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Nato-Ostflanke: Ein deutscher Spitzenpolitiker übt den Ernstfall in Litauen


Spitzenpolitiker übt den Ernstfall
Vom Bundestag zum Einsatz an der Ostflanke

Von Miriam Hollstein

27.06.2023Lesedauer: 6 Min.
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Ostflanke statt Bundestag: der CDU-Politiker Johann Wadephul nimmt als Reservist an der Nato-Übung "Griffin Storm" in Litauen teil. (Quelle: Kay Nietfeld)

In Litauen proben deutsche Soldatinnen und Soldaten an der Grenze zu Belarus den Ernstfall: Wie verteidigt sich die Nato, wenn die Russen angreifen? Mit dabei: ein deutscher Bundestagsabgeordneter.

In anderen Zeiten wäre der CDU-Bundestagsabgeordnete und Vizefraktionschef Johann Wadephul jetzt in seinem Wahlkreis im schleswig-holsteinischen Rendsburg-Eckernförde unterwegs. Würde Bürgergespräche führen, Grußworte sprechen, Vorträge halten. Stattdessen steht der 60-Jährige im Flecktarn und mit schwarzem Barett auf einer litauischen Brachfläche, rund 20 Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt.

Hier, nahe dem Ort Pabradė und knapp 50 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt, liegt der größte Truppenübungsplatz des Landes. Wadephul ist beim Nato-Großmanöver "Griffin Storm" dabei, das hier seit dem 16. Juni stattfindet. Dabei ist es fast 40 Jahre her, dass er "gedient" hat. Als junger Mann verpflichtete er sich vier Jahre lang als Zeitsoldat. Seither ist er Reservist. In dieser Funktion hat er sich freiwillig gemeldet, um an "Griffin Storm" teilzunehmen.

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"Griffin Storm" heißt übersetzt "Angriff der Greifenvögel". Was ein bisschen nach einem Harry-Potter-Roman klingt, ist der Name eines Großmanövers der Nato, das unter deutscher Führung gerade in Litauen an der Ostflanke stattfindet. Seit dem 16. Juni wurden rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten und 350 Fahrzeuge der Bundeswehr in den baltischen Staat verlegt, der eine Grenze zur russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad hat. Gemeinsam mit den litauischen Streitkräften üben sie, das Land gegen einen Angriff zu verteidigen.

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Wie die Abwehr eines solchen Angriffs in der Praxis aussehen könnte, davon machte sich Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am Montag selbst ein Bild. Allerdings war er nicht wie Wadephul zwölf Tage vor Ort, sondern nur für einen Tag nach Pabradė gereist. Zusammen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda ließ er sich auf dem 8.500 Hektar großen Manövergelände ein Verteidigungsszenario vorführen. "Dynamische Leistungsschau" heißt das im militärischen Fachjargon.

Der Feind ist gestoppt

Simuliert wurde ein feindlicher Angriff, der zunächst mit Drohnen und Spähfahrzeugen aufgeklärt und dann mit Panzern und Minenleger abgewehrt wird. Eine Dreiviertelstunde dauerte das imposante Spektakel, bevor unter den Klängen von Musik die Entwarnung kam: "Mission accomplished". Feind gestoppt, Mission erfüllt. So jedenfalls in der Simulation.

Dass das Nato-Manöver nicht nur irgendeine Inszenierung ist, haben die Bundeswehrsoldaten in Litauen am Wochenende sehr deutlich zu spüren bekommen. Die Nachricht vom Putschversuch des Chefs der Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, sprach sich im Camp in Windeseile herum. Ebenso wie die, dass er nun nach Belarus ins Exil gegangen sei.

Als sich Johann Wadephul für Litauen meldete, ahnte er nicht, was in dieser Zeit geschehen würde. Auch vom geplanten Besuch von Pistorius wusste er damals noch nichts. "Ich wollte die Situation des Einsatzes kennenlernen", erzählt er: "Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt."

Die Stunden, in denen unklar war, wie sich die Lage in Russland entwickelt, habe er mit "innerer Anspannung" verfolgt, sagt Wadephul. Politisch will er sich nicht äußern, solange er die Bundeswehruniform trägt. Aber dann sagt er doch, dass es eben etwas anderes sei, in Berlin über Bundeswehreinsätze "politisch-parlamentarisch" zu debattieren oder aus der Perspektive des Soldaten die Gefahr in unmittelbarer Nähe mitzuerleben.

Wie die anderen Soldatinnen und Soldaten ist auch Wadephul in einem Container untergebracht. Einziges Privileg: Er kann ihn alleine nutzen. An den Schießübungen mit scharfer Munition nimmt er nicht teil, er ist unter anderem als Aufklärer auf den Spähfahrzeugen mit im Einsatz und hat im Vorfeld des Pistorius-Besuchs bei der Vorbereitung geholfen. Morgens geht er immer eine Runde in den nahen Wäldern joggen: "Man muss schon was tun, um mit den jungen Soldaten mithalten zu können." Abends sitzt er oft mit den anderen zusammen. Dieses Gefühl der Kameradschaft, es erinnert ihn an seine Zeit als junger Soldat.

"Griffin Storm" läuft noch bis zum 7. Juli. Die Übung hat einen doppelten psychologischen Sinn. Zum einen ist sie eine Art "Warnschuss" in Richtung Moskau, der zeigen soll: Das passiert, wenn ihr Litauen und damit Nato-Gebiet angreift. Denn die große Sorge der ehemaligen Sowjetrepublik ist, dass sie nach der Ukraine relativ weit oben auf Putins militärischer Einverleibungskarte stehen könnte. Und das nicht ohne Grund: Als Litauen im vergangenen Sommer den Warentransit zwischen Kaliningrad und dem russischen Kernland einschränkte, da drohte der Kreml mit "praktischer" Vergeltung.

