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Ehegattensplitting abschaffen? Ampel droht jetzt der nächste Streit


Neue Vorschläge der Ampelkoalition
Das Gerangel um die Steuer


Aktualisiert am 17.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Gespräch mit Bürgern bei einem Bürgerdialog in Füssen: Dissens zwischen dem Regierungschef und dem Vorsitzenden seiner eigenen Partei. (Quelle: IMAGO/Dwi Anoraganingrum)

In der Ampelkoalition wird über das Ehegattensplitting gestritten. Darin steht die Frage: Wie kann eine gerechte Politik für Paare aussehen?

Olaf Scholz will etwas geraderücken. Es ist Donnerstag, der Kanzler ist ins bayerische Füssen zu einem Bürgerdialog gefahren. Und eigentlich soll es jetzt um die großen Linien gehen. Was das Volk bewegt, wie der Kanzler tickt, so etwas. Doch Scholz sagt noch etwas anderes: "Für die Normalverdiener hat niemand vor, eine Verschlechterung vorzuschlagen, was jetzt die steuerliche Belastung betrifft." Er will so die Wogen glätten. Wogen, die Lars Klingbeil zuvor geschlagen hat – der Chef der Kanzlerpartei SPD.

Es geht ein wenig durcheinander in diesen Tagen. Grund für den Streit: das Ehegattensplitting, das dafür sorgt, dass Paare mit stark unterschiedlichem Einkommen trotzdem dieselbe Einkommensteuer bezahlen. Klingbeil findet, das sei ein "antiquiertes Steuermodell", er will das Splitting abschaffen – und damit etliche Milliarden Euro zusätzlich sparen. Der Kanzler sieht das zumindest anders.

Wegen des Splittings arbeiten viele Frauen nicht

Der Streit legt auch einen Dissens innerhalb der Bundesregierung frei. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der Staat das Zusammenleben von Paaren eigentlich besteuern soll. Wie man dabei möglichst beide Partner unterstützt, ohne alte Rollenbilder zu fördern. Was für eine Politik in diesem Lebensfeld heute eigentlich zeitgemäß ist – und gerecht.

Wer das Ringen über die steuerliche Belastung nachvollziehen will, muss die Details der Regelung verstehen. Seit 1958 können Ehepaare ihre Einkommen vom Finanzamt zusammenrechnen lassen. Es wird also so getan, als würden beide Partner genau die Hälfte zum gemeinsamen Einkommen beitragen. Für diese Hälfte berechnet das Finanzamt die Einkommensteuer und verdoppelt sie. Wegen des progressiven Steuertarifs, bei dem der Steuersatz mit steigendem Einkommen zunimmt, können Paare damit viel Geld sparen – und zwar umso mehr, je weiter ihre Einkommen in Wahrheit auseinanderklaffen. Mehr zur Steuerersparnis durch das Ehegattensplitting lesen Sie hier.

Das Problem dabei: Der Splittingvorteil kann dazu führen, dass es sich für den schlechter verdienenden Partner nicht lohnt, seine Arbeitsstunden zu erhöhen oder überhaupt einem Job nachzugehen. Das hält vor allem Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Denn noch immer sind sie in drei Viertel der Fälle diejenigen, die in einer Partnerschaft weniger verdienen. Würde das Splitting nun, wie von Klingbeil vorgeschlagen, abgeschafft – beide Partner würden in der Summe mehr Steuern zahlen.

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Die Grünen sind zum Gespräch bereit, die FDP ist dagegen

Auch deswegen liegen die Positionen in der Ampelkoalition, wie es nun weitergehen soll, weit auseinander. Bei den Liberalen will man unbedingt vermeiden, dass es zu Steuererhöhungen kommt. Das gilt als ausgeschlossen, für die FDP ist es ein Teil ihrer DNA, regelmäßig wird das in Wahlkämpfen wiederholt. Unterstützung gibt es aus der Opposition, wo man sich entsetzt zeigt. Die Vize-Fraktionschefin der Union, Dorothee Bär, sagte t-online: "Wenn die Ampel davon nicht die Finger lässt, sollte sie sich schämen. Das kann die SPD nicht ernst meinen."

Anders sieht es jedoch bei den Koalitionspartnern aus, die gemeinsam mit der FDP regieren. Auch abseits von SPD-Chef Klingbeil gibt es einige Sozialdemokraten, die sich eine Abschaffung vorstellen können.

Und bei den Grünen sieht es mancher ähnlich. Bereits im Wahlprogramm schrieb die Partei, dass es "eine individuelle Besteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag" statt Ehegattensplitting geben könnte. Es ist eine Abwandlung des Vorschlags von Lars Klingbeil – wäre aber wohl verfassungskonform. Allerdings wäre die Steuererhöhung vor allem im klassischen Rollenmodell beträchtlich. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte nun, man sei bei diesem Thema "gerne zum Gespräch bereit". Es droht ein handfester Streit.

Institutionen wie die EU-Kommission oder die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mahnen Deutschland schon länger zu einer Reform. Auch die Bundesregierung weiß, dass das Ehegattensplitting die meisten Ziele der Familienpolitik verfehlt. Das haben bereits vor zehn Jahren das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das ifo-Institut und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) festgehalten, als diese damit beauftragt wurden, mehrere ehe- und familienpolitische Leistungen auf Sinnhaftigkeit zu prüfen. Trotzdem scheint das Ehegattensplitting unantastbar zu sein.

Könnten nur Menschen mit höherem Einkommen mehr Steuern bezahlen?

Dabei gibt es zahlreiche Reformvorschläge, die dazu führen würden, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigt. Darunter auch solche, denen das Verfassungsgericht seinen Segen geben könnte – anders als bei einer 180-Grad-Wende zur reinen Individualbesteuerung, wie sie Klingbeil vorschlägt. Das Problem ist nur: Viele der Alternativen gehen eben mit Steuererhöhungen einher. Ein No-Go für die FDP.

Eine Idee ist das sogenannte Realsplitting: Es ist eigentlich für Geschiedene gedacht, um den Unterhalt von der Steuer absetzen zu können. Analog dazu könnten Verheiratete im Prinzip getrennt voneinander besteuert werden, der besserverdienende Partner dürfte aber maximal 13.805 Euro pro Jahr auf den anderen übertragen. Sein zu versteuerndes Einkommen sinkt also um diesen Betrag, während das des anderen in gleicher Höhe steigt. Das wäre allerdings nur so weit möglich, bis beide – wie beim bisherigen Ehegattensplitting – fiktiv die Hälfte des gemeinsamen Einkommens beisteuern.

Die SPD wittert ein Wahlkampfthema

Laut dem "Rat der Wirtschaftsweisen" handelt es sich dabei "faktisch um eine Begrenzung des aktuellen Ehegattensplittings der Höhe nach", heißt es in einem Arbeitspapier von 2021. Mit anderen Worten: Vor allem Menschen mit höheren Einkommen müssten mehr Steuern zahlen. Nach Berechnungen des DIW würde das dem Bund gut 5 Milliarden Euro einbringen.

Der Streit in der Ampelkoalition dürfte sich hinziehen. Weil bislang kein klarer Weg aufgezeigt wird, Steuererhöhungen zu vermeiden, ist besonders die FDP skeptisch. Dabei findet sich eine solche Möglichkeit bereits im Arbeitspapier der "Wirtschaftsweisen": "Steuermehreinnahmen könnten (...) durch eine allgemeine Senkung der Einkommensteuersätze an die Einkommensteuerzahler zurückgegeben werden."

Doch davon wären wohl SPD und Grüne wenig begeistert. Auch der Reformvorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, mit einem zusätzlichen Freibetrag zu arbeiten, um mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu bringen, dürfte ihnen nicht passen. Denn der könnte sogar zu Steuerausfällen führen.

In der SPD glaubt man offenbar, so erzählt es mancher, dass mit der Reform des Ehegattensplittings auch das Image der eigenen Partei verbessert werden soll. Insbesondere bei jungen Menschen: "Seht her, wir tun aktiv etwas gegen die Zementierung des traditionellen Rollenbildes", ist in etwa die Botschaft. Wie genau aber die Lösung aussieht, die das aktuelle Modell abschafft – das ist noch völlig offen.

Kanzler Olaf Scholz saß am Freitagmittag vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz und wurde auf das Streitthema angesprochen. Dazu sagte Scholz: "Mir ist ganz wichtig, dass wir uns an dem orientieren, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben."

FDP-Chef Christian Lindner sagte am Samstag in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk dazu nur: "Das wird nicht kommen in dieser Wahlperiode des Deutschen Bundestages." Eine Abschaffung sei "weder in der Koalition verabredet" noch für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler fair. Es wird einiges zu besprechen geben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • diw.de: DIW Wochenbericht 40 / 2013: "Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen"
  • sachverstaendigenrat-wirtschaft.de: Arbeitspapier 06 / 2021: "Anreizwirkungen des deutschen Steuer- und Transfersystems auf das Erwerbsangebot von Zweitverdienenden"
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