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Moria-Flüchtlinge: Erdogan findet jederzeit wieder einen Grund zur Erpressung


Aufnahme von Moria-Flüchtlingen
Erdogan findet jederzeit wieder einen Grund zur Erpressung

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 14.09.2020Lesedauer: 3 Min.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip ErdoganVergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Quelle: imago-images-bilder)

Durch den Brand im Elendslager Moria entfacht in Europa auch wieder der Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen. Kein Wunder. Doch ein Prinzip dürfen die Europäer nicht auch noch verraten. | Eine Kolumne von Gerhard Spörl.

Anfang August besuchte Armin Laschet das Lager Moria. Hinterher sagte er viel Richtiges: Die Flüchtlinge lebten in einer "Situation der Perspektivlosigkeit", er sprach von einem "Aufschrei der Verzweifelten", er sagte, Europa dürfe die griechische Regierung nicht allein lassen und der Umstand, dass die EU-Ratspräsidentschaft momentan bei Deutschland liege, biete Hoffnung auf "eine dauerhafte Lösung" für die Geflüchteten.

Als Laschet von seinem Aufenthalt in Moria erzählte, erntete er kaum mehr als höfliche Aufmerksamkeit. Moria war fern, Moria war uninteressant. Das hat sich vier Wochen später schlagartig geändert.

Plötzlich erinnert sich Europa

Auf einer ehemaligen Militäranlage entstand im Oktober 2015 auf Lesbos ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge, das rasch zum größten europäischen Flüchtlingslager heranwuchs. Um das eigentliche Camp zogen Migranten Zelte und provisorische Behausungen hoch. Schlägereien, Messerstechereien zwischen Migranten aus unterschiedlichen Ländern sind nicht selten.

14.000 Menschen leben auf engem Raum unter erbärmlichen Verhältnissen. Sie wissen nicht, wie es weitergeht, was aus ihnen wird, ein Tag ist wie jeder andere, ohne Aussicht auf Veränderung, jeder ist sich selbst der Nächste, Hilflosigkeit und Wut und Zorn und Gewalt gehören zum Alltag. Dass sie auf die Idee kamen (oder gebracht wurden), ihr Lager in Flammen aufgehen zu lassen, damit Europa dort draußen sich ihrer erinnert, ist verständlich.

Europa erinnert sich jetzt. Europa muss sich um Moria kümmern. Möglichst vernünftig. Möglichst umsichtig. Das ist das Schwerste überhaupt, weil so viele Interessen dagegenstehen.

Ende September wird die Europäische Union über die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln beraten. Ohne Deutschland geht nichts, da hat Armin Laschet recht. Mit Deutschland geht mehr, aber auch nicht viel. Verbindliche Regeln für eine Verteilung der Flüchtlinge wären ein echter Fortschritt, aber allenfalls zehn von 27 Staaten könnten sich darauf einlassen. Der Einfluss Deutschlands ist in diesem Fall nicht besonders groß.

Spätestens seit 2015 treibt die EU auseinander

Zu den unangenehmen Einsichten in diesen Tagen gehört es, dass Europa eben nur bedingt eine Wertegemeinschaft bildet. Sie ist grundsätzlich eine Wirtschafts- und Währungsunion, also eine Interessenallianz. Interessen können genauso trennen, wie sie verbinden. Spätestens seit 2015 treibt die EU auseinander. Im Umgang mit den Flüchtlingen ist an die Überwindung der Gegensätze gar nicht zu denken, nicht einmal zwischen Deutschland und Österreich.

Zu den klügsten Menschen, die sich mit Migration und ihren Folgen beschäftigen, gehört Gerald Knaus. Er ist Österreicher, hat den Think Tank "European Stability Initiative" gegründet, lebte in der Ukraine, in Bosnien und im Kosovo. Ein erfahrener Mann, urteilskräftig und klarsichtig. Er sagt, Angela Merkel habe vor fünf Jahren "Europas Ehre und Seele gerettet", aber um einen Preis, dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa, besonders im Osten – den Feinden Europas. Sie seien besonders radikal dort, wo es nur eine Hundertschaft Flüchtlinge gebe, zum Beispiel in Ungarn.

Europa muss wieder mit Erdogan verhandeln

Knaus ist alles andere als ein Romantiker. Auf ihn geht das Tauschgeschäft Milliarden gegen geschlossene Grenzen zwischen der EU und der Türkei vom 18. März 2016 zurück. Heute schlägt er eine Erneuerung des Abkommens vor, um die humanitäre Krise auf den griechischen Inseln zu beenden.

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Ob sie will oder nicht, muss die Europäische Union aufs Neue mit der Türkei verhandeln. Präsident Erdogan hat schon einmal die Grenzen aufgemacht, damit Europa nicht vergisst, auf wen es hier ankommt, und man muss ihm jederzeit zutrauen, dass er einen neuen Grund zur Erpressung findet, zum Beispiel um Griechenland in Schwierigkeiten zu stürzen, mit dem er im Konflikt um die Ausbeutung der Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer liegt. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann er wieder Tausende Flüchtlinge losschickt. Verlässlich an ihm ist allein die absolute Unberechenbarkeit.

Auf Moria werden jetzt neue Unterkünfte gebaut. Immerhin. Am menschlichen Elend ändert das wenig. Vermutlich werden sich nach einigem Zögern ein paar willige EU-Länder finden, die einen Gutteil der 12.000 Menschen aufnehmen. Immerhin.

Gerald Knaus sagt dazu, es gebe kein Recht auf Migration, das nicht, aber es gebe den Respekt vor dem humanitären Grundsatz, Menschen nicht in die Gefahr zu stoßen. Darauf sollte sich Europa einigen.

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