Zum Zweiten ist das Manöver eine Versicherung in die Nato hinein, insbesondere an die litauische Bevölkerung und Regierung: Deutschland ist da, um euch im Ernstfall zu verteidigen. Denn daran gab es in der Vergangenheit bei den baltischen Staaten immer wieder Zweifel.

Monatelang drängte die Regierung in Vilnius darauf, dass Deutschland sein Versprechen einlöst, dauerhaft eine Brigade in Litauen zu stationieren. So wie es Präsident Nausėda und der deutsche Kanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr vereinbart hatten. Doch Deutschland wollte nur eine Brigade auf Rotationsbasis zur Verfügung stellen – auch weil vor Ort gar nicht genug Infrastruktur dafür vorhanden ist und weil der Bundeswehr zudem das Personal dafür fehlt.

Mit dieser Ankündigung überraschte Pistorius alle

Die Ankündigung, die Boris Pistorius am Montag nach seiner Ankunft in Litauen machte, überraschte daher nicht nur die litauische Regierung, sondern auch die Nato-Partner. Deutschland sei bereit "eine robuste Brigade dauerhaft in Litauen zu stationieren", sagte der Verteidigungsminister bei einer Pressekonferenz am Flughafen von Vilnius und fügte hinzu: "Freedom is not for free" (Freiheit ist nicht umsonst). "Wir sprechen hier am Ende über die Verteidigung unserer gemeinsamen Freiheit", so Pistorius weiter.

Allerdings nannte Pistorius zwei Bedingungen: Die Stationierung müsse kompatibel mit der Nato-Planung sein und zuerst die Infrastruktur geschaffen werden. Übersetzt heißt das: Litauen muss erst Kasernen, Unterkünfte für die Angehörigen und Munitionslager bauen, bevor Deutschland eine dauerhafte Brigade mit einer Stärke von 4.000 Soldatinnen und Soldaten schicken wird. Das könnte Jahre dauern. Flugs ergriff die litauische Regierung die Gelegenheit: Beim gemeinsamen Auftritt mit Pistorius nannte Präsident Nausėda 2026 als Zieldatum.

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Pistorius hat damit weitere Sympathien in Litauen und der Region gewonnen. "Das deutsch-litauische Verhältnis hat sich verbessert, nachdem es vor ein paar Monaten auf einem Tiefpunkt angelangt war", konstatiert Oliver Morwinsky, Leiter des Auslandsbüros Baltische Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung. Verantwortlich dafür sei vor allem auch der neue deutsche Verteidigungsminister. Dessen Auftreten habe dafür gesorgt, "dass die Litauer wieder mehr Vertrauen in Deutschland haben".

Hohe Erwartungen an den Nato-Gipfel

Spannungsfrei werden die Beziehungen damit aber sicher auch in Zukunft nicht sein. "Man sieht Deutschland in einer Bringschuld", sagt Morwinsky. Vor allem an den Nato-Gipfel im Juli in Vilnius hätten die Litauer hohe Erwartungen.

Drei Bedingungen wollen sie erfüllt sehen: 1. Mehr Truppen vor Ort. 2. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato (jedes Mitglied muss zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren) als absoluter Mindeststandard – Deutschland erreicht momentan nicht einmal 1,6 Prozent, und 3. eine sofortige Aufnahme der Ukraine in die Nato.

Letzteres lehnen die meisten Nato-Partner, allen voran Deutschland, allerdings ab. Eine bevorzugte Aufnahme der Ukraine in die Nato und die EU würde nicht nur die anderen Kandidaten, die teils schon sehr viel länger auf ihre Mitgliedschaft warten, verprellen, sondern würde in Moskau auch als Provokation verstanden, glaubt man in Berlin.

Für die Litauer wäre eine Absage auf dem Nato-Gipfel hingegen höchst problematisch. "Aus der Sicht vieler Litauer wäre das ein geradezu historischer Verrat", glaubt OIiver Morwinsky. Dort vertritt man die Haltung: "Putin muss verstehen, dass er die Ukraine nicht mehr anfassen darf." Verstünde er dies nicht, würde Putin weitermachen, auch mit dem Baltikum, so die feste Überzeugung in der Region: "Das nächste Butscha wäre dann in Litauen, Estland oder Lettland."

Der CDU-Parlamentarier Johann Wadephul wird am kommenden Dienstag wieder in den Bundestag zurückkehren. Zur nächsten Sitzungswoche. Was ihn bei seinem Einsatz bislang am meisten beeindruckt hat? Das Engagement der Soldaten, sagt er: "Alle hier wissen, was sie tun. Und sie sind bereit, es zu tun."

Für ihn persönlich wird die Zeit in Litauen auch mit einer besonderen Anekdote verbunden bleiben. Boris Pistorius hat ihn bei seinem Besuch in Litauen vom Major zum Oberstleutnant der Reserve befördert. Dass ihm diese Ehre ausgerechnet durch einen sozialdemokratischen Verteidigungsminister zuteilwerden würde, hätte er nicht gedacht, sagt Wadephul und lächelt. Stolz ist er trotzdem.

Verwendete Quellen
  • Besuch des Nato-Manövers "Griffin Storm" in Pabradė
  • Anfrage an das Auslandsbüro Baltische Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung
  • Aufsatz von Kai-Olaf Lang (Stiftung Wissenschaft und Politik): Deutschland und Litauen – Von der Verteidigungskooperation zur Sicherheitspartnerschaft. Berlin, 16.06.2023
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