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SPD: Kampf um Parteiführung – Selbstmord aus Angst vor dem Tod


Neue SPD-Parteiführung
Selbstmord aus Angst vor dem Tod

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

02.12.2019Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Klara Geywitz und Olaf Scholz: Lange galt das Bewerber-Duo als wahrscheinlicher Gewinner, doch dann setzten sich die Groko-Kritiker durch. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Klara Geywitz und Olaf Scholz: Lange galt das Bewerber-Duo als wahrscheinlicher Gewinner, doch dann setzten sich die Groko-Kritiker durch. (Archivbild) (Quelle: Arnulf Hettrich/imago-images-bilder)

Mit der Absage an Scholz und Geywitz hat sich die SPD gegen die Regierung entschieden. Doch der neue Kurs führt die SPD in die Bedeutungslosigkeit. Dafür würde eine andere Partei von vorgezogenen Wahlen profitieren.

In der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es immer schon Phasen, in denen sich die Gesellschaft plötzlich auf einer anderen Umlaufbahn befand als die Politik. Was so schön eingefahren war, verlor plötzlich die Balance. Das Gefälle hielt meist einige Zeit an, die Parteien blieben zuerst harthörig, dann unternahmen sie Tastversuche, um die veränderten Gegebenheiten nicht zu verpassen. Das Gefüge wandelte sich, neue Mitspieler tauchten auf und die etablierten Parteien gerieten in Panik.

So war das beim Machtwechsel 1969, beim Ende der Ära Schmidt 1982, beim Ende der Ära Kohl 1998. Die Politik zieht nach, sie holt auf und richtet sich in der Veränderung ein. Bisher vollzog sich die Anpassung gerade noch rechtzeitig.

Auch jetzt treibt Deutschland seit einer Weile unentschlossen dahin. Der Kanzlerin fehlt in ihren Monaten vor dem Abschied die Kraft zu konsistentem Handeln. Ihre Regierung ist ebenso arbeitsam wie glanzlos. Das Neue, worauf sich die nächste Regierung konzentrieren muss, sind die Flüchtlinge, die verschärfte Aufmerksamkeit für die Klimakrise, die Kluft zwischen Arm und Reich, aber auch die Digitalisierung der Arbeitswelt oder die Frage nach dem richtigen Regieren. Mehr Regieren wagen, wäre kein schlechtes Motto.

Die Parteien sind auf der Suche nach neuer Führung

Wer uns regieren will, muss Antworten geben. Da fügt es sich, dass vier Parteien sich innerhalb kurzer Zeit auf Parteitagen tummelten. Jede von ihnen sucht nach einer Führung, die möglichst geschickt und möglichst umsichtig die kleinen und größeren Tanker manövriert.

Besonders große Mühe gab sich die SPD. Sie ließ sich Zeit, als hätte sie viel davon. Sie kreiste um sich, die aufwendige Suche nach einem neuen Vorsitz erbrachte das befürchtete Ergebnis. Was sie sich davon verspricht, die Koalition in die Luft zu jagen, ist mir schleierhaft.

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Aber das neue Tandem erhielt genau deswegen eine Mehrheit und muss dieses imperative Mandat nun getreulich umsetzen. Was dabei herauskommen mag, zum Beispiel bei der nächsten Bundestagswahl, scheint nebensächlich zu sein. Die deutsche Sozialdemokratie, ehrwürdig durch Alter und berühmt dafür, die Opposition mehr zu lieben als die Regierung, kann sich dann in der Blüte des Purismus marginalisieren.

Esken feuert noch immer gegen Schröder

Vor allem Saskia Esken fällt durch aggressive Dauerbewältigung der Vergangenheit auf. Noch immer arbeitet sie sich gefühlsgeladen an der Agenda 2010 ab und tut dabei so, als sei Gerhard Schröder ein Irrtum der Geschichte gewesen, als habe er sich zum Büttel des Kapitals hergegeben.

Nur zur Erinnerung: Als Schröder im Jahr 2003 die Agenda 2010 verkündete, lag die Arbeitslosigkeit im Westen bei 9,3 und im Osten bei 20,1 Prozent. Meint die neue Vorsitzende ernsthaft, dass ein SPD-Kanzler mit höheren Steuern dagegen angekommen wäre? Und nebenbei gesagt waren es damals die Gewerkschaften, die eine Doppelstrategie von Arbeitsmarktreformen plus Mindestlohn verhinderten: Für die Tarifautonomie fielen sie dem Kanzler in den Arm.

Auch in der Opposition kann sich die SPD nicht retten

Die SPD ist in einer neuen Schwarz-Weiß-Phase angelangt. Regieren nicht gut, Opponieren besser. Lieber raus aus der Regierung als weitermachen. Glaubt denn das Duo aus Esken und "Nowabo" – so das Kürzel von Norbert Walter-Borjans –, dass die SPD bei der Wahl für ihren Heldenmut belohnt werden wird? Die Schrumpfung der Volkspartei SPD zur knapp zweistelligen Partei auf Augenhöhe mit der FDP und der Linken dürfte das Ergebnis sein.

Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste Olaf Scholz zurücktreten. An Autorität büßt er durch die Niederlage ein, kein Zweifel. Was aber auch wahr ist: Der Regierungsflügel kann die Parteitagsbeschlüsse, die in der nächsten Woche gefällt werden, einfach ignorieren. Minister wie Olaf Scholz oder Heiko Maas können ohne Regieren nur verlieren. Andere wie Hubertus Heil oder Franziska Giffey sind hingegen jung und gut genug, um eben nicht das Schlimmste befürchten zu müssen: das abrupte Ende ihrer Karriere.

Der AfD gelang, woran die SPD scheiterte

Die Ironie besteht in der Duplizität der Ereignisse am Samstag. Die AfD bekommt es hin, zwei Vorsitzende zu wählen, die noch keinen Anstoß erregen. Im Hintergrund ziehen andere die Fäden, na klar, kommt auch anderweitig vor. Aber der befürchtete Machtkampf zwischen rechts, ganz rechts und weit außen rechts blieb aus.

Der alt-neue Co-Chef Jörg Meuthen sagte übrigens in der letzten Sendung von Sandra Maischberger einen erhellenden Satz. Gefragt nach den Bedingungen für das weitere Wachstum seiner Partei, antwortete er, eine Rezession würde sicherlich helfen. Interessant ist die Aussage, weil sich offenbar der Katalysatoren-Effekt durch die Flüchtlinge 2015 erschöpft hat. Will die AfD stärker werden, muss wieder eine Krise ausbrechen, die das Land noch tiefer spaltet. Was Björn Höcke denkt, spricht Jörg Meuthen leutselig aus.

Für die Grünen wäre der perfekte Zeitpunkt für Neuwahlen

Noch geschmeidiger brachten die Grünen ihren Parteitag hinter sich. Sie verfügen über ein kluges, angenehm anzuschauendes, hochprofessionelles Tandem. Ohne es auszusprechen, sie hätten nichts gegen eine vorzeitige Bundestagswahl einzuwenden. Sie liegen gut im Wind, der sie allerdings nicht ewig vorantreiben kann. Dafür wären zwei Jahre zu lang, ein Jahr oder weniger wäre kommoder.

Selbst die CDU vermied Selbstzerfleischung auf ihrem Parteitag, wenn auch nur durch die Entweder-oder-Frage ihrer Vorsitzenden. So etwas nannten die Griechen nicht zufällig einen Pyrrhus-Sieg. Was Annegret Kramp-Karrenbauer machte, kann sie nur ein einziges Mal machen. Diesmal wirkte die kleine Erpressung. Aber nichts ist geklärt, alles ist aufgeschoben. Vor der nächsten Wahl dürfte passieren, was jetzt nicht passierte.


Die Gesellschaft hat sich verändert, das ist nun einmal so, und die Parteien sind mit der verschärften Anpassung an die neuen Gegebenheiten beschäftigt. Was daraus entsteht, hängt vom Geschick, der Kraft und dem Elan der Protagonisten ab. Die Grünen und die AfD stehen am besten da. Die CDU ist weiterhin so vernünftig, vorgezogene Wahlen zu meiden. Nur die SPD sucht den Selbstmord – aus Angst vor dem Tod.

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