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China-Deal am Hamburger Hafen: "So dumm sollten wir nicht sein"


Entsetzen über Hafen-Deal mit China
"So dumm sollten wir nicht sein"


Aktualisiert am 20.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Terminal Tollerort im Hamburger HafenVergrößern des Bildes
Das Containerterminal Tollerort am Hamburger Hafen: China will sich hier einkaufen – aber ist das eine gute Idee? (Quelle: Georg Wendt/dpa/Archiv/dpa)

China will einen Teil des Hamburger Hafens kaufen. Die Ampelkoalition ist entrüstet. Nur Olaf Scholz scheint nichts gegen den Deal zu haben.

In der Ampelkoalition regieren an diesem Donnerstagmorgen Frust, Unverständnis und offenkundiges Entsetzen. Wohl noch nie hat sich über Bundeskanzler Olaf Scholz derart viel und derart heftige Kritik aus den eigenen Reihen ergossen.

"Wer berät eigentlich den Bundeskanzler?", fragt die liberale Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf Twitter. FDP-Vize Johannes Vogel findet: "So dumm sollten wir nicht sein." Grünen-Chefin Ricarda Lang hat "kein Verständnis" für das Kanzleramt. Und sogar in der SPD, Scholz' eigener Partei, warnt der Fraktionsvize und frühere Zugführer Detlef Müller: "Vorsicht an der Bahnsteigkante!"

Die Ampelkoalition ist, man muss es so sagen, mindestens verdutzt. Der Grund: Ein Teil des Hamburger Hafens soll an einen chinesischen Staatskonzern verkauft werden. Diverse Ministerien hätten davor gewarnt, doch das Kanzleramt will das Geschäft offenbar trotzdem durchsetzen, wie NDR und WDR berichten. Konkret geht es um eine 35-Prozent-Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco am Hamburger Terminal Tollerort.

China einen Zugriff auf die deutsche Infrastruktur geben? Im wichtigsten deutschen Hafen? Mitten in einer weltweiten Krise, in der so viel über Abhängigkeiten von totalitär geführten Staaten diskutiert wird? Das versteht in der Regierungskoalition offenbar niemand – bis auf den Bundeskanzler.

Denn durch das beabsichtigte Geschäft im Hamburger Hafen steht plötzlich die geopolitische Strategie der Bundesregierung infrage. Einen Fehler wie die Abhängigkeit von Russland in der Energieversorgung will die Ampelregierung unter keinen Umständen wiederholen. Eine zentrale Lehre aus der Fehlkalkulation mit Moskau lautet, die Abhängigkeit von China zu reduzieren.

"Habeck hat immer ablehnende Haltung vertreten"

Deshalb lehnen auch die am Prozess beteiligten sechs Fachminister den Einstieg der Chinesen am Hamburger Hafen ab, darunter Wirtschaftsminister Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums sagte t-online am Donnerstagvormittag nur so viel: "Die Bundesregierung hat noch nicht entscheiden. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat in der Sache immer eine ablehnende Haltung vertreten." Im Verkehrsministerium heißt es wiederum, dass man sich nicht äußern wolle, ein Sprecher verwies nur auf das "für diese Frage federführende" Wirtschaftsministerium.

Tatsächlich hatten erst am Montag die Chefs der deutschen Nachrichtendienste eindringlich vor den Gefahren eines solchen Deals gewarnt, wie er Scholz offenbar vorschwebt. Bei einer Anhörung im Bundestag betonten sie das Risiko, das von Chinas Einflussmöglichkeiten in Deutschland ausgehe.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte, man warne "seit geraumer Zeit" davor, eine Situation zuzulassen, in der der chinesische Staat "über Kritische Infrastrukturen Einfluss auf das politische Geschehen auch in Deutschland nehmen kann" oder in der China "Möglichkeiten auch zur Sabotage" eröffnet würden.

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, gab zu Protokoll: "Wir stehen der Beteiligung Chinas an Kritischer Infrastruktur sehr, sehr kritisch gegenüber."

Nouripour: Sollten uns nicht noch abhängiger machen

Entsprechend eindeutig sind am Donnerstag die Reaktionen aus den Regierungsfraktionen. "Wenn wir die Lebensadern unserer Wirtschaft in falsche Hände legen, riskieren wir unsere Souveränität", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour t-online.

"Der Verkauf von Anteilen des Hamburger Hafens an ein chinesisches Unternehmen wäre die Wiederholung eines Fehlers", so Nouripour. "Wir sollten von unserer fatalen Abhängigkeit von russischen Fossilen lernen und uns nicht noch abhängiger machen." Das sei weder gut für die Wirtschaft noch für die Sicherheit.

"Eine wichtige Infrastruktur wie der Hamburger Hafen darf nicht verkauft werden", sagte Grünen-Politiker Anton Hofreiter t-online. "Damit würden wir uns selbst schaden." Auch Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, warnte davor, die Fehler im Umgang mit Russland zu wiederholen.

Aus der FDP gab es ebenfalls heftige Kritik. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte t-online: "Zeitenwende bedeutet auch: Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Die kritische Infrastruktur unseres Landes gehört nicht in die Hände systemischer Rivalen wie Chinas."

Auf seiner Auslandsreise in den USA stimmte auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) in die Kritik seiner Kabinettskollegen ein. Angesprochen auf die Hafen-Thematik sagte er neben seinem amerikanischen Amtskollegen Merrick Garland auf Englisch: "Kritische Infrastruktur in Deutschland sollte nicht unter der Kontrolle der chinesischen Regierung stehen." Das sei eine Frage von Unabhängigkeit. Er fügte hinzu: "Wir sollten die Fehler, die wir in den Beziehungen mit Russland gemacht haben, nicht in den Beziehungen zu China wiederholen."

Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, übte ebenfalls Kritik. "Das geschlossene Votum der sechs Fachministerien gegen den Verkauf sollte vom Kanzleramt anerkannt werden", sagte er t-online. Solange nicht identische Investitionsbedingungen mit China gewährleistet seien, sollte dem Kauf nicht zugestimmt werden.

"Ich bin durchaus skeptisch, wenn China in kritische Infrastruktur bei uns investiert", sagte selbst SPD-Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff t-online. "Wir sollten hier mit Vorsicht drauf blicken." Er sei sich aber sicher, dass die Bundesregierung und der Erste Bürgermeister in Hamburg "genau abwägen".

Was bewegt Scholz?

Bundeskanzler Olaf Scholz selbst hat sich bisher nicht zur Sache geäußert. Ein Regierungssprecher hatte dem NDR erklärt, das Kanzleramt werde sich "mit Blick auf die Betroffenheit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der beteiligten Unternehmen" zu laufenden Investitionsprüfungsverfahren nicht äußern.

Nach t-online-Informationen argumentiert das Kanzleramt, man warte derzeit noch auf eine belastbare Begründung der ablehnenden Haltung aus dem Wirtschaftsministerium. Tatsächlich könnte eine solche Entscheidung einen Rechtsstreit mit Cosco nach sich ziehen, in dem die Gründe dargelegt werden müssten.

In Kreisen der Bundesregierung wird jedoch auch auf den bevorstehenden Besuch des Kanzlers in China verwiesen. Aktuell läuft die Frist für einen möglichen Einspruch der Bundesregierung gegen das Projekt am 31. Oktober ab. Sie könnte theoretisch nach hinten geschoben werden.

Doch passen würde der Termin: Denn am 4. November wird Scholz in Peking erwartet. Mit grünem Licht für das Investitionsprojekt in Hamburg brächte der Kanzler dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping sozusagen ein Gastgeschenk mit.

Doch Scholz wird natürlich nicht nur die Sorge um sein Reisegepäck umtreiben. Ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung des Kanzleramts dürften die Interessen der SPD in seiner alten Heimat Hamburg sein. Scholz selbst war bis 2018 Erster Bürgermeister der Hansestadt.

Scholz und der Hamburg-Faktor

Als Scholz auf die Bundesebene wechselte, machte er seinen langjährigen Finanzsenator Peter Tschentscher zu seinem Nachfolger. Scholz ist Hamburg noch immer sehr verbunden, er hat dort noch eine Wohnung und kennt die politische Diskussion genau.

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Und die ist beim China-Deal des Hafens recht eindeutig: Schon Mitte September warnte Peter Tschentscher Bundeswirtschaftsminister Habeck, der sich skeptisch geäußert hatte, mit deutlichen Worten: "Eine Ablehnung wäre eine schwere Belastung für den Wirtschaftsstandort und eine einseitige, wettbewerbsverzerrende Benachteiligung Hamburgs gegenüber Rotterdam und Antwerpen, in denen Cosco bereits Terminal-Anteile besitzt."

Ein rein wirtschaftliches Projekt also? Alle Bedenken jedenfalls wies Tschentscher damals weit von sich. Mit einer Minderheitsbeteiligung an der Betreibergesellschaft für einen der Containerterminals sei "kein strategischer Einfluss oder Zugriff auf die Hafen-Infrastruktur verbunden", versicherte er. Der Hafen insgesamt bleibe zu 100 Prozent bei der städtischen Hamburg Port Authority. Das betont man auch im Kanzleramt.

Experten wie der Direktor des Global Public Policy Institute, Thorsten Benner, sehen das jedoch ganz anders. "Cosco ist eine Perle des chinesischen Staatskapitalismus und direktes Instrument des Parteistaats", schreibt Benner auf Twitter. "Es soll Profite machen und gleichzeitig Chinas globalen Ambitionen dienlich sein, wenn nötig auch als politisches Druckmittel."

In Hamburg ist China schon jetzt der größte Kunde – der mit einer Beteiligung womöglich noch mehr Druck machen könnte.

Verwendete Quellen
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