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Ad Blue wird knapp: Die Lieferbranche ist am Abgrund


Diesel-Zusatz AdBlue wird knapp
Am Abgrund


Aktualisiert am 26.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ein Fahrer tank AdBlue: Der Mangel des Dieselzusatzes macht der Logistikbranche zu schaffen. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Der Dieselstoff AdBlue ist weiterhin knapp, das bedroht Lieferketten der Logistikbranche. Können bald die Supermarktregale nicht mehr gefüllt werden?

Es beginnt, womit es oft beginnt, wenn eine Krise droht: Erstmal wird es teuer. Sehr teuer. Etwa viermal so viel wie im Januar 2021 kostet mittlerweile ein Liter des Dieselzusatzstoffes AdBlue. Bei 1,75 Euro steht der Preis beispielsweise bei Tankstellen in Brandenburg.

AdBlue ist zwingend notwendig, damit Diesel-Autos, Lkw oder Busse überhaupt fahren können. Denn nur mit dem Zusatz können die ausgeschiedenen Schadstoffe reduziert werden, Stickoxide werden dadurch eingespart. In den Fahrzeugen gibt es für AdBlue deswegen einen eigenen Tank. Wird er nicht regelmäßig befüllt, lassen sich die Fahrzeuge nicht mehr starten oder nur im Notlauf betreiben. Doch nun wird der Zusatz, der die wichtige Reaktion verursacht, knapp.

Ein Sprecher des Chemieunternehmens SKW Piesteritz warnte bereits vor einigen Wochen: "Wir laufen trocken. Da wir nichts mehr produzieren, leeren sich unsere Lager." Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, Dirk Engelhardt, schlug in der "Bild"-Zeitung Alarm: "Kein AdBlue bedeutet keine Brummis. Und das bedeutet keine Versorgung für Deutschland." Das saß. Dramatischer geht es kaum.

Mittlerweile ist die Situation nicht ganz so angespannt, wie es noch vor wenigen Wochen aussah. Beim Chemieunternehmen SKW Priesterwitz läuft die Produktion wieder an. Doch schon bald könnte die Dramatik wieder zunehmen. Der Diesel-Zusatzstoff ist seit dem Ende des vergangenen Jahres von Knappheit bedroht. Damals stiegen die Gaspreise, ein wichtiger Produzent kündigte an, die Herstellung zu beenden.

Die Folgen wären enorm weitreichend

Es ist ein volatiler Markt. Spricht man mit Logistikexperten, ergibt sich ein düsteres Gesamtbild: das einer Branche, die permanent fürchtet, dass künftig der Dieselzusatz wieder knapp wird. Mit dramatischen Folgen. Nachdem es bereits in den vergangenen Monaten große Krisen bei den Halbleitern und damit auch der Chipindustrie gab, droht nun der Engpass im Transportgeschäft der Bundesrepublik. Ob die Krise bald gelöst wird, ist noch völlig offen.

AdBlue ist ein Mittel, das nicht nur Lkw benötigen, sondern auch viele neuere Autos mit Dieselantrieb. Zum Großteil solche mit der Euro-6-Norm, teilweise auch mit der Euro-5-Norm. In ganz Deutschland wären das allein bei den Pkw deutlich über zehn Prozent der Fahrzeuge.

Problematisch wird es auch in den ländlichen Gegenden. Dort, wo kein Schienenverkehr eingesetzt wird, könnten schnell Busse nicht mehr fahren. Viele Menschen könnten dann auch keinen privaten Wagen mehr nutzen und säßen in ihren Orten fest.

Doch die Folgen wären noch weitreichender. Das Mittel wird auch für große Traktoren und Sattelschlepper benötigt, die wiederum bei Landwirten dafür sorgen, dass Kühe und andere Tiere versorgt werden.

"Von der Hand in den Mund"

Wer die aktuelle Knappheit verstehen will, muss einen Blick in die Produktion des Stoffes werfen. AdBlue wird im sogenannten "Haber-Bosch-Verfahren" gewonnen. Hierfür wird Wasserstoff benötigt – dafür braucht es wiederum Erdgas. Die Gasmangellage bedroht auf direktem Weg also die Herstellung des Stoffes. AdBlue besteht etwa zu einem Drittel aus Harnstoff, der wiederum direkt im Verbund mit der Ammoniaksynthese produziert wird.

Das chemische Verfahren kann kaum variiert werden. Und der Bedarf ist enorm. Nach Angaben des SKW-Sprechers braucht die Logistik in Deutschland pro Tag 2,5 Millionen Liter AdBlue, die privaten Autos wiederum etwa fünf Millionen Liter pro Tag. Die Zahlen werden umso dramatischer, wenn man sie im Verhältnis zu den möglichen Vorräten sieht. Eine Million Liter AdBlue liegen beispielsweise lediglich in der Notfallreserve in Piesteritz für mittelständische Speditionen. Es ist ein Geschäft, das Insider als Prozess bezeichnen, der "von der Hand in den Mund" lebt.

In Ludwigshafen, bei BASF, wird weiterhin produziert. Noch könne man die Versorgung aufrechterhalten und die Verträge erfüllen, heißt es dort. Bei SKW, dem Werk, das zwischenzeitlich die Produktion eingestellt hatte, läuft der Betrieb wieder. Vorerst.

Die Frage ist, wie stark sich die Mangellage im Gas in den kommenden Wochen auswirken könnte. Zwar sind die Gasspeicher ordentlich gefüllt, doch noch ist unsicher, wer wann damit versorgt wird. Sobald die Werke kein Gas mehr bekommen, könnte die Produktion schnell wieder zurückgefahren werden.

Für private Anbieter rät der ADAC nun, Wagen mit AdBlue aufzutanken, wenn es die Gelegenheit gibt. Kleinere Reserven des Zusatzstoffes lassen sich bei bestimmten Bedingungen auch einlagern. Und ansonsten beschwichtigt der Automobilclub: "Autofahrer müssen sich bezüglich der Versorgung mit AdBlue aktuell keine Sorgen machen", sagte Claudia Löffler vom ADAC Berlin-Brandenburg gerade der "MOZ".

Eine weitere Steigerung wäre kaum tragbar

Das gilt jedoch nicht für die Logistikbranche. Niemand weiß, wann das Ende der Preisspirale bei AdBlue erreicht ist. Für die Unternehmen bedeutet das: höhere Transportkosten. Diese werden nach und nach an die Kunden weitergegeben.

Im Wirtschaftsministerium beschwichtigt man. Der Agentur Reuters sagte ein Sprecher: "Eine echte Mangellage konnten wir nicht feststellen. Aber falls diese eintreten sollte, werden wir Maßnahmen ergreifen."

Entscheidend für die weitere Entwicklung könnte zunächst die Gasumlage sein. Der Vorschlag, vorgelegt von Robert Habeck, war, dass die gestiegenen Gaspreise an die Kunden weitergeben werden sollten. Die Folge wären noch höhere Preise gewesen als jetzt. Nun, das zeichnete sich bereits am Wochenende ab, wackelt dieser Vorschlag. Den Produktionsunternehmen für AdBlue käme das gelegen – eine weitere Steigerung der Preise würde die Wirtschaftlichkeit stark einschränken.

Doch selbst wenn die Gasumlage nicht kommen sollte: Unklar ist weiterhin, wie gut die Gasversorgung in den nächsten Monaten aussieht. Für das volatile Geschäft mit dem Dieselzusatz bedeutet das weiterhin große Unsicherheit, die Gefahr eines Stillstandes ist nicht gebannt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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