Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Unwürdig für Europa

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
niemand wird gerne übergangen – und doch passiert es regelmäßig. Vermutlich kennen Sie das auch: Aus heiterem Himmel werden Sie vor vollendete Tatsachen gestellt, ganz ohne eigenes Mitspracherecht, und fühlen sich überrumpelt. Wenn die Entscheidungen dann auch noch den eigenen Vorstellungen völlig entgegenstehen, bedeutet das meistens eine Menge Ärger.
Etwas anders scheint die Lage bei Bundeskanzler Friedrich Merz zu sein. Der CDU-Mann hatte am Mittwoch an einer wichtigen Telefonkonferenz teilgenommen: US-Präsident Donald Trump hatte mitgeteilt, dass er bald den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen wolle, um ein Friedensabkommen im Ukraine-Krieg zu verhandeln. Auch der Kreml hat das mittlerweile bestätigt. Nach Trumps Willen könnte es später auch zu einer Dreierrunde mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommen.
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Vertreter anderer europäischer Länder? Sind nicht vorgesehen.
Merz und die anderen Politiker hätten sich übergangen fühlen können. Hat Europa nicht etwas mitzureden, wenn über einen Krieg in Europa verhandelt wird? Stattdessen ließ der Kanzler am Donnerstag mitteilen, dass er Trumps Engagement würdige.
Aus Sicht Europas und vor allem der EU zeigen die Entwicklungen der vergangenen Tage einmal mehr ganz deutlich: Europa ist in der Wahrnehmung der US-Regierung maximal ein Zaungast, der in den großen Fragen nicht mehr mitzureden hat – selbst wenn es um Krieg und Frieden auf dem eigenen Kontinent geht.
Man kann von diesem geplanten Treffen zwischen Putin und Trump halten, was man will. Womöglich könnte ein solches Treffen außer einigen "geschichtsträchtigen" Fotos von Putin und Trump überhaupt keinen Effekt haben. Man erinnert sich dabei an das "Verhandlungsgeschick" Trumps mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un. Der versprach 2018 nach einem pompösen Gipfeltreffen mit Trump, man wolle sich für die "vollständige Denuklearisierung" der koreanischen Halbinsel einsetzen. Aus heutiger Sicht war es nicht mehr als heiße Luft.
Ein solcher Ausgang ist in jedem Fall wahrscheinlicher als ein tatsächlicher Durchbruch in einem Friedensprozess. Russland hat weiter die Zerstörung des ukrainischen Staates fest im Blick. Im Krieg machen Putins Truppen unter hohen Verlusten langsame, aber stetige Fortschritte. Solange es so weitergeht, ist es nahezu ausgeschlossen, dass Russland an einem stabilen Friedensprozess interessiert ist.
Umgekehrt ist das Risiko groß, dass sich Trump von Putin über den Tisch ziehen lässt. Von "gewaltigen Risiken" schreibt auch mein Kollege Bastian Brauns aus Washington. Leidtragende wären dann in erster Linie die ukrainische Bevölkerung – und danach die übrigen europäischen Staaten. Denn wer weiß schon heute, ob Putin nach einem Erfolg in der Ukraine nicht weitere Länder ins Auge fassen könnte? Solche Befürchtungen gibt es bei vielen russischen Nachbarstaaten, etwa im Baltikum oder in Finnland.
Es ist also mehr als offensichtlich, dass Vertreter der europäischen Staaten eigentlich mit an den Verhandlungstisch gehören. In der Regierung in Washington wird die EU aber – um es vorsichtig auszudrücken – skeptisch gesehen. Der US-Präsident favorisiert Gespräche, die eher Revolverduellen in Westernfilmen gleichen: Trump, der sich für einen brillanten Verhandler hält, möchte seine Deals möglichst alleine mit anderen mächtigen Männern abschließen. Ein kompliziertes, bürokratisches Gebilde wie die EU, das irgendwie für zahlreiche Staaten spricht, aber irgendwie auch nicht, passt nicht in Trumps Weltbild.
Somit dürfte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kein richtig passender Verhandlungspartner für Trump sein. Denn von der Leyen ist "nur" Präsidentin der EU-Kommission und eben nicht die Präsidentin aller EU-Staaten – und Trump könnte spätestens bei den jüngsten Zollverhandlungen den Eindruck gewonnen haben: von der Leyen scheint verhandlungstechnisch nicht in seiner Liga zu spielen.
Ende vergangenen Monats musste sie eigens nach Schottland reisen, um mit Trump zu reden. Ein Verhandlungsgipfel war das Treffen nicht. Trump weilte dort in einem Golfresort und schlug vor dem Gespräch noch ein paar Bälle. Wer was von ihm wollte, trudelte dann von selbst ein.
Nach rund einer Stunde hatte der US-Präsident dann seinen Deal, der aus europäischer Sicht eher einer Unterwerfung gleicht. 15 Prozent betragen seit gestern die Zölle, die auf fast alle Waren erhoben werden, die von EU-Ländern in die USA gelangen. Hinzu kommen 50-Prozent-Zölle auf Stahl und Aluminium. Zusätzlich sollen die Europäer amerikanisches Öl und Gas in Höhe von 650 Milliarden Euro kaufen und noch einmal 600 Milliarden Euro in den USA investieren.
Und die USA? Die können weitgehend zollfrei ihre Waren nach Europa schicken.
Aufseiten der EU wurde der Deal als Schadensbegrenzung verteidigt. Schließlich habe Trump zuvor mit 30-prozentigen Zöllen gedroht. Doch von einem starken Ergebnis kann keine Rede sein. "Damit hat sich die EU selbst verzwergt", schrieb mein Kollege Mauritius Kloft völlig zu Recht nach dem Deal.
Es passt daher ins Bild, dass bei besagtem Telefonat am Mittwoch auch kein EU-Vertreter in der Leitung war. In Trumps Wahrnehmung könnte die EU mittlerweile nicht nur ein schwer greifbares, sondern auch ein schwaches Staatengebilde sein. Und wer sich als zu schwach darstellt, kann unter Umständen Trumps Aufmerksamkeit verspielen.
Die Skepsis der US-Regierung gegenüber der EU reicht bei einigen Vertretern aber tiefer. Einige halten sie nicht nur für ein Bürokratiemonster. Sie sehen in der EU auch eine Bedrohung der eigenen Ziele, für die sie nur Verachtung übrig haben.
Deutlich wird das etwa bei JD Vance. Der US-Vizepräsident hatte sich im Februar über die angeblich mangelnde Meinungsfreiheit innerhalb Europas beklagt. Die EU-Kommission wolle etwa soziale Medien regulieren, wenn "hasserfüllte Inhalte" verbreitet würden, klagte Vance in seiner umstrittenen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Der Vizepräsident wollte die Maßnahmen als Zensur aus einem angeblich illiberalen Brüssel darstellen. Tatsächlich sind die Regulierungen von sozialen Medien eher ein Versuch, die dortige Flut von Beleidigungen und Desinformationen zu stoppen – was noch dazu bislang alles andere als erfolgreich ist. Dass die Trump-Regierung selbst gerne gegen kritische Journalisten vorgeht und sie etwa aus dem Weißen Haus ausschließen will, war in Vance' Rede natürlich kein Thema.
Viele Politiker in Europa haben die Kritik von Vance damals deutlich zurückgewiesen. Sie sollten auch jetzt nicht vor der Trump-Regierung einknicken und deutlich machen, dass sie in den Friedensprozess stärker eingebunden werden müssen. Es reicht nicht, dass der ukrainische Präsident Selenskyj einfordert, dass in dem Friedensprozess auch andere europäische Stimmen berücksichtigt werden müssen. Friedrich Merz, Keir Starmer, Donald Tusk, Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen dürfen auch nicht ständig Donald Trump applaudieren, nur weil sie sonst seinen Zorn fürchten.
Europa hat eigene, berechtigte Interessen, und es wird Zeit, dass sie auch in Richtung der USA klar und deutlich formuliert werden. Eine simple Telefonkonferenz, um Zwischenergebnisse durchzugeben, ist für Europa unwürdig.
Ohrenschmaus
Das Wetter in diesem Sommer lässt noch ein wenig zu wünschen übrig. Aber falls Sie noch die eine oder andere laue Nacht erleben sollten: Blicken Sie doch in den Himmel – und spielen Sie dieses Lied.
Ein tragisches Schauspiel
Fast genau einen Monat ist es her, seit die Personalie Frauke Brosius-Gersdorf Bundesregierung und Bundestag in Aufruhr versetzt hat. Die Rechtswissenschaftlerin sollte eigentlich neue Richterin am Bundesverfassungsgericht werden. Doch die Juristin geriet im Netz unverschuldet in einen Strudel aus Desinformationen und Halbwahrheiten. Dadurch angefacht, hatten sich innerhalb kürzester Zeit die Fronten von Union und SPD so verhärtet, dass die Wahl verschoben wurde – und sich Brosius-Gersdorfs Nominierung zu einer Zerreißprobe für Schwarz-Rot entwickelte.
Seit gestern ist klar: Brosius-Gersdorf wird nicht am obersten deutschen Gericht arbeiten. "Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung", teilte die Juristin am Donnerstag in einer dreiseitigen Erklärung mit. Sie wolle eine weitere Zuspitzung des Konflikts vermeiden. Zudem sei deutlich geworden, dass die Unionsfraktion ihre Wahl kategorisch ablehnen würde.
"Damit ist ein erbärmliches Schauspiel beendet, in dem sich alle politisch Beteiligten blamiert haben", schreibt mein Kollege Christoph Schwennicke über das vorzeitige Ende einer tatsächlich hochnotpeinlichen Angelegenheit für die beiden Regierungsparteien. Frauke Brosius-Gersdorf kann man an dieser Stelle nur wünschen, dass sie die Schmierenkampagne um ihre Person fachlich wie persönlich unbeschadet überstehen wird. Und Union und SPD legen hoffentlich mehr Seriosität an den Tag, wenn es um wirklich komplizierte Sachverhalte in der Zukunft gehen wird. Es dürften noch einige folgen.
Es hört nicht auf
Vier kurze Worte reichten Benjamin Netanjahu, um für Aufsehen zu sorgen. "Das ist unsere Absicht", sagte der israelische Ministerpräsident am Donnerstag gegenüber Fox News auf die Frage, ob seine Regierung beabsichtige, den gesamten Gazastreifen zu kontrollieren.
In der Nacht kam dann die offizielle Bestätigung: Rund 22 Monate nach Beginn des Kriegs hat sich Israels Führung für eine weitere Verschärfung der Kämpfe in dem Küstenstreifen entschieden. Das israelische Sicherheitskabinett stimmte einem Plan zur Einnahme der Stadt Gaza zu, wie das Büro von Netanjahu mitteilte.
Mit dem Schritt war zuletzt bereits gerechnet worden, obwohl es auch sowohl im Ausland als auch in Israel daran viel Bedenken gibt. Am Abend waren in Tel Aviv und Jerusalem zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Pläne zu demonstrieren. Selbst ranghohe Militärs sollen die Idee kritisch sehen. Denn sie dürfte vor allem eines bedeuten: Eine Ausweitung der israelischen Kampfhandlungen in einem Gebiet, das bereits jetzt größtenteils zerbombt ist und in dem die zivile Bevölkerung unter einer Hungersnot leidet.
Netanjahu beteuerte, das Militär möchte den Gazastreifen nicht dauerhaft besetzen, sondern von der Terrorgruppe Hamas befreien. Das Gebiet solle irgendwann an "arabische Kräfte" übergeben werden. Unstrittig ist, dass ein Gazastreifen ohne die radikale Terrorgruppe ein besserer Ort wäre. Dass Netanjahu allerdings mit einer Ausweitung des Militäreinsatzes das Leid der Zivilisten vergrößert, die noch lebenden Geiseln gefährdet und den Konflikt nutzt, um seine Machtposition zu stärken, allerdings auch.
Was steht an?
"Reichsbürger" vor Gericht: Vor dem Landgericht Mosbach (Baden-Württemberg) soll heute das Urteil gegen fünf sogenannte Reichsbürger fallen. Ihnen werden unter anderem Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft.
Ein Tag für die Katze: Streicheln Sie Ihre Katze heute doch etwas öfter. Schließlich ist der 8. August der Weltkatzentag. Fast 16 Millionen Hauskatzen soll es aktuell in Deutschland geben. Allerdings soll der heutige Tag den Fokus auf die vielen heimatlosen Tiere lenken: Schätzungsweise 1,5 Millionen Streuner soll es hierzulande geben.
Der Ball rollt wieder: Die 1. Bundesliga hat den Spielbetrieb noch nicht wieder aufgenommen. Allerdings geht es in der zweiten Liga bereits munter weiter. Heute trifft um 18.30 Uhr Preußen Münster auf den SC Paderborn, zeitgleich stehen sich der 1. FC Nürnberg und SV Darmstadt 98 gegenüber.
Das historische Bild
Einen Zebrastreifen machten die Beatles 1969 weltberühmt. Mehr lesen Sie hier.
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Kriegsbedrohung und Polykrise, unsere Gegenwart wirkt einschüchternd. Ähnliches erlebten unsere Vorfahren. Der "Zeit"-Reporter Henning Sußebach hat unter seinen Ahnen eine tatkräftige Frau entdeckt, die zahlreiche Krisen überstand. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke verrät er, was wir von ihr lernen können.
Das Säbelrasseln Russlands wird nicht nur in der Ukraine registriert. Mit Kasachstan sieht sich auch ein weiteres Nachbarland wachsenden Aggressionen ausgesetzt, schreibt mein Kollege Konstantin Hitscher.
Die zweite Hitzewelle dieses Sommers trifft Spanien mit voller Wucht. Auf Mallorca greifen Behörden zu entschiedenen Maßnahmen, schreibt meine Kollegin Ellen Ivits.
Nach einem Vierteljahrhundert beim FC Bayern spielt Thomas Müller nun bei den Vancouver Whitecaps. Mein Kollege David Digili hat mit Stefan Effenberg über den Wechsel gesprochen – und der hat wie immer eine klare Meinung.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und ein schönes Wochenende.
Herzlichst
Ihr
David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
Bluesky: @schubfach.bsky.social
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Mit Material von dpa.
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