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Estlands Premier: Kaja Kallas mahnt zu weniger Naivität gegenüber Putin


Estlands Premierministerin warnt vor Putin
"Sollten uns mehr Sorgen darüber machen"

Von t-online, cc

Aktualisiert am 21.02.2024Lesedauer: 4 Min.
Estlands Premierministerin Kaja Kallas.Vergrößern des BildesEstlands Premierministerin Kaja Kallas. (Quelle: IMAGO/Eero Vabamägi)
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Kaja Kallas warnt den Westen eindringlich vor zu viel Naivität gegenüber Russland. Und dann schildert Estlands Premierministerin eine erstaunliche Episode aus dem Jahr 1994.

Sie steht seit Kurzem auf einer Fahndungsliste Russlands. Diktator Wladimir Putin stellt ihr also nach. Und doch hat sie keine Angst, Klartext zu reden. Genau das tat Kaja Kallas nun auch in Hamburg. Dort war die estnische Premierministerin zum traditionellen Matthiae-Mahl geladen.

"Mein Volk und ich beobachten mit einer gewissen Sorge, wie wenig wahrgenommen wird, was sich derzeit in den Weiten Russlands zusammenbraut", sagte die 46-Jährige am Dienstagabend im Großen Festsaal der Hansestadt. Auch Kanzler Olaf Scholz nahm an der Veranstaltung teil. Kallas mahnte in Gegenwart des SPD-Politikers um mehr Unterstützung für die Ukraine.

"Gemeinsam können wir der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen. Wir haben die Ressourcen, die wirtschaftliche Macht, den Sachverstand." Die Stärke des Westens überwiege jene Russlands. "Lasst uns keine Angst haben vor unserer eigenen Macht", appellierte sie vor rund 400 Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

Zehnmal mehr Munition als die Ukraine

Mit scharfen Worten warnte sie die westlichen Verbündeten vor allzu großer Naivität gegenüber Russland. "Wir müssen schonungslos ehrlich zu uns selbst sein – genauso wie Russland immer noch ukrainische Städte bombardiert und durch ihre Städte und Dörfer marschiert: Wir haben unsere Versprechen nicht eingehalten", sagte Kallas. Der Ukraine gehe die Munition aus. Langfristige Verpflichtungen seien wichtig, aber es sei auch eine Tatsache, dass die Seite gewinne, die über mehr Munition verfüge. Und das ist eindeutig Russland.

Bei der Schlacht um Awdijiwka verfügten die russischen Aggressoren zum Teil über zehnmal mehr Munition als die ukrainischen Verteidiger. Zudem konnte sich Russland auf seine Luftüberlegenheit stützen, zum Teil startete die russische Luftwaffe bis zu 70 Angriffe pro Tag auf die umkämpfte Stadt. Nach Monaten verlustreicher Gefechte gab die Ukraine den Ort daher vergangene Woche auf. Dies könnte nun auch weiteren Orten im Donbass drohen.

Militärexperten wie der österreichische Oberst Markus Reisner sehen bereits Anzeichen dafür, dass die Front im Osten der Ukraine zugunsten Russlands ins Rutschen gerät. "Das Momentum liegt ganz klar bei den Russen", sagte er kürzlich zu "ntv.de". Wie dramatisch die Lage für die Ukraine zum Teil ist, beschrieb Reisner so: "Die Ukrainer haben noch versucht, so viel Soldaten und Gerät wie möglich herauszubekommen und sogar einen Gegenangriff durchzuführen. Aber der ist im Feuer der Russen liegen geblieben, zum Teil unter schweren Verlusten."

Kallas wird deutlich

Angesichts der russischen Überlegenheit und der Unfähigkeit des Westens, die Ukraine mit ausreichend Kriegsmaterial zu unterstützen, wurde Kallas in Hamburg deutlich. Sie erinnerte an die Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende. Dort habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Recht die Frage gestellt, warum Putin den Krieg immer noch fortsetzen könne. "Wir müssen diese Frage beantworten – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten", so die estnische Regierungschefin. Ihr habe in München die Siegesgewissheit gefehlt.

Verteidigung sei keine Eskalation, Widerstand provoziere Russland nicht, Schwäche tue es, sagte Kallas. Sie werde immer wieder gefragt, was der russische Präsident Wladimir Putin tun würde, wenn er verlieren würde. "Meine Antwort: Wir sollten uns mehr Sorgen darüber machen, was er tun wird, wenn Russland gewinnt." Es sei an der Zeit, die Grauzonen der Sicherheit in Europa zu beenden. "Die Zukunft der Ukraine liegt in der Nato und der EU."

Kanzler Scholz sagte, Russland wolle mit seinem "imperialistischen, mörderischen Angriffskrieg" die Geschichte Europas umschreiben und die Grenzen mit Gewalt verschieben. "Für uns als Demokratien, als Europäer, als Freunde der Freiheit kann es keine Alternative dazu geben, die Ukraine weiter zu unterstützen. So lange wie nötig." Höre die Ukraine auf zu kämpfen, gebe es keine Ukraine mehr. "Deswegen gibt es für die Ukraine weiterhin keine Alternative, als zu kämpfen."

Kallas regiert Estland seit 2021. Seit vergangener Woche steht sie auf einer russischen Fahndungsliste, weil Estland im Sommer 2022, wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, ein sowjetisches Kriegsdenkmal – die Nachbildung eines Panzers T-34 mit rotem Stern – in Narva an der Grenze zu Russland abgerissen hat.

Ein damals noch unbekannter Offizieller stürmt aus dem Saal

Bei ihrem Auftritt in Hamburg erinnerte Kallas außerdem an eine aufschlussreiche Episode aus dem Jahr 1994. Damals war der erste estnische Staatspräsident Lennart Meri als Ehrengast beim Matthiae-Mahl geladen. Estland hatte sich erst drei Jahre zuvor aus der sowjetischen Gewaltherrschaft befreit und war unabhängig geworden. Doch schon damals warnte Meri vor dem Machthunger der Russischen Föderation und möglichen post-sowjetischen Expansionsplänen.

Den Westen warnte er deutlich vor einem "Appeasement" (Dt. Beschwichtigung, Beruhigung) gegenüber Moskau, also einer zu nachgiebigen Haltung. "Mit dieser Haltung macht man sich wohl oder übel zum Komplizen jener imperialistischen Kräfte in Russland, die glauben, sie könnten die immensen innenpolitischen Probleme ihres Landes durch Expansion und Bedrohung ihrer Nachbarn überdecken." Meris Rede sollte sich als prophetisch erweisen. Seine Warnung an die westlichen Staatenlenker blieb gleichwohl ungehört.

Bei Meris Auftritt im Großen Festsaal war auch ein Mann zugegen, den damals noch kaum jemand kannte: Wladimir Putin. Zu jener Zeit war Putin stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg. Als Reaktion auf die Rede von Präsident Meri habe er etwas getan, was es beim Matthiae-Mahl noch nie gegeben habe, sagte Kallas. "Er stand abrupt auf und ging" – mit wütenden Schritten und verächtlichem Blick für den Gastgeber.

Verwendete Quellen
  • n-tv.de: "Das Momentum liegt ganz klar bei den Russen"
  • rnd.de: "Kaja Kallas verkörpert das Bild des baltischen Widerstands par excellence"
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters.
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