Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Merz könnte von höchster juristischer Stelle gestoppt werden

Um Milliarden für Infrastruktur und Verteidigung zu beschließen, soll der alte Bundestag noch zweimal zusammenkommen. Jetzt muss Karlsruhe entscheiden, ob das erlaubt ist.
Die Pläne von Union und SPD, mit zusätzlichen Schulden ein milliardenschweres Verteidigungs- und Infrastrukturpaket zu finanzieren, hängen in der Schwebe. Ob sich im Bundestag eine Mehrheit findet, ist offen. Aber auch juristisch könnte das Vorhaben von höchster Stelle noch gestoppt werden.
Beim Bundesverfassungsgericht sind mit Stand von Dienstagmittag sieben Anträge eingegangen, unter anderem von AfD und Linken. Sie richten sich unter anderem gegen die an diesem Donnerstag geplante erste von zwei Sondersitzungen des Parlaments. Eine Entscheidung wird noch vorher erwartet.
Worum geht es?
Bei ihren Sondierungen für eine mögliche künftige Koalition hatten Union und SPD ein schuldenfinanziertes Sondervermögen für Infrastruktur im Umfang von 500 Milliarden Euro sowie eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben vereinbart. Die Pläne erfordern Grundgesetzänderungen, für die in Bundestag und Bundesrat Zwei-Drittel-Mehrheiten benötigt werden.
Im neuen Bundestag – der spätestens am 25. März erstmals zusammentreten muss – käme eine solche Mehrheit nur mit den zusätzlichen Stimmen der Linken oder der AfD zustande. CDU, CSU und SPD wollen das Finanzpaket daher noch im alten Bundestag beschließen, hier muss die kommende Koalition als weitere Partei nur die Grünen überzeugen. Auf das Verlangen ihrer Fraktionen hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zu Sondersitzungen des alten Parlaments für diesen Donnerstag und kommenden Dienstag eingeladen.
Wer klagt dagegen?
Beim Bundesverfassungsgericht sind insgesamt sieben Klagen und Beschwerden gegen diese geplanten Sondersitzungen anhängig, wie ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts t-online am Dienstagmittag sagte. Zwei Organklagen stammen aus Reihen der AfD, eine von der Linken, eine von der fraktionslosen Abgeordneten Joana Cotar (ehemals AfD). Hinzu kommen laut Sprecher drei Verfassungsbeschwerden von Bürgern. Wer diese eingereiht hat, beantwortete das Gericht zunächst nicht.
Die AfD klagt im Namen der gesamten Fraktion, schon Ende der vergangenen Woche hatten außerdem mehrere alte und zukünftige Abgeordnete um den AfD-Politiker und Juristen Christian Wirth Organklage eingereicht. Wie Linke und die fraktionslose Abgeordnete Cotar wollen sie mit Eilanträgen den Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen. Das würde die Sondersitzung und somit die Abstimmung verhindern.
Wie argumentiert die AfD?
In ihrem 85 Seiten langen Antrag an das Gericht argumentieren die Anwälte der AfD-Fraktion, dass die Einberufung des alten Bundestags schon formal nichtig sei. Nach Artikel 39 Grundgesetz können Bundestagspräsidenten das Parlament zu Sondersitzungen einberufen, wenn ein Drittel der Abgeordneten dies verlangt. Die Bundestagspräsidentin hatte das auf Verlangen der Fraktionen von Union und SPD getan, die zusammen mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellen.
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Die AfD argumentiert, dass Fraktionen an sich aber gar nicht befugt seien, ein Verlangen auf Einberufung des Bundestags nach Artikel 39 Grundgesetz zu stellen. Es müssten stattdessen konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen von mindestens einem Drittel aller Abgeordneten vorliegen.
Zudem hat der alte Bundestag nach Ansicht der AfD nicht mehr die demokratische Legitimation, um über so wichtige Dinge wie Verfassungsänderungen zu entscheiden, wenn ein neues Parlament mit anderen Mehrheiten längst gewählt ist. Jetzt noch den alten Bundestag einzuberufen, verletze die Rechte der neuen Abgeordneten.
Am Mittwoch stellte Stephan Brandner, Zweiter Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Bundestag, eine zweite Klage in Aussicht, die sich gegen das stark beschleunigte Verfahren richten solle. Die Zeit für die Abgeordneten sei zu kurz bemessen, um die weitreichenden Folgen der Anträge zu beraten.
Wie argumentiert die Linke?
Eine Verletzung der Rechte neuer Abgeordneter sieht auch die Linke. Juristisch argumentiert sie vereinfacht gesagt so: Sobald der Bundeswahlausschuss am Freitag das Ergebnis der Bundestagswahl offiziell feststellt, müsse sofort der neue Bundestag einberufen werden, wenn wirklich auf die Schnelle etwas zu entscheiden sei. Sondersitzungen des alten Parlaments seien dann nicht mehr zulässig.
Am Mittwoch kündigten die Linken-Spitzen im Bundestag außerdem eine zweite Klage an. Es gebe Hinweise und Belege dafür, dass der Gesetzentwurf nicht aus der Mitte des Bundestages entstanden sei, sondern dass die amtierende Bundesregierung und auch die bayerische Staatsregierung daran mitgeschrieben hätten, sagte Co-Parteichefin Ines Schwerdtner in Berlin. Das sei unzulässig.
Die zweite Klage adressiere außerdem den hohen Zeitdruck. Es blieben nur zwei Werktage, um die umfangreichen Entwürfe zu prüfen, sagte Schwerdtner. "Das ist angesichts des großen Volumens des Finanzpakets nun überhaupt nicht mehr angemessen." Mit dem "überfallartigen" Vorgehen würden Rechte der Abgeordneten verletzt.
Die Linke ist im alten Bundestag mit nur 28 Mandaten vertreten, im neuen hingegen mit 64. Künftig werden so auch ihre Stimmen – oder jene der AfD – für Verfassungsänderungen gebraucht. Ihr politisches Ziel ist, mitzuentscheiden und die Schuldenbremse ganz zu kippen oder zumindest umfassend zu reformieren. So soll dann auch mehr Geld in Infrastruktur fließen – das nach dem Wunsch der Linken Wohnungsbau, Gesundheitseinrichtungen und Schulen zugutekommen soll. Nur Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen, lehnt die Linke ab.
Was ist ein Organstreitverfahren?
Wenn es zwischen obersten Bundesorganen zum Streit über ihre Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz kommt, können Betroffene beim Bundesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren beantragen. Auch einzelnen Bundestagsabgeordneten, Parteien oder Fraktionen steht diese Möglichkeit offen. Die Antragssteller müssen sich darauf berufen, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten durch ein anderes Bundesorgan verletzt oder gefährdet werden.
Was ist ein Eilantrag?
Bis das Bundesverfassungsgericht über eine Klage entscheidet, können oft Monate oder sogar Jahre vergehen. Wenn es schnell gehen muss, kann das Gericht auf Antrag aber auch einstweilige Anordnungen erlassen. Solche vorläufigen Regelungen sollen verhindern, dass schon Fakten geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen wären, wenn die Karlsruher Richterinnen und Richter später im Hauptverfahren anders entscheiden sollten. Mit einer solchen Anordnung hatte das Gericht 2023 etwa die Verabschiedung des umstrittenen Heizungsgesetzes im Bundestag gestoppt. Im Hauptverfahren steht eine Entscheidung darüber bis heute aus.
- Nachrichtenagentur dpa