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Vor Ungarn-Wahl: "Viktor Orbáns Flirt mit Wladimir Putin war keine kluge Idee"


Orbán kämpft um Wiederwahl
"Der ungarische Ministerpräsident steht ziemlich blamiert da"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 03.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin and Viktor Orbán: Die Nähe zu Russlands Präsidenten könnte Orbán in den anstehenden Wahlen schaden.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin and Viktor Orbán: Die Nähe zu Russlands Präsidenten könnte Orbán in den anstehenden Wahlen schaden. (Quelle: ITAR-TASS/imago-images-bilder)

Wladimir Putin galt als Vorbild von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Was sich mit dem Ukraine-Krieg als fatal erwies, sagt György Dalos. Der Historiker schätzt die Lage in Ungarn vor der Wahl am Sonntag ein.

t-online: Herr Dalos, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán machte aus seiner Verehrung für Wladimir Putin keinen Hehl, nun führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Schadet Orbáns Vorgeschichte mit Russlands Präsidenten ihm nun im Wahlkampf?

György Dalos: Viktor Orbáns Flirt mit Wladimir Putin war keine besonders kluge Idee – das ist eine Tatsache. Ungarn hat unter Orbán die Nähe zu Russland gesucht, um damit die Europäische Union unter Druck zu setzen. Seit dem Beginn des russischen Ukraine-Krieges steht der ungarische Ministerpräsident nun ziemlich blamiert da.

György Dalos, 1943 in Budapest geboren, ist ungarischer Historiker und Autor. In den Siebzigerjahren begründete er die ungarische Oppositionsbewegung gegen das kommunistische Regime mit. Dalos ist Autor zahlreicher Bücher, insbesondere über die Geschichte und Politik seines Heimatlandes. 2010 erhielt der Forscher den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, 2015 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Gerade ist mit "Das System Orbán. Die autoritäre Verwandlung Ungarns" Dalos' neuestes Buch erschienen.

Mit Mateusz Morawiecki aus Polen, Petr Fiala aus Tschechien und Janez Janša aus der Slowenien sind drei EU-Regierungschefs nach Kiew zu Wolodymyr Selenskyj gefahren, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Hat Orbán eine gute Gelegenheit verpasst, wieder diplomatischen Boden gutzumachen?

In gewisser Weise. Aber auch wenn Orbán nach Kiew gefahren wäre, wer hätte ihm dies als aufrichtige Geste abgenommen? Seine ganze Politik des letzten Jahrzehnts war ein großer Fehler: Ungarn ist ein kleines Land, mit einer derartigen Schaukelstuhlpolitik zwischen den großen Mächten wie der Europäischen Union und Russland war die Gefahr groß, zwischen die Fronten zu geraten. Wie es nun geschehen ist.

Ungarn ist wie kaum ein anderer EU-Staat vom Krieg in der Ukraine betroffen. Immerhin lebt eine große ungarische Minderheit von nahezu 150.000 Menschen in der Ukraine.

Das ist richtig. Ungarn teilt zudem eine mehr als 100 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine. Entsprechend kann Ungarn in diesem Konflikt nicht neutral bleiben. Auch kommen Zigtausende Flüchtlinge in unser Land. Ich besuche manchmal die Aufnahmestelle auf dem Westbahnhof, an der die Flüchtenden in Budapest empfangen werden. Dort spielen sich bewegende Szenen ab. Die Hilfsbereitschaft der Ungarn ist sehr hoch, angesichts dieses brutalen Krieges, den Putin gegen die Ukraine führt.

Aber noch mal gefragt: Erweist sich Orbáns Putin-Nähe nun als schädlich? Seine Zustimmungswerte sind immer noch recht hoch.

Das ist leider so. In bedrohlichen Zeiten scharen sich manche Menschen gerne um starke Führungsfiguren. Wenn man Orbán als eine solche ansehen will.

Wie schätzen Sie denn die derzeitige Stimmung in Ungarn ein? Wird die Opposition Orbáns regierende Fidesz-Partei schlagen können, die im Bündnis mit den ungarischen Christdemokraten über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügt?

Die Chancen stehen 50 zu 50. Erst am Wahlabend des 3. April werden wir Gewissheit haben. Viele Dinge sind auch noch ungewiss. Etwa, wie der Krieg die wirtschaftliche Situation in Ungarn beeinflussen wird. Mein Land ist in dieser Hinsicht extrem von der Europäischen Union abhängig, weswegen Orbáns antieuropäische Politik umso sinnloser erscheint.

Orbán regiert Ungarn nun bereits seit 2010 ohne Unterbrechung – gibt es denn gar keine Wechselstimmung?

Orbán hat seine besten Zeiten hinter sich. Lange Zeit hat er sich mittels geschickter Medienauftritte das Image eines großen Staatsmannes gegeben. Aber das gelingt ihm zunehmend weniger.

Was für eine Art Politiker ist Orbán aber eigentlich? Einst ist er als Reformer angetreten, dann verwandelte er sich zu einer Art Autokraten.

Ich bin ihm in den Achtzigerjahren mehrmals begegnet. Er hat sich seit damals ziemlich radikal in seiner Erscheinung, seinem Verhalten, aber auch seinen politischen Überzeugungen verändert. Bei Auftritten wirkte Orbán damals ziemlich unbeholfen, später wurde er zu einem guten und charismatischen Redner.

Widerworte muss der Fidesz-Chef seit einiger Zeit auch nicht mehr fürchten, weil die Regierung die Medien fast vollständig kontrolliert.

Ungarn hat deswegen seit gut einem Jahrzehnt keine öffentliche gesellschaftliche Diskussion mehr erlebt. Wir sind geradezu eine Demokratie ohne Demokraten – wenn ich es auf diese Formel bringen darf. Das Verfassungsgericht, das Parlament und die Behörden, alles wird von Orbán kontrolliert.

Diese Kontrolle will die Opposition nun bei einem Wahlsieg beenden. Allerdings kommen Orbáns Herausforderer aus sehr unterschiedlichen Ecken des politischen Spektrums.

Es handelt sich um sechs Parteien vom linken bis hin zum rechten Rand. Dem ziemlich rechten Rand, um ehrlich zu sein. Die besagte Jobbik-Partei war mindestens in ihren Anfängen offen faschistisch. Rassistische Einstellungen kann man ihr bis heute vorwerfen. So absurd es klingen mag, auch diese Partei wird benötigt, um im Bündnis mit den anderen Oppositionsparteien die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn wieder zu etablieren.

Kann auch die Bedrohung durch Russland dazu beitragen, dass die Staaten der Europäischen Union wieder zusammenrücken?

Ich hoffe schon. Ungarn ist ja nicht das einzige Sorgenkind Europas, auch der tiefe Graben zwischen Nord und Süd innerhalb der Europäischen Union ist dramatisch, wie es sich etwa in der Euro-Krise gezeigt hatte. Auch die Flüchtlingskrise seit 2015 hatte zu Spannungen geführt, wobei Ungarn eine wichtige Rolle gespielt hat. Europa und auch Ungarn müssen nun stark dafür kämpfen, dass die Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts keine ähnliche dramatische Entwicklung nehmen wie die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts, die in Diktatur und Krieg endeten.

Wenn Sie die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts ansprechen: Viktor Orbán hat den früheren "Reichsverweser" Miklós Horthy, der Ungarn seit 1920 autoritär regiert und antisemitische Gesetze erlassen hat, nicht nur rehabilitiert, sondern auch zu einer Art historischem Vorbild stilisiert.

Orbán selbst äußert sich nicht antisemitisch, aber die Verehrung von Horthy sagt einiges aus. Dass im Schulunterricht zudem Autoren gelesen werden, die Antisemiten waren, ist auch alles andere als hinnehmbar.

Mit Wladimir Putin hat Orbán also auch gemein, dass sie zur Rechtfertigung ihrer Politik die Geschichte instrumentalisieren.

Das sagt viel über Putins geistige Qualitäten aus – wie auch Orbáns. Putin führt sein Land erneut in den Stalinismus, wir Ungarn haben immerhin die Möglichkeit, unsere Regierung in einer demokratischen Abstimmung abzuwählen. Hoffen wir, dass Orbáns Tage an der Macht gezählt sind.

Herr Dalos, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit György Dalos via Videokonferenz
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