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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verlorene Wahlen Diese Ministerpräsidenten scheiterten im ersten Wahldurchgang

Dass der Bundestag Friedrich Merz die nötige Mehrheit verweigert, ist einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik. Auf Länderebene geschah das aber schon öfter – mit teils bundesweitem Echo.
Die Spitzen von Union und SPD waren sich am Montag noch sicher: Ihre Mehrheit im Bundestag von 328 Sitzen ist zwar nicht überwältigend, es würden aber genug ihrer Abgeordneten Friedrich Merz zum neuen deutschen Bundeskanzler wählen. Diese vermeintlich sichere Rechnung ist geplatzt. Im ersten Wahlgang erhielt Merz keine Mehrheit, ein Novum in Deutschland.
- Kommentar zur Abstimmung: Schon jetzt eine Katastrophe
Bei den Wahlen der Ministerpräsidenten in den Bundesländern ist das allerdings schon öfter vorgekommen. Von den wichtigsten Fällen lesen Sie hier:
Bodo Ramelow (Linke)
Den wohl spektakulärsten Fall stellen die Ereignisse um die Thüringer Landtagswahl 2019 dar. Damals fehlte eine klare Regierungsmehrheit: Sechs Parteien hatten es über die Fünfprozenthürde geschafft und waren ins Parlament eingezogen, zudem hatte die rechtsextremistische AfD deutlich zugelegt. Die Linkspartei unter Bodo Ramelow war zwar stärkste Kraft, konnte aber keine stabile Koalition bilden.
In den ersten beiden Wahlgängen verfehlte Ramelow knapp die absolute Mehrheit. Im dritten griff eine besondere Regel der Thüringer Landesverfassung, der zufolge derjenige Ministerpräsident wird, der die einfache Mehrheit erringt. Wer dann die meisten Stimmen erhält, bekommt das Amt, auch wenn es weniger als die Hälfte sind.
In diesem dritten Wahlgang kam es dann zum Skandal: Der Vorsitzende der Thüringer FDP, Thomas Kemmerich, bekam die einfache Mehrheit des Landtags, und das, obwohl seine Partei nur knapp die Fünfprozenthürde übersprungen hatte. Möglich wurde das, weil er nicht nur die Stimmen der FDP und großer Teile der CDU erhielt, sondern auch die AfD-Fraktion für ihn stimmte, anstatt für ihren eigenen Kandidaten. Kemmerich nahm die Wahl an und wurde Ministerpräsident.
Da die FDP wie alle anderen demokratischen Parteien aber zuvor stets die Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hatte, wurde bundesweit Empörung laut, auch aus der Spitze der FDP. Einen Tag nach der Wahl gab Kemmerich dem Druck nach und trat zurück. Er führte das Amt noch kommissarisch, bis schließlich Bodo Ramelow als Ministerpräsident gewählt wurde.
Heide Simonis (SPD)
Ein weiterer Wahlkrimi ereignete sich 2005 bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) scheiterte in vier Wahlgängen an der Wiederwahl, eine Rekordzahl. Sie wollte eigentlich in eine Koalition mit den Grünen und dem SSW, der Partei der dänischen Minderheit, treten; gemeinsam wären die Parteien auf die 35 Sitze gekommen, die mindestens für eine absolute Mehrheit nötig gewesen wären.
Grüne und SSW versicherten nach den vier gescheiterten Durchgängen, geschlossen für Simonis gestimmt zu haben. Aus der SPD kam so eine Aussage jedoch nicht: Einer der sozialdemokratischen Abgeordneten hatte gegen sie gestimmt. Er ging als "Heide-Mörder" in die Geschichte ein.
Bis heute ist unklar, wer Simonis verraten hat. Klar ist: Sie konnte seinet- oder ihretwegen nicht noch einmal Ministerpräsidentin werden. Daher einigte sich die SPD mit der CDU auf eine Große Koalition. Die beiden Parteien wählten schließlich den schleswig-holsteinischen CDU-Chef Peter Harry Carstensen im fünften Wahlgang zum Ministerpräsidenten.
Michael Kretschmer (CDU)
Kretschmer scheiterte im Dezember 2024 im ersten Wahlgang zur Wiederwahl als Ministerpräsident von Sachsen. Er erhielt nur 55 Stimmen und verfehlte damit die erforderliche absolute Mehrheit von 61 Stimmen. Im zweiten Wahlgang wurde er mit 69 Stimmen gewählt und führt seitdem eine Minderheitsregierung mit der SPD.
Zu der knappen Wahl war es auch gekommen, weil das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD Rekordergebnisse erzielt hatten. Das BSW errang 30,6 Prozent, das BSW bekam 11,8 Prozent der Stimmen.