infolge des 7. Oktobers jedoch abgestellt. Wir könnten auch Wasser über Lkw liefern, aber dafür fehlt der Treibstoff, den auch die Krankenhäuser benötigen. Wir haben hier also eine echte Wasserkrise, es ist absolut entsetzlich. Menschen sind hier bereits verhungert. Wenn sich die Bedingungen jetzt nicht ändern, werden bald Menschen verdursten.

© UNICEF/UNI544730/Sami Alhaw. All rights reserved.
(Quelle: Sami Alhaw)

Zur Person

James Elder ist der internationale Sprecher des Kinderhilfswerks Unicef. Für die Organisation ist er seit mehr als 20 Jahren tätig: Unter anderem war er in verschiedenen Ländern Afrikas, in Sri Lanka oder zuletzt mehrfach in der Ukraine aktiv. Vor seiner Zeit bei Unicef arbeitete Elder als Journalist für verschiedene Medien in Australien.

Dabei hat die israelische Regierung die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen nach einer fast dreimonatigen Blockade wieder zugelassen. Die Zustände haben sich dadurch aber offenbar nicht verbessert?

Nein, zumindest nicht wesentlich. Als der Waffenstillstand galt, konnten täglich 500 bis 600 Lastwagen in den Gazastreifen gelangen. Die Hilfsgüter wurden dann an 400 Orten verteilt. Die Mangelernährung ging zurück, die Bestände an Medikamenten wurden besser. Aktuell gibt die GHF Hilfsgüter nur an vier Verteilstellen aus. Dadurch kann nur fünf bis zehn Prozent von dem verteilt werden, was nötig ist.

Was bedeutet das in der Praxis?

Es ist ein absolutes Chaos. Wer alt, krank oder verwundet ist, kann kaum Hilfe erhalten. Nur die stärksten erhalten etwas zu essen. Ich habe einen 30-jährigen Mann getroffen, der dort siebenmal erfolglos an einer Verteilstelle gewartet hat. Es kommt dort täglich zu Tumulten, bei denen bereits Menschen durch Schüsse getötet oder verletzt wurden.


Quotation Mark

Nur die stärksten erhalten etwas zu essen.


James Elder, Unicef-Sprecher


Unicef und andere Hilfsorganisationen müssen mit der israelischen Regierung in Kontakt stehen. Wie wird dort das Vorgehen begründet?

Wir benötigen für jede Hilfslieferung eine Genehmigung. Die Mehrheit davon wird abgelehnt. Ein Grund muss nicht genannt werden. Wir reden von Tausenden von Lastwagen mit Hilfsgütern, die bereitstehen, um die Menschen im Gazastreifen zu versorgen. Und wenn ein Lastwagen in das Gebiet fährt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er aufgrund der großen Not von der Bevölkerung geplündert wird. Wichtig ist auch: Humanitäre Hilfe ist mehr als nur das Verteilen von Essen. Es geht auch um Medizin, Beatmungsgeräte, Brutkästen für Neugeborene oder Hygieneartikel für Mädchen.

Die GHF ist seit dem Ende der Blockade für die Verteilung der Hilfsgüter im Gazastreifen zuständig. Sie soll nach Angaben der USA und Israel verhindern, dass Hilfsgüter in die Hände der Terrororganisation Hamas gelangen.

Wir können natürlich nicht erkennen, ob jemand Mitglied der Hamas ist, wenn wir Hilfsgüter verteilen. Die israelische Regierung hat weder uns noch einer anderen Hilfsorganisation bisher einen Beweis geliefert, dass die Hamas systematisch Hilfsgüter abzweigt. Ungeachtet dieser Behauptung darf dies nicht dazu führen, dass die Zivilbevölkerung nicht mit ausreichend humanitärer Hilfe versorgt werden kann. Das verstößt gegen das Völkerrecht.

Was sagen die Menschen dort dazu?

Sie verstehen es nicht. Nichts ergibt hier mehr für sie einen Sinn. Viele von ihnen haben den Eindruck, dass das Völkerrecht für sie nicht mehr gilt. Es herrscht große Verzweiflung. Umso mehr, da viele Palästinenser gesehen haben, wie viel Unterstützung die Menschen in der Ukraine erhalten haben.

Haben Sie in den letzten Wochen irgendetwas erlebt, das Sie positiv gestimmt hat?

Die Fähigkeit der Menschen sich wieder aufzurappeln, ist hier unglaublich. Das liegt auch daran, was sie in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht haben. Die internationale Aufmerksamkeit hat gerade wegen des Konflikts zwischen Israel und dem Iran nachgelassen. Aber die Bombardierungen hier gehen trotzdem weiter. Fest steht: Man darf Menschen einfach kein Wasser vorenthalten.

Herr Elder, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit James Elder
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