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Vorstoß von Dreyer: Was soll bloß mit den Millionen illegalen Waffen passieren?


Deutschlands Problem mit Millionen illegaler Waffen

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand und Lars Winkelsdorf

Aktualisiert am 30.11.2021Lesedauer: 6 Min.
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Beschlagnahmte Schusswaffen: Das Problem von Millionen illegalen Schusswaffen ist bis heute nicht gelöst (Archivfoto).Vergrößern des Bildes
Beschlagnahmte Schusswaffen: Das Problem von Millionen illegalen Schusswaffen ist bis heute nicht gelöst (Archivfoto). (Quelle: Fernando Baptista/imago-images-bilder)

Zwei Weltkriege, freier Verkauf bis in die Siebzigerjahre: Nach Schätzungen gibt es in Deutschland noch immer Millionen illegale Waffen. Um das Problem zu lösen, diskutieren die Innenminister nun eine Amnestie.

Im Innenministerium von Rheinland-Pfalz erzählt man sich gern die Anekdote über einen ungewöhnlichen Außentermin von Minister Roger Lewentz (SPD). Bekannte hatten ihn gebeten, doch mal in der Heimat vorbeizuschauen. Der Grund: Im von der Großmutter geerbten Haus waren sie auf einen gesicherten Schrank mit Waffen des lange verstorbenen Opas gestoßen.

"Das ist einer der durchaus üblichen Fälle, wie Menschen an Waffen gelangen", sagt Lewentz. Im konkreten Fall blieb ihm nur der Hinweis, sofort die Kreisverwaltung als zuständige Waffenbehörde zu informieren.

Doch es handelt sich eben nicht um einen Einzelfall. In Deutschland dürften Millionen solcher Altlasten noch in Schränken und Schubladen liegen. Bis 1972 gab es Gewehre erlaubnisfrei aus dem Versandhauskatalog, und Schusswaffen aus zwei Weltkriegen funktionieren auch heute noch.

Deshalb hat Lewentz für das Thema illegale Waffen weitgehendere Pläne, als nur mal selbst nach dem Rechten zu sehen. Wenn ab Mittwoch die Innenminister virtuell zu ihrer Herbstkonferenz zusammenkommen, will er eine neue, bundesweite Waffenamnestie vorschlagen. Das heißt: die straffreie Rückgabe von Waffen, deren Besitz eigentlich Strafe nach sich zieht.

Millionen Altlasten in Schränken

Lewentz' Vorstoß hängt auch mit einer Tat in einer Tankstelle in Idar-Oberstein zusammen, die Ende September die Republik fassungslos machte. Der studentische Kassierer Alexander W. (20) wies einen Kunden auf die Maskenpflicht hin – und wurde wenig später erschossen.

Kunde Mario N. war nach Hause gegangen und mit einem anderen T-Shirt und einer Smith & Wesson (Modell 686, Kaliber 357 Magnum) zurückgekommen. Er habe "ein Zeichen" setzen müssen, sagte er später bei der Vernehmung.

Ein Schuss in den Kopf aus dieser großkalibrigen Waffe richtet verheerende Verletzungen an, Alexander W. hatte keine Überlebenschancen. Bei Mario N. zu Hause fand die Polizei noch eine kleinkalibrige Ceska und 20 Schuss Munition, allesamt illegal. Noch unter dem Eindruck der schrecklichen Tat stehend kündigte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer den Vorstoß von Lewentz an: "Er wird das Thema illegale Waffen auf der nächsten Innenministerkonferenz anmelden."

Lewentz sagt jetzt t-online: "Wenn es bundesweit nur einige Zehntausend Waffen mit Munition sind, die wieder aus dem Verkehr gezogen werden, dann lohnt es sich, sich dafür einzusetzen." Solche Waffen könnten dann nicht mehr zur nächsten Station gelangen, die sie vielleicht kriminell nutze.

Aber steht der Fall in Idar-Oberstein dafür überhaupt beispielhaft? Die Waffe des Schützen lag bei ihm zu Hause, aber seit wann und woher er sie und die weitere Waffe hatte, ist noch unklar. Klar ist laut Gerd Deutschler, dem Leitenden Oberstaatsanwalt der ermittelnden Behörde in Bad Kreuznach: Sie sind illegal, es gibt bisher allerdings keine Hinweise darauf, dass sie schon zu anderen Straftaten eingesetzt worden sind.

