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Bundestag: Können wir ein neues XXL-Parlament verkraften? | Kosten und Folgen


Fast 900 Abgeordnete?
Die dramatischen Folgen des XXL-Bundestages

  • Lars Wienand
Von Titus Blome, Lars Wienand

Aktualisiert am 18.09.2021Lesedauer: 6 Min.
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Ein- und Auspacken: Mit einem deutlich gewachsenen Parlament muss der Plenarsaal des Bundestags umgebaut werden (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Ein- und Auspacken: Mit einem deutlich gewachsenen Parlament muss der Plenarsaal des Bundestags umgebaut werden (Archivbild). (Quelle: DBT/Achim Mende)

Das Ergebnis der Wahl ist offen. Klar ist aber schon jetzt: Mit bis zu 900 Parlamentariern kommt der größte Bundestag aller Zeiten heraus. Aber was heißt das konkret? Ein Szenario.

Um deutlich zu machen, was den Abgeordneten und allen Steuerzahlern nach der Bundestagswahl bevorsteht, müssen wir uns in ein Szenario versetzen: Wir springen in den März 2022. Langsam ist der Alltag in den Bundestag zurückgekehrt – und doch ist nichts wie zuvor.

Inzwischen sind so viele Menschen geimpft, dass Corona in Deutschland wenig Sorge bereitet. Erstmals seit der Neuwahl des Bundestages im vergangenen September sollen alle Abgeordneten gleichzeitig im Plenarsaal unter der Kuppel Platz nehmen.

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Die konstituierende Sitzung nach der Bundestagswahl fand Ende Oktober 2021 noch im benachbarten Paul-Löbe-Haus statt, wo sich die Abgeordnetenbüros aneinanderreihen. Der Plenarsaal im Reichstag war da noch nicht umgebaut. Bereits die Wahl 2017 hatte die Planer vor große Herausforderungen gestellt: 709 Abgeordnete brauchten dort Platz. Das waren bereits 50 mehr als 1999, als der Bundestag von Bonn nach Berlin umgezogen war.

Doch nach der Wahl im September mussten sogar Sitzgelegenheiten für 871 Abgeordnete her. Eine unglaubliche Zahl. Deutschland hat damit das mit Abstand größte demokratische Parlament der Welt. Obwohl die USA viermal so viele Einwohner haben, sitzen im Repräsentantenhaus nur halb so viele Politiker. Nur der chinesische Volkskongress mit seinen 2.897 Mitgliedern ist noch größer als der Deutsche Bundestag, aber da kommen alle Mitglieder nur einmal im Jahr zum Abnicken zusammen.

Was aber bedeutet der Mega-Bundestag – für den Plenarsaal, für den Fahrdienst, den eigenen Kindergarten, die Fraktionssäle, den Bürobedarf und die Kosten? Es ist gar nicht so leicht, das zu prognostizieren. Denn es herrscht noch viel Ratlosigkeit. Manche Zahlen gibt es bereits, viele beruhen auf Schätzungen nach Gesprächen mit Insidern.

Die Folgen des Mega-Bundestages ...

Der Plenarsaal: Erstmals zusammengekommen war der neue Bundestag, es ist der 20., im langen schlauchförmigen Atrium des Paul-Löbe-Hauses. Danach waren bis zum März aufgrund der Abstandsregeln jeweils nur Teile der Fraktionen im Reichstag erschienen. Ein willkommener Aufschub für die Planer: Wie sollen sie 871 Abgeordnete in einen Saal verteilen, der gebaut wurde für weniger als 600? Und das alles, ohne das charakteristische Erscheinungsbild des Halbrunds mit Stühlen im hauseigenen Farbton Reichstags-Blue zu sehr zu verändern?

Für die Sitzungen des Bundestages wurden die hintersten Ränge mit schmalen Stühlen bestückt: "Hinterbänkler" hat seither noch einmal eine besondere Bedeutung. Hätte man das Standardmodell "Figura" für alle 871 Plätze verwendet, wäre es notwendig gewesen, die Mitglieder des Hohen Hauses zu stapeln. Dienstältere in der Verwaltung dachten im Herbst 2021 mit etwas Sorge an den inzwischen 86-jährigen Architekten Norman Foster. 1999 hatte es bereits Konflikte mit dem Briten um Umgestaltungen gegeben. Der Architekt hatte den Umbau verantwortet und dem Reichstag die moderne Kuppel verpasst. Er pocht auf sein Urheberrecht am Kunstwerk – eine nicht völlig abwegige Position. Im September 2021 hatte sein Büro in London auf Anfrage von t-online offengelassen, ob neuer Ärger drohen könnte. Auch aus der Bundestagsverwaltung gab es dazu keine klare Aussage.

Deshalb wächst der Bundestag
Der Bundestag besteht eigentlich nur aus 598 Abgeordneten: 299 Politiker, die ihren Wahlkreis gewonnen haben und 299, die über die Landeslisten ihrer Parteien ins Parlament einziehen. Allerdings kommt es zu Überhang- und Ausgleichsmandaten, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Dieser Effekt ist größer denn je, weil Union und SPD laut Umfragen derzeit nur bei 20 bis 25 Prozent liegen, aber fast alle Wahlkreise gewinnen. Eine besondere Rolle für den XXL-Bundestag spielt die CSU in Bayern. Das zeigt die folgende Beispielrechnung: Die Partei wird vermutlich fast alle Direktmandate dort gewinnen, nehmen wir an, 40. Gleichzeitig erhält sie laut Umfragen aber wahrscheinlich nur rund 30 Prozent der Zweitstimmen. Diese 30 Prozent entsprechen auf Bundesebene wiederum rund fünf Prozent. Weil aber jeder der 40 direkt gewählten CSU-Abgeordneten definitiv ins Parlament einzieht, die Christsozialen aber nur fünf Prozent aller Abgeordneten stellen dürfen, muss der Bundestag auf insgesamt 800 Abgeordnete anwachsen.

Die Büros: Die Platzfrage stellte sich aber noch in einem anderen Zusammenhang. 162 zusätzliche Abgeordnete bedeuten 486 neue Büros allein für die Parlamentarier. Und dann hat schließlich jeder auch noch Mitarbeiter. Im September vor der Wahl war sich niemand sicher, ob man den bisherigen Schnitt von drei Büros pro Parlamentarier würde halten können. Vielleicht würde man zusätzliche Räume mieten müssen. Einige Mitarbeiter saßen noch immer im Homeoffice. Es hatten auch noch nicht alle Wohnungen gefunden auf dem angespannten Berliner Markt.

Nicht jeder, der schlussendlich ein Büro bekommen hat, ist im Frühjahr 2022 auch zufrieden damit. Manche haben sich ihren prestigeträchtigen Job als Volksvertreter anders vorgestellt. Jetzt sitzen sie im "Luisenblock West". Immerhin haben sie Arbeitsräume, und sie sind die ersten Nutzer. Die 400 Büros sind seit Januar 2022 fertig, nachdem die Verwaltung den Bau aus 460 Holzmodulen im Oktober 2020 für 70 Millionen Euro in Auftrag gegeben hatte. Es war eine sehr schnelle Reaktion darauf, dass Union und SPD kurz vorher eine Reform des Wahlrechts blockiert hatten. Nur durch eine deutliche Reduzierung der Wahlkreise wäre es überhaupt möglich gewesen, den XXL-Bundestag zu verhindern. Doch wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Bewahrheitet hat sich auch, was der "Spiegel" im September 2021 schrieb: Die Fraktionssäle für Grüne und SPD, die jeweils um die 90 Mandate hinzugewannen, platzen aus allen Nähten. Hier wird im Laufe der Legislaturperiode noch einiges geschehen müssen. Die CDU hingegen, die zwar ein Drittel ihrer Stimmen, jedoch nur ein Fünftel ihrer Abgeordneten verloren hat, kann sich über etwas mehr Beinfreiheit freuen.

Die Mitarbeiter: Das Wachstum an Abgeordneten setzt sich mehrfach bei der Mitarbeiterzahl fort: Kamen 2010 auf 620 Abgeordnete noch 4.209 Mitarbeiter, waren es 2019 bereits 5.336 Mitarbeiter für 709 Parlamentarier. Nun, im Frühjahr 2022, sind es rund 6.500. Jeder Abgeordnete verfügt über eine monatliche Mitarbeiterpauschale von 22.795 Euro für die Arbeit in Berlin und im Wahlkreis. Doch im März 2022 sind längst noch nicht alle Stellen besetzt. Für viele Abgeordnete ist das ein großes Problem: Die einen finden nur mit Mühe Mitarbeiter, bei anderen werden sie von Kollegen abgeworben. Höhere Nachfrage steigert den Marktwert. Das ist im Bundestag nicht anders als im ganz normalen Leben.

Der Fuhrpark: Immerhin eine gute Nachricht gibt es dann doch. Die 396 Parkplätze für die Parlamentarier in der Tiefgarage des Bundestages reichen meistens noch. Viele Politiker nutzen das Fahrrad, den Nahverkehr und natürlich den Fahrservice des Bundestages. Der musste allerdings nach der Wahl ausgebaut werden: 2017 war die Flotte bereits von 100 auf 120 aufgestockt worden. Und bereits in der vergangenen Wahlperiode erklärte die beauftragte Firma: "In Sitzungswochen reichen die zur Verfügung stehenden Fahrzeuge mitunter nicht aus." Taxis werden aus Sicherheitsgründen zunehmend kritisch gesehen. Deshalb war rasch klar, dass deutlich mehr Fahrzeuge angeschafft werden müssen. 20 zusätzliche, das war absehbar, würden kaum reichen.

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Was der Mega-Bundestag kostet

Mehr Parlamentarier, mehr Mitarbeiter, mehr Büros, mehr Autos – all das kostet natürlich Geld. Und zwar viel. Jeder weitere Abgeordnete und jede Mitarbeiterin bedeuten an direkten Kosten für Personal, Diät und Aufwandspauschalen auch zusätzlich rund 1,9 Millionen Euro im Jahr. Da ist noch nicht enthalten, was die Vorhaltung von Dienstleistungen des Bundestages kostet. Durch die vielen Mitglieder im Parlament zeichnet sich schon ab, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages auch mehr Fragen zu beantworten haben wird.

Der Haushalt des Bundestages hatte sich bereits in den vergangenen Jahren deutlich erhöht – mit einem erkennbaren Sprung um 100 Millionen Euro nach der Wahl 2017. Und 2022 – 250 Millionen Euro? 300 Millionen?

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Zu den finanziellen Kosten kommen die politischen. 871 Abgeordnete machen das Regieren nicht leichter, sondern komplizierter. Es gibt noch mehr Politiker, die irgendwelche Partikularinteressen haben und auf Linie gebracht werden müssen. In den Ausschüssen sitzen noch mehr Menschen, die gehört werden wollen. Und so weiter.

Und wie geht es jetzt weiter?

Auch wenn sich im Frühjahr 2022 alle irgendwie an den übervollen Bundestag gewöhnt haben. Es wächst auch die Einsicht, dass es eine Wahlrechtsreform braucht. Und zwar eine echte. Und eine schnelle. Schon bald soll es einen neuen Vorschlag geben. Und dieses Mal hoffentlich auch eine Lösung.

Denn spätestens am 14. Februar 2022 hat dann doch auch der letzte Optimist gemerkt, dass es so nicht weitergeht. An diesem Tag stellte sich Frank-Walter Steinmeier wieder der Wahl zum BUndespräsidenten. Dieses Gremium, das nur zur Wahl des Staatsoberhauptes zusammenkommt, besteht zur einen Hälfte aus den Mitgliedern des Bundestages und zur anderen Hälfte aus Vertretern der Länder. Tja, und zweimal 871 ergibt eben 1.742.

Bereits bei der Wahl von Frank-Walter Steinmeier 2017 saßen die Mitglieder dicht gedrängt wie in einer Schulaula. Der Raum war mit schlichten, schwarzen Stühlen bestückt. Wirklich feierlich war es schon damals nicht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • bundeshaushalt.de, Einzelplan 02
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