Kamala Harris nach TV-Duell Trumps Gegenangriff folgt
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trotz eines starken Auftritts in der TV-Debatte hat Kamala Harris den Wahlsieg nicht sicher. Es gibt noch einige Stolpersteine auf dem Weg ins Weiße Haus.
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Schon in den ersten zehn Sekunden des Aufeinandertreffens zeichnete sich ab, wer der Sieger der historischen TV-Debatte sein dürfte: Kamala Harris ging auf ihren Konkurrenten zu, reichte ihm die Hand und stellte sich vor. Donald Trump hingegen erwiderte die Begrüßung nur zögerlich. Er war offenbar von der Geste überrascht.
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Zuvor hatte sich Kamala Harris überwiegend bei streng choreografierten Wahlkampfauftritten gezeigt, bei denen ihr Team alles unter Kontrolle hatte. Bei der Debatte gegen Trump musste sie sich nun ohne Skript beweisen. Zwar hat Kamala Harris die TV-Debatte insgesamt für sich entscheiden können – das lag aber auch an Trumps eigener Demontage, berichtet t-online-Korrespondent Bastian Brauns.
- Hitzige Redeschlacht in den USA: Die Höhepunkte der TV-Debatte
Doch bis zum Wahlsieg ist es noch ein weiter Weg. Bei folgenden Punkten schlingerte Harris – oder hätte noch konkreter werden müssen:
Wirtschaft
Ein extrem wichtiger Punkt im Wahlkampf: die Inflation und die verarmende Mittelschicht. Harris ging hier zwar in die Offensive. Sie beschuldigte Trump, er wolle Steuersenkungen für Reiche, die einfachen Amerikaner interessierten ihn nicht. Sie appellierte an die Bürger, sich bei einem seiner Wahlkampfauftritte selbst ein Bild davon zu machen. "Donald Trump hat keinen Plan für Sie", sagte Harris. Sie berief sich auf ihren eigenen Werdegang, stellte sich als "Kind der Mittelschicht" dar.
Zugleich kündigte sie ein Förderpaket für die Mittelklasse Amerikas an. So wolle sie etwa einen 50.000-Dollar-Bonus für kleine Unternehmen einführen. Und: "Wir wissen, dass junge Familien Unterstützung benötigen, um ihre Kinder großzuziehen, und ich beabsichtige, diesen Familien eine Steuerermäßigung von 6.000 Dollar zu gewähren", so Harris, "damit sich diese jungen Familien ein Kinderbett, einen Autositz und Kleidung für ihre Kinder leisten können".
Das Problem: Ihre Offensive scheint bei den Wählern offenbar nicht anzukommen. Laut einer Umfrage von CNN schätzen die Amerikaner die Wirtschaftskompetenz von Harris nicht genug. 55 Prozent der Befragten denken, dass Trump mehr Wirtschaftskompetenz hat als Harris. Ihr schreiben lediglich 35 Prozent diese Kompetenz zu. Bis zur Wahl muss sie hier folglich noch stärkere Akzente setzen.
Migration
Die illegale Migration ist in den USA ein hitzig diskutiertes Thema, es ist eines der zentralsten im Wahlkampf. Trump schwadronierte im Duell von Haustiere verspeisenden Migranten – was eine Verschwörungserzählung ist.
Und weiter: Unter der Führung von Joe Biden und ihr als Vizepräsidentin seien die USA zu einem "gescheiterten Staat" geworden, sagte Trump. Sie und Biden hätten es zugelassen, "dass Millionen von Menschen aus Gefängnissen, Irrenanstalten und Irrenhäusern in unser Land strömen".
Harris hingegen lenkte beim Thema Migration ab – und Trump ließ sie gewähren. Tatsächlich wird ihr vielfach zum Vorwurf gemacht, sie habe in ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin unter Biden zu wenig gegen die illegale Migration unternommen. Ein Thema, das Trumps Team sicher noch ausschlachten wird.
Außenpolitik
In der Außenpolitik sagte Harris über den Republikaner, dieser sei eine internationale Lachnummer. "Die führenden Politiker der Welt lachen über Donald Trump", sagte Harris. Sie warf Trump vor, sich Machthabern wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anzubiedern, der "Sie zum Mittagessen verspeisen würde". Diktatoren und Autokraten sähen Trump gerne im Weißen Haus, denn ihnen sei klar, dass sie den Immobilienmilliardär "mit Schmeicheleien und Gefälligkeiten manipulieren" könnten.