Schütze mit Waffe vom Vater?

Mario N. hatte sie den bisherigen Ermittlungen zufolge offenbar auch nicht extra für die Tat besorgt. "Ob seine Angaben zutreffen können, ist noch Gegenstand der Ermittlungen", so Deutschler. Mit einer Anklage ist noch in diesem Jahr zu rechnen, bis dahin ist die Staatsanwaltschaft zurückhaltend. Aber: "Es kann nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Waffen dem Beschuldigten in der Vergangenheit von seinem Vater (zu dessen Lebzeiten) überlassen wurden." Es wären dann Waffen, die bei einer Amnestie hätten zurückgegeben werden können.

Und Mario N. hat selbst den Schrecken erlebt, den Waffen anrichten können: Sein Vater wollte sich und Mario N.s Mutter im März 2020 erschießen, die Frau überlebte schwer verletzt. Damals, so Deutschler, sei von der Kripo im Umfeld des Vaters nach Waffen gesucht und es seien auch welche sichergestellt worden. Auch sie besaß der Vater nicht legal.

Es gibt in ganz Deutschland rund fünf Millionen erlaubnispflichtige Waffen. In Rheinland-Pfalz mit seinen 4,1 Millionen Einwohnern sind es allein rund 360.000. Der größte Teil geht auf den Jagd- und Schießsport zurück. "Diese Waffen haben wir im Blick", sagt Lewentz. Legal registrierte, erlaubnispflichtige Waffen spielen eine geringe Rolle, wenn schwere Straftaten begangen werden. Das sagt zumindest die Statistik. Und die bestätigt auch der Minister.

Diese Waffen sind bei den Behörden und im Nationalen Waffenregister erfasst, ihre Besitzer wurden überprüft und mussten erforderliche Sachkunde für den sicheren Umgang mit ihnen und ihre Verwahrung nachweisen. Seit der jüngsten Reform müssen Waffenbehörden bei jeder Zuverlässigkeitsüberprüfung die zuständige Verfassungsschutzbehörde beteiligen, und der Verfassungsschutz muss nachträgliche Erkenntnisse mitteilen.

Expertenschätzung ist Jahre alt

Das Problem: Für viele Millionen illegale Waffen greift diese Regelung nicht, es gibt nicht einmal aktuelle Schätzungen zu ihrer Anzahl. Staatliche Stellen verweisen auch im Jahr 2021 noch auf einen Beitrag der Fachzeitschrift "Kriminalistik" aus dem Jahr 2006: Von 20 Millionen illegalen Waffen ist die Rede, und selbst diese Zahl stützt sich auf zwei frühere Schätzungen.

Niemand kann annähernd sagen, wie viele Waffen aus den beiden Weltkriegen und ihren Nachwirren noch gehortet werden. Sie spielen auch heute durchaus noch eine Rolle: Beim NSU-Polizistenmord in Heilbronn wurde eine Wehrmachtspistole Radom VIS 35 genutzt. Der falsche Flüchtling und Soldat Franco A. wurde am Flughafen Wien erwischt, als er eine Pistole Unique 1917 aus einem Versteck holen wollte. Er besaß illegal auch eine Pistole FN 1910/22. Die Modellbezeichnungen stehen für die Entwicklungsjahre der Modelle.

Aber auch Handel und Versandhandel durften lange Zeit fast ungehindert Langwaffen verkaufen. Die Polizeigewerkschaft GdP hatte dort Zahlen zu Verkäufen erfragt und war auf 20 Millionen gekommen, die bis zur Änderung der Rechtslage 1972 verkauft wurden.

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Jürgen Triebel, Präsident des Büchsenmacherverbandes VDB, hält selbst diese Zahl noch für zu niedrig. Triebel sagt t-online: "20 Millionen verkaufte Waffen in einem Zeitraum von 20 Jahren sind unrealistisch wenig, und das bezieht sich nur auf den Fachhandel. Was in dieser Zeit privat gehandelt wurde, auf Flohmärkten, in Tabakläden und Ähnlichem, kann niemand mehr nachvollziehen."

In keine dieser Kategorien fällt offenbar die tödliche Waffe von der Tankstelle. Smith & Wesson produziert den unter Sportschützen beliebten Trommelrevolver, mit dem Mario N. schoss, erst seit 1986. Die Staatsanwaltschaft geht nach ihren Erkenntnissen davon aus, dass die Waffe nie legal im Besitz der Familie war.

Drei Millionen Waffen wurden legal

Viele heute illegale Waffen waren dagegen einst legal im Besitz der gleichen Familie. Mit einer Waffenrechtsreform 1972 wurde nicht nur der Verkauf eingeschränkt, viele bis dahin erworbene Schusseisen wurden auch zum Problem, wenn die Besitzer sie nicht anmeldeten.

Registriert wurden in der Folge aber nur drei Millionen Schusswaffen, die daraufhin behalten werden durften. Der Verbleib all der anderen ist unklar. Es gibt auch keine Zahlen, wie viele Pistolen, Revolver und Gewehre aus dem Altbestand in den Jahren danach insgesamt zurückgegeben wurden.

Bekannt sind immerhin die Erfolge der jüngsten Waffenamnestien. 2009 wurden bundesweit rund 200.000 Waffen zurückgegeben – darunter aber auch legale, beim jüngsten Vorstoß gut 70.000. Und jetzt schon wieder? Lewentz rechnet mit dem Einwand, sagt aber auch: "Eine erneute Waffenamnestie ergibt absolut Sinn, weil es fortlaufend Wohnungs- und Haushaltsauflösungen gibt, bei denen immer wieder unregistrierte Waffen auftauchen."

Büchsenmacher: Viele illegale Angebote

Eine Schilderung von VDB-Präsident Triebel bestätigt das: "Im Prinzip kommen wöchentlich Menschen in die Waffengeschäfte und wollen illegale Waffen loswerden, die sie beim Entrümpeln nach Todesfällen finden." Diese Menschen könnten dann nur an die Behörden verwiesen werden. "Wir dürfen solche Waffen ohne Besitznachweise gar nicht übernehmen."

Die Gesetzeslage sei den meisten Menschen bekannt, glaubt Lewentz. "Manchmal erben Personen eine historische Waffe und haben das Gefühl: das ist ein Sammlerstück statt einer Kriegswaffe. Aber auch ein Karabiner K98 der Wehrmacht ist kein Sammlerstück, sondern eine scharfe Waffe, deren Besitz ohne Erlaubnis illegal ist."

Und eine Halteramnestie wie nach 1972 mit der Möglichkeit, Waffen zu melden und dann zu behalten, ist für Lewentz heute nicht mehr vorstellbar. "Was heute illegal ist, ist illegal." Das sei auch die Botschaft einer Amnestie: "Wenn der Zeitraum abgelaufen ist und eine illegal besessene Waffe nicht abgegeben wird, läuft man Gefahr, empfindlich bestraft zu werden."

Doch viele Menschen sterben auch ohne Erben. Oder die Nachkommen lassen Firmen die Haushaltsauflösung durchführen. Auch ein Weg, wie alte Waffen auf einen illegalen Markt gelangen können, weil Mitarbeiter bei Entrümpelungen Funde nicht abgeben? Es gibt Berichte, wonach manche kriminelle Rockerklubs Zuständige für Haushaltsauflösungen haben.

Lewentz wiegelt ab: "Wir haben keine Erkenntnisse, dass Funde bei Haushaltsauflösungen für die organisierte Kriminalität relevant sind oder für den Waffenhandel eine nennenswerte Rolle spielen." Waffen seien bei kriminellen Rockerklubs ein Thema. "Aber die müssen dann nicht 30 Haushaltsauflösungen organisieren, um an Weltkriegs- oder Jagdwaffen zu kommen, die haben andere Möglichkeiten."

Und um andere Möglichkeiten wird es bei der Innenministerkonferenz auch gehen. Der eigentliche Schwerpunkt ist Cybercrime. "Was uns Sorge macht: Im Darknet sind die Angebote sortiert wie in einem Warenhausregal", sagt Lewentz. Die Polizei stelle sich immer stärker für die Bekämpfung von Cybercrime auf.

Da hilft es durchaus, wenn sie weniger Probleme mit den Waffen von Opas Speicher hat.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Roger Lewentz
  • Gespräch mit Jürgen Triebel, Präsident des Büchsenmacherverbandes
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