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Neonazi-Forum: Spuren zur "Atomwaffen Division" führen nach Thüringen


Verräterische Daten aus Neonazi-Forum
Spur zur "Atomwaffen Division" führt nach Thüringen

  • Lars Wienand
  • Jonas Mueller-Töwe
Von Lars Wienand, Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 15.11.2019Lesedauer: 6 Min.
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"Atomwaffen Division": Ein Neonazi mit der Flagge der Organisation steht im einzigen Video der deutschen Organisation vor der Wewelsburg. Ein Datenleck gibt Hinweise zu einem möglichen Beteiligten aus Thüringen.Vergrößern des Bildes
"Atomwaffen Division": Ein Neonazi mit der Flagge der Organisation steht im einzigen Video der deutschen Organisation vor der Wewelsburg. Ein Datenleck gibt Hinweise zu einem möglichen Beteiligten aus Thüringen. (Quelle: Screenshot t-online.de)

Eine "Atomwaffen Division Deutschland" gibt seit Monaten mit Umsturzplänen und Drohungen Rätsel auf. Weil private Chats von Neonazis öffentlich geworden sind, gibt es jetzt eine Spur.

Er hielt sich für einen Elite-Nazi, der etwas bewegen will und fand, dass die NPD "voller Untermenschen" ist: Das schrieb ein Nutzer A. im einst wichtigsten Neonazi-Forum "Iron March". Hinter diesem Profil steckt nach Recherchen von t-online.de und "ZDF heute" ein junger Mann aus Eisenach, der Kontakt zu terroristischen Gruppen in den USA und Großbritannien hatte. Er stellt eine erste konkrete Spur zur "Atomwaffen Division Deutschland" dar. t-online.de kürzt seinen Nutzernamen ab, kennt aber seinen vollen Namen.

Die Hinweise liefern Daten der Plattform "Iron March", die nun öffentlich geworden sind. Die Seite nannte sich selbst "Schmiede der Faschisten des 21. Jahrhunderts". A. schrieb dort: "Deutschland ist meine Religion, Hitler ist mein Prophet." Mehr als 1.200 Nutzer waren dort angemeldet, als die Seite Ende November 2017 plötzlich aus dem Netz verschwand. Alle Nutzerprofile, fast 200.000 Unterhaltungen und die Privatnachrichten sind nun nachlesbar.

Nach t-online.de-Recherchen liefern sie Indizien, dass A. beteiligt war, als im Juni 2018 das einzige Video der "Atomwaffen Division Deutschland" entstand (Ausschnitte sehen Sie im Video). A. hatte damals nach eigenen Angaben bereits Propaganda-Videos für andere Neonazigruppen produziert. Dann schrieb er Mitglieder der amerikanischen "Atomwaffen Division" an. Das Forum gilt als ihre Geburtsstätte.

A. hatte konkrete Fragen zum "Atomwaffen Division"-Video

Diese Gruppe erklärt offen, dass ihr jede Tat recht ist, um Staaten zu destabilisieren. Der "Zeit" zufolge wurde am 7. November einem mutmaßlichen Mitglied der Gruppe in Berlin die Einreise nach Deutschland verweigert. Angehörige der "Atomwaffen Division USA" haben fünf Menschen getötet, mit der Propaganda in Videos will die Gruppe andere inspirieren.

Zu diesen Videos hatte A. einige Fragen. Er kontaktierte zunächst eine Führungsfigur der "Atomwaffen Division", von dem es im Forum Sätze gibt wie: "Start your own AWD chapter". Dieser Mann nannte ihm einen anderen Namen. "Der macht unsere Videos". Neun Stunden später hatte A. von diesem Nutzer Antwort per Direktnachricht. Einige Monate später erschien im Juni 2018 das deutsche Video.

Die Nachrichten, die niemals öffentlich werden sollten, liefern auch weitere Information zu A.: Er sagt von sich, dass er in Deutschland Facebookseiten und Blogs betreut, die "NS" und "Revolt" und "Straßenkunst" im Namen führen. "Straßenkunst" zeigt Graffiti wie "Nazi Kiez" und Videos von der Entstehung, darunter einige Werke einer in Eisenach aktiven rechten Sprayergruppe. Die "Revolt"-Seite, 2018 neu aufgesetzt, kritisiert Verschwörungstheorien zum Attentat in Halle mit zwei Toten. Die Leute sollten akzeptieren, dass es wirklich Terror war, heißt es dort. Terror – