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Russland, Putin und der Ukraine-Krieg: Jemand muss bestraft werden


Kolumne "Russendisko"
Jemand muss bestraft werden

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

07.08.2025 - 08:41 UhrLesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin: Russlands Krieg gegen die Ukraine hat sich anders entwickelt als vom Kreml erhofft.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Krieg gegen die Ukraine hat sich anders entwickelt als vom Kreml erhofft. (Quelle: Evgenia Novozhenina/reuters)
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Russland führt Krieg, gleichwohl zieht es viele Menschen aus dem Reich Putins in den Urlaub. Das gestaltet sich oft schwieriger als gedacht, meint Wladimir Kaminer.

Mein Sohn wies neulich auf etwas hin: Weil viele Länder dieser Welt von über Siebzigjährigen regiert werden, agieren sie so zappelig und voreilig. Denn diese über Siebzigjährigen wollen schnell in die Geschichte eingehen, sie stehen unter Zeitdruck, denn ihre Tür zur Ewigkeit bleibt nicht mehr lange offen. In der Tat ist eine Überhitzung der Gemüter, möglicherweise auch eine Folge des Klimawandels, nicht zu übersehen.

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Dafür braucht man nur die Schlagzeilen zu lesen: SPD erhöht Druck auf Union, Macron setzt Deutschland unter Druck, Merz macht Druck auf Israel, Russland auf die Ukraine, EU auf Trump, Trump auf China, und China drückt auf Taiwan. Das alles geschieht selbstverständlich "im Interesse der gegenseitigen Sicherheit", und jeder hofft, dass der andere unter dem Druck kaputtgeht, dann kommt das Happy End.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch ist "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen", am 27. August 2025 erscheint dann "Das geheime Leben der Deutschen".

In Russland wächst innenpolitisch der Druck, je mehr das Land von der Außenwelt abgeschnitten ist. Es muss jemand bestraft werden für alles, was geschehen ist. Nur wer? Was bis jetzt im Sommer geschah: Putin ließ sich von der Armeeführung überzeugen, dass der Krieg in der Ukraine zu gewinnen sei, man müsse nur den Druck auf die Gegenseite erhöhen; er hat deswegen die Friedensverhandlungen platzen lassen. Eine vertane Chance.

Hätte sich Putin auf die Feuerpause eingelassen, wäre Russland in einem, maximal zwei Jahren wieder auf dem internationalen Parkett willkommen gewesen. In der Isolation verändert sich jedoch das Land stark, es wird überall nach Schuldigen gesucht. Putins viel gelobte Machtvertikale ist verschwunden, niemand ist mehr sicher. Die hohen Beamten und Gouverneure werden befördert und gleich am nächsten Tag von ihrem Arbeitsplatz abgeholt, noch bevor sie die Inneneinrichtung ihres Büros komplettiert haben.

Urlaub ist schwierig geworden

Der Verkehrsminister jagte sich wohl aus Angst eine Kugel in den Kopf, Topmanager der Staatskonzerne springen aus dem Fenster, und das mitten in der Urlaubssaison. Zweihunderttausend Menschen übernachten in den Hallen der Flughäfen, statt in Urlaub zu fliegen, und fragen sich: Wo ist eigentlich unsere berühmte Luftabwehr angesichts der ukrainischen Erfolge über sie? Und weiß der Präsident überhaupt etwas davon? Der Außenminister betonte bitter, zum ersten Mal kämpfe Russland ohne Verbündete, allein gegen fast alle. Und das Land kann nicht einmal in den Urlaub fliegen.

Diese Isolation von der Welt wurde lange Zeit in Russland belächelt. Wir dürfen nicht mehr nach Europa? Kein Problem, dann fahren wir eben nicht nach Europa, sondern fliegen nach Dubai oder sonst wohin, die Welt ist groß. Doch jetzt, auf den Böden der Flughäfen liegend, fragen sich bestimmt viele: Woher stammt dieses paranoide Chaos eigentlich? Was ist die Ursache, wer ist schuld?

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"Das geheime Leben der Deutschen" von Wladimir Kaminer

Das neue Buch des Spiegel-Bestsellerautors erscheint am 27. August.

Das Reiseangebot ist sehr dünn geworden. Nordkorea hatte groß angekündigt, einen neuen fantastischen Kurort mit Strand für russische Urlauber schnell fertig zu bauen: unverschämt teuer, eine Woche all-inclusive kostet fast 3.000 Dollar, dafür aber mit einem abwechslungsreichen Programm, auf das kein Tourist verzichten darf. Für den Aufenthalt am Strand sind zweimal die Woche drei Stunden vorgesehen, den Rest der Zeit sollten die Urlauber Einblicke in die nordkoreanische Chuch`e-Ideologie gewinnen und die glorreiche Geschichte des Landes studieren. Auch der Besuch des Großmonuments der ehemaligen Staatsoberhäupter ist ein unverzichtbarer Teil des Urlaubs.

Irgendetwas ist in dem Kurort jedoch gleich nach seiner Fertigstellung schiefgelaufen, die Touristen wurden nach Hause geschickt, angeblich habe die Kommunikation zwischen den russischen Urlaubern und den einheimischen Sicherheitsorganen nicht richtig funktioniert, das Urlaubsdomizil wurde vorübergehend geschlossen. Dafür eröffnete in Russland "Taliban Tour" – das erste Reisebüro weltweit, das Touristengruppen nach Afghanistan schickt.

Urlaub bei den Taliban?

Immerhin war Putins Russland der erste und bis jetzt auch der einzige Staat, der die Taliban als Regierung anerkannt hat. Angedacht als "Memory-Reisen" war die "Taliban Tour" vor allem für ehemalige sowjetische Soldaten gedacht, die ihrer internationalen Pflicht als Invasoren an den steinigen Felsen Kandahars nachgegangen und durch eine glückliche Fügung des Schicksals lebend zurückgekommen waren. Sie sollten die Chance bekommen, ihren inzwischen erwachsenen Kindern und Enkelkindern die exotischen Orte zu zeigen, wo sie ihre "Jugend" verbracht hatten.

Aber auch andere, natürlich männliche Touristen, die auf exotische Reisen stehen, lobten das Land. Vor allem begeisterte sie das allgegenwärtige Gefühl der Sicherheit: Das heutige Afghanistan sei das sicherste Land der Welt, schwärmte ein Reiseteilnehmer. Überall, an jeder Kreuzung stehen Patrouillen mit Maschinengewehren, die Straßen sind sauber und leer, es wird nirgends Kaugummi auf den Boden gespuckt, die Kriminalität ist gleich null, keine Taschendiebtricks und kein Rotlichtmilieu, die Kinder sind "safe".

Ab und zu knallt es auf dem Markt, man merkt, dass die Taliban eine ziemlich laute innenpolitische Diskussion mit dem örtlichen IS führen, aber die Menschen sind sehr freundlich. Und alle Reisenden, die zurückgekommen sind, sahen sehr glücklich aus, versicherte der Veranstalter.

Albert Einstein wird der Satz nachgesagt: "Der beste Beweis, dass es ein intelligentes Leben im Weltall gibt, ist, dass dieses Leben mit uns nichts zu tun haben will." Im Interesse der gegenseitigen Sicherheit, versteht sich.

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