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Martin Sellner als Redner: Keine Folgen für AfD-Politiker Joachim Paul


Joachim Paul und "Remigration"
AfD toleriert Zusammenarbeit: Martin Sellner darf reden


13.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Politaktivisten: Martin Sellner durfte den Eröffnungsvortrag zu einer Filmvorstellung des AfD-Abgeordneten Joachim Paul halten.Vergrößern des Bildes
Politaktivisten: Martin Sellner (l.) durfte den Eröffnungsvortrag zu einer Filmvorstellung des AfD-Abgeordneten Joachim Paul halten. (Quelle: Imago, Screenshot Telegram/Martin Sellner, Montage: t-online)

In der AfD hat es keine Folgen mehr, wenn Funktionäre gemeinsame Sache mit einst verpönten Akteuren machen: Martin Sellner darf Vorträge halten.

Ein AfD-Landtagsabgeordneter lässt Martin Sellner, Führungsfigur der Identitären Bewegung, bei einer Veranstaltung einen Vortrag halten. Weder die Partei noch Politiker Joachim Paul sehen darin einen Verstoß gegen Unvereinbarkeitsregeln der AfD. Das und ein Fall in Berlin zeigen: Gemeinsame Veranstaltungen mit Sellner und anderen Identitären scheinen in der AfD kein Problem mehr zu sein – während die Partei gegen den Verfassungsschutz prozessiert und ein mögliches Verbotsverfahren näher rückt.

Im Juli 2023 reiste Martin Sellner viel. Es war zu der Zeit für ihn noch nicht im Ansatz die Rede von einem Einreiseverbot für Deutschland, wie es derzeit die Stadt Potsdam verhängen will. Seine Sommertour hat bis dato auch nicht so viel Aufsehen erregt wie sein Besuch im Landhaus Adlon in Potsdam im November. Dieses Treffen mit weiteren Aktivisten, Unternehmern und Mitgliedern von AfD und Werteunion hatte das Recherchenetzwerk "Correctiv" enthüllt und mit Sellners Vorstellungen von millionenfachen Vertreibungen aus Deutschland öffentlich gemacht.

Über Migration und deren Umkehr sprach die Galionsfigur der Neurechten allerdings schon in jenem Juli. Sellner war zu einem privaten Leseabend mit AfD-Politikern in Berlin beim früheren CDU-Senator Peter Kurth zugegen. Ebendieser Sellner war auch beim "Sommerfest" des "Instituts für Staatspolitik" in Schnellroda vor Ort, das als "gesichert rechtsextrem" und verfassungsfeindlich gilt. Ein Termin dazwischen ging in der Öffentlichkeit bisher weitgehend unter: Sellner durfte einen Vortrag bei einer Veranstaltung des rheinland-pfälzischen AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Paul halten.

Auf "Remigrations-Tour" bei Paul

Videobilder vom 6. Juli zeigen Sellner in einem T-Shirt mit dem Aufdruck "Remigrations-Tour" am Pult im "Quartier Kirschstein" in Koblenz. Der Abgeordnete Paul hat seine Räume in einem ehemaligen Rewe-Lager nach einem Piloten im Ersten Weltkrieg benannt. Paul war früher Mitglied im Bundesvorstand der AfD und tief in die Medienarbeit der Partei eingebunden. Er stand auch an der Spitze des Medienausschusses im rheinland-pfälzischen Landtag, wurde aber abgewählt und zog seine Kandidatur um den Landesvorsitz zurück: Durch "taz" und SWR waren bis heute nicht ausgeräumte Vorwürfe aufgekommen, dass er in dem NPD-nahen Magazin "Hier und Jetzt" (H&J) Autor eines positiven Beitrags über einen rechtsextremen Musiker und Mörder gewesen sei.

Inzwischen engagiert sich Paul als Referent bei Online-Seminaren einer den Identitären nahestehenden "Gegen-Uni", bei der auch Sellner mitwirkt, und schreibt und wirbt für ein Magazin, das den Identitären verbunden ist. Und ließ Sellner reden.

Sellner eröffnete Veranstaltung

Paul bestätigt auf Anfrage, dass Sellner sprach. Er erklärte aber, Sellner habe sich bei der Premiere eines Films als "Gast" angemeldet und er sei "politisch seit Jahren ausschließlich als Buchautor und Journalist tätig". Paul hatte einen Film namens "Quo vadis?" über Zuwanderungsbrennpunkte in Rheinland-Pfalz mit einem früheren Al-Qaida-Propagandisten produziert, der heute im rechtsextremen Milieu unterwegs ist und der im Frühjahr 2023 auch mit Sellner auf einer "Brennpunkttour" mit Kamera in Österreich unterwegs war.

Bei Sellners Visite bei Paul in Koblenz begrüßte der Österreicher in seiner Eröffnung vom Rednerpult aus zu spät gekommene Besucher und verwies sie auf noch fünf freie Plätze. Dann fuhr er fort mit seinem Vortrag, in dem er "aus aktivistischer Sicht über Remigration sprechen" wollte. In einem kurzen Ausschnitt, der t-online vorliegt, lobt er die AfD, weil sie "nicht die Identitätspolitik des Schuldkults" wolle und spricht von "Ersetzungspolitik" und "Bevölkerungsaustausch". Ein österreichisches Magazin aus der Szene schilderte, Sellner habe "die notwendigen Maßnahmen und die Möglichkeitsbedingungen einer Politik der Remigration" skizziert.

Paul sieht den Auftritt bei sich im Einklang mit AfD-Richtlinien: Offiziell besteht ein Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD zur "Identitären Bewegung" (IB). Paul argumentiert: Die Liste mit der Identitären Bewegung darauf schließe nur eine Mitgliedschaft in der AfD aus. "Sie bedeutet weder ein Kontaktverbot noch ein Verbot, sich Diskussionsbeiträge im Rahmen einer Filmpremiere anzuhören und diese dann zu diskutieren." Das tue er "selbstverständlich" auch kritisch. Da es kein Kontaktverbot gebe, sei ihm auch unklar, welche innerparteilichen Folgen aus einem "Wortbeitrag" von Martin Sellner entstehen sollten.

Remigrations-Botschafter bei Burschenschaften

Wie Sellner hielt auch Paul Vorträge, in denen es um "Remigration" ging. Burschenschaftler Paul, Mitglied der "Raczeks" zu Bonn, hielt etwa einen Vortrag bei der Burschenschaftlichen Gemeinschaft. Das ist ein Zusammenschluss der extremsten Burschenschaften, er vertritt einen völkischen Nationalismus. Paul nannte nach Informationen von t-online Integration und Assimilierung (...) "längst tote Begriffe". Remigration müsse jetzt "zentraler Begriff" sein. Sonst bestehe die Gefahr, dass es künftig kein deutsches Volk als Souverän mehr gebe. Eine Burschenschaft in Hannover berichtet von einem Paul-Vortrag "Schicksalsfrage Einwanderung – warum Remigration nötig und machbar ist". Paul äußerte sich auf Anfrage zu den Inhalten in seinen Vorträgen nicht detaillierter. Wegen häufiger, auch freier Vorträge vor Burschenschaften seien ihm nicht mehr alle Inhalte geläufig. Unter Remigration verstehe er "die verfassungskonforme und rechtsstaatliche Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und Extremisten aus Deutschland", die "im großen Stil" erfolgen müsse. Und wer deutscher Staatsbürger werden wolle, müsse sich "unabhängig von Abstammung sprichwörtlich mit Haut und Haaren zu unseren Werten, dem Grundgesetz und unserer deutschen Leitkultur" bekennen.

"Keinerlei Bezug zur 'Identitären Bewegung'"

Tatsächlich begannen danach Ermittlungen des AfD-Landesvorstands, wie Beisitzer Robin Classen t-online auf Anfrage mitteilte. Die Veranstaltung sei im Vorfeld nicht mit dem Landesverband abgestimmt worden und die Teilnehmer seien ihm nicht bekannt. Dass Sellner dort gesprochen hatte, erreichte die Partei gleichwohl. Im Nachhinein habe der Vorstand deshalb beim Veranstalter schriftlich angefragt.

Paul sollte "über den Charakter der Veranstaltung und die besprochenen Themen" informieren. Dabei habe sich ergeben, "dass die Veranstaltung keinerlei Bezug zur 'Identitären Bewegung' hatte und Herr Sellner lediglich im Rahmen einer Filmvorstellung von Herrn Paul einen Vortrag hielt". Damit habe kein formaler Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss vorgelegen, sodass keine Ordnungsmaßnahmen ergriffen worden seien. Sellner zum Vortrag einladen – für einen AfD-Abgeordneten bleibt das also folgenlos.

In Berlin hat die AfD eine andere Erklärung, warum dort eine Veranstaltung mit dem Österreicher kein Problem sei, der kürzlich auch einen Masterplan für einen parteiinternen AfD-Geheimdienst angeboten hat: Sellner sprach zwar am 7. November im AfD-Parteibüro in Pankow, aber: "Es handelte sich bei dem Treffen um keine Partei-Veranstaltung". So erklären es der Co-Vorsitzende des dortigen Bezirksverbands, Christian Buchholz, und so erklärt es der Landesvorstand auf Nachfrage. "Mehr gibt es dazu nicht zu sagen", heißt es jeweils auf t-online-Anfrage. Buchholz erklärt noch, weder Organisator noch Veranstalter des Treffens in den Räumen des Bezirksverbands gewesen zu sein.

Berliner AfD will mit Vortrag in Parteibüro nichts zu tun haben

Aus der Partei hatte es zu dem Treffen jedoch mehr zu sagen gegeben: Michael Adam, Rechtsanwalt und ehemaliger Präsident des Landesschiedsgerichts der Partei, schaltete sich nach einer kritischen Mail eines Parteikollegen ein und forderte, dass der Landesvorstand sich am 1. März mit dem Thema befassen sollte. Adam erwartete ein deutliches Signal, Konsequenzen für die Verantwortlichen des Treffens: "Ich habe darauf hingewiesen, dass ohne Ordnungsmaßnahmen die konkrete Möglichkeit besteht, dass verfassungswidrige Aussagen von Herrn Sellner im Hinblick auf den von ihm getätigten Vorschlag einer 'unfreiwilligen Remigration' der AfD zugerechnet werden könnten."

Adam sieht sich im Kampf gegen eine rechtsextreme Beeinflussung der Partei. Im Vorfall erkennt er Parallelen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar, die NPD von der Parteienfinanzierung auszuschließen. Dort heißt es wörtlich: "Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt."

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Die Berliner Landesvorsitzende Birgit Brinker selbst weiß genau, was Sellner erzählt: Sie saß selbst schon unter den Zuhörern – am 5. Juli in Berlin bei dem Ex-CDU-Politiker Kurth, am Tag vor Sellners Auftritt bei Paul. Als ihre Teilnahme bekannt wurde, sprach sie davon, sie sei schnell wieder gegangen, weil sie "geschockt gewesen sei vom Publikum". Sellners Thesen habe sie damals nicht geteilt und teile sie heute nicht.

Irritiert über die Zusammenarbeit war sie aber offenbar auch nicht.

Verwendete Quellen
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