Röttgen als CDU-Parteichef? Muttis Klügster ist zurück
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Friedrich Merz oder Norbert Röttgen? Vieles deutet auf ein Duell um den CDU-Vorsitz hin. Und die Chancen des Außenpolitikers, den sie intern einst als "Muttis Klügsten" verspotteten, sind besser als gedacht.
In diesen Tagen hat Friedrich Merz das Schweigen entdeckt. Der Mann, der sonst gern und lautstark seine Meinung verkündet, ist seltsam still. Keine größeren Fernsehinterviews, keine Zitate für die Tageszeitungen, keine öffentlichen Auftritte. Im Gegenteil: Am Montag sah sich Merz sogar zu einer Art Korrektur genötigt. Er schrieb auf Twitter: "Bericht in der Bild-Zeitung Seite 2 heute: Nicht mein Absender, nicht meine Handschrift." Gemeint war eine kleine Meldung des Boulevardblattes mit der Überschrift: "Merz will Spahn in sein Team holen."
Bemerkenswert daran: Merz widersprach der Meldung gar nicht. Er wollte nur erklären, dass er den Bericht nicht lanciert habe. Aus der Union heißt es dazu lapidar: "Ist doch klar: Derjenige, der zuerst den Kopf aus dem Sand hebt, ist politisch tot." Dabei führt Merz tatsächlich schon viele Gespräche mit einflussreichen Parteifunktionären, wie aus CDU-Kreisen zu hören ist. Nur öffentlich will er darüber eben nicht sprechen.
Die Christdemokraten suchen nach der krachenden Wahlschlappe den richtigen Weg für einen Neuanfang. Am Wochenende entschieden die Kreisvorsitzenden mit breiter Mehrheit: Bei der Wahl des nächsten Parteichefs sollen die Mitglieder befragt werden. Es war das klare Votum für eine Stärkung der Basis, die jetzt die Macht hat.
Ein Duell um die Frage: Braucht es ein Team?
Am heutigen Dienstag tagten die Parteigremien. Sie entschieden: Am 21. Januar soll der Nachfolger von Armin Laschet gewählt werden, und vorher soll eine Mitgliederbefragung stattfinden.
Doch in der CDU gilt mittlerweile als sicher: Außer Friedrich Merz dürfte sich der Außenpolitiker Norbert Röttgen um den Parteivorsitz bewerben. Röttgen galt lange als Außenseiter – aber weil er in den vergangenen Jahren kein Regierungsamt innehatte (er flog 2012 aus dem Kabinett), verkörpert er jetzt für viele eine Erneuerung.
Doch beim Duell zwischen Merz und Röttgen geht es nicht nur um die Frage, ob die CDU wieder nach rechts rückt (mit Merz) oder eher in der liberalen Mitte bleibt (mit Röttgen). Es geht auch darum, ob es ein Team an der Spitze (mit Merz) braucht, oder der Parteibasis eine Führungsfigur (mit Röttgen) genügt.
Friedrich Merz ist bereits zwei Mal mit seinem Vorhaben, Parteichef zu werden, gescheitert: Zunächst im Dezember 2018, als er knapp gegen Annegret Kramp-Karrenbauer unterlag. Und dann im Januar 2021, als er nicht ganz so haarscharf gegen Armin Laschet verlor. Von Merz-Vertrauten ist zu hören, dass er sich auch deshalb so viel mit führenden Köpfen in der Partei austauscht, weil er es dieses Mal anders machen will. Merz, so die Botschaft, will nicht mit einem Egotrip nach vorn kommen. Sondern von einer breiten Front getragen werden.
Ein jüngerer, zurückhaltender Politiker als Ergänzung zu Merz?
Merz weiß natürlich, dass er als Mann des letzten Jahrhunderts gilt: schneidig – und krachend konservativ. Viele in der Partei haben nicht vergessen, wie er vor einem guten Jahr vor einer Fernsehkamera explodierte. Er donnerte damals, das "Establishment" der Partei wolle ihn verhindern. Ein Wort, das man sonst von Donald Trump kannte.
Dieses Mal will Merz das "Establishment" aber einbinden. Und besonders wichtig dabei ist für ihn Carsten Linnemann: Der 42-Jährige ist Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Union. Es ist eine der mächtigsten Gruppen in der CDU. Linnemann, ein ruhiger, besonnener Mensch, gilt als ehrgeizig. Doch selbst wohlmeinende Parteifreunde sagen, man müsse ihn "zum Jagen tragen". Ein eher jüngerer, zurückhaltender, mächtiger CDU-Politiker – er könnte die perfekte Ergänzung des bisweilen etwas hitzköpfig auftretenden Friedrich Merz sein. So ist zumindest der Plan.
Zudem kennt Merz den Wunsch der Basis nach mehr Frauen an der Spitze. Als Kandidatinnen für das Merz-Team gelten dabei besonders die amtierende Partei-Vizechefin Sylvia Breher oder die frisch gewählte Vizepräsidentin des Bundestags, Yvonne Magwas. Beide vertreten eher einen Mitte-Kurs und stünden für eine Verjüngung der Partei. Dieses Image ist nicht ganz unwichtig für Merz: Bei der nächsten Bundestagswahl ist er fast 70 Jahre alt.
Sein Widersacher in diesem Kampf ist eine ganze Ecke jünger, nämlich 56 Jahre alt: der Außenpolitiker Norbert Röttgen. Und der macht aus seinen Ambitionen keinen Hehl. Am Montag sagte er im Deutschlandfunk: "Ich bin der Auffassung, dass wir konservatives Gedankengut, konservative Politik und Politiker in der CDU brauchen. Nur für mich ist eindeutig klar, dass das Zentrum der Partei, auch der Vorsitzende, in der Mitte stehen müssen." Und damit jeder verstand, wer gemeint ist, setzte er nach: "Ich glaube, dass ich in der Mitte der Christlich-Demokratischen Union stehe, in der modernen Mitte." Es war eine informelle Kampfansage.
Der beste Mann von Norbert Röttgen heißt: Norbert Röttgen.
Röttgen positioniert sich als Verfechter einer echten Erneuerung der Partei. Gern erklärt er, die Partei müsse jünger werden. Doch Röttgen hat ein Problem: Wo Merz sich bereits die Unterstützung verschiedener Flügel sichert, kann Röttgen nicht auf ein Team bauen. Das liegt zum einen daran, dass er in der Partei als arrogant gilt. Ein Team wäre mit Röttgen "unmöglich" zu realisieren, sagt jemand aus der Fraktionsspitze, er sei nun einmal ein Einzelkämpfer.
Ellen Demuth blieb eine Ausnahme: Die Landespolitikerin aus Rheinland-Pfalz unterstützte Röttgen, als der beim Rennen um den CDU-Vorsitz im Januar 2021 antrat. Wirklich prominente Verfechter von Norbert Röttgen finden sich in der CDU allerdings nicht.
Das kann ein Nachteil sein, doch das muss es nicht. Röttgen setzt ganz auf seine eigene Fähigkeit zur Mobilisierung. Und er kann, das hat er bereits beim Kampf um den Vorsitz gegen Laschet und Merz bewiesen, selbst eine Kampagne initiieren: Damals postete er permanent auf den digitalen Kanälen sogenannte "Kacheln", also Zitate und Sprüche von sich selbst. Der beste Mann von Norbert Röttgen heißt eben Norbert Röttgen. Nebenbei beackerte er die einzelnen Kreisverbände mit digitalen Sitzungen – und postete direkt dazu wieder ein Foto in den sozialen Netzwerken. Es war eine "Ochsentour", wie man das in der Politik nennt. Und im Januar stimmten immerhin 224 von 1.001 Delegierten beim Parteitag für ihn. Es war mindestens ein Achtungserfolg.
Kann eine solche Mobilisierung erneut einsetzen? Sie müsste deutlich größer ausfallen, wobei sich schon damals etliche einfache Mitglieder für Röttgen ausgesprochen hatten – und bei ihnen liegt eben neuerdings die Macht.
Die Chancen von Röttgen im Duell gegen Merz mit seinem sich anbahnenden Team sind nicht so gering, wie man glauben könnte. Im "Deutschlandtrend" zeigt sich: In der Bevölkerung können sich 19 Prozent Röttgen als CDU-Parteivorsitzenden vorstellen, Merz liegt mit 23 Prozent nur knapp davor.
Entscheidend wird vor allem sein, wie beide nun abseits von ihrem Lager punkten können. Wie viele liberal gesinnte Mitglieder gewinnt Merz für sich? Wie anschlussfähig ist Röttgen für sehr konservative CDUler? In der Partei heißt es: Das Rennen wird derjenige gewinnen, der glaubwürdig auch das gegenüberliegende Lager vertreten kann. Und sich dabei trotzdem nicht verbiegt.
- Eigene Recherche