Außer dieser Attacke blieben die Kandidaten – auch Harris – sehr unkonkret in Bezug auf Außenpolitik. Sie stellten etwa nicht dar, wie die USA der Ukraine helfen wollen – oder für wie realistisch sie Friedensverhandlungen halten. Harris warf Trump indes vor, auf internationalem Parkett einer der "schwächsten Verhandler" überhaupt zu sein. Dabei überschlug sich ihre Stimme immer wieder. Sie wirkte dabei nicht besonders souverän.
Vor allem ihre Haltung zu Israel könnte für Harris ein Knackpunkt werden. Einerseits wehrte sie sich gegen Trumps Angriff, Israel fallen zu lassen. "Sie hasst Israel. Wenn sie Präsidentin wird, gibt es Israel in zwei Jahren nicht mehr", sagte er. Auf der anderen Seite betonte sie die Notwendigkeit eines Waffenstillstands, sagte, es seien "viel zu viele unschuldige Palästinenser" gestorben – nicht zuletzt mit Blick auf viele junge Menschen aus dem politisch linken Milieu.
In den USA ist die Stimmung hinsichtlich des Israel-Gaza-Kriegs politisch noch aufgeheizter als hierzulande. An vielen Universitäten gibt es etwa regelmäßig pro-palästinensische Protestcamps, im Regelfall mit antisemitischen Parolen. Selbst auf dem Parteitag der Demokraten störten Demonstranten Harris' Rede. Harris muss folglich einen Balanceakt vollziehen. Denn das Thema ist vor allem für junge, linke Studierende derzeit das drängendste – doch diese stellen auch eine wichtige Wählergruppe der Demokraten dar.
Körpersprache
Gerade zu Beginn wirkte Harris auf der Bühne des Studios unsicher. Sie blickte oftmals zu Trump, während der viel in die Kamera schaute, sich bisweilen staatsmännischer gab – und das, obwohl Harris ja das zweitwichtigste Amt in den USA innehat.
Einige ihrer Gesten wurden bereits in den sozialen Medien auf humorvolle Weise aufgegriffen, etwa als sie sich an ihr Kinn fasste und Trump kritisch beäugte. Doch Harris muss aufpassen, dass sie nicht als arrogant bei den Wählern ankommt – oder eben unsicher.
Trump hatte Harris im Vorfeld mehrfach zum Vorwurf gemacht, dass sie zu oft lache. Er nannte ihr Lachen "verrückt". In dem TV-Duell hielt sich Trump mit solchen Angriffen unterhalb der Gürtellinie derweil zurück. Doch nach der Debatte wird sein Team sich sicher wieder in Stellung bringen, auch weil Harris mehrfach bei Aussagen ihres Konkurrenten anfing zu lachen.
Sturm aufs Kapitol
Mit Blick auf den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 sagte Harris: "Donald Trump hat uns den schlimmsten Angriff auf unsere Demokratie seit dem Bürgerkrieg beschert. Und was wir getan haben, ist, Donald Trumps Chaos aufzuräumen."
Was sie dabei außer Acht ließ: Den Terrorangriff vom 11. September 2001, und das ausgerechnet am Abend vor dem 23. Jahrestag der Al-Qaida-Attacke. Donald Trump hat zwar nicht rechtzeitig geschaltet und ist auf ihren Schnitzer entsprechend nicht eingegangen. Doch das wird sein Team mit Sicherheit nachholen.
- Eigene Recherche
- abc.com: "Livestream der Debatte im US-Sender ABC"
- CNN: "Takeaways from the ABC presidential debate between Donald Trump and Kamala Harris" (englisch)
- The Guardian: "Harris targets Trump for falsehoods on abortion and immigration in fiery debate" (englisch)
- axios.com: "Trump and Harris stick to talking points and personal attacks on foreign policy" (englisch)
- The Wall Street Journal: "Trump, Harris Traded Barbs in Fiery Debate" (englisch, kostenpflichtig)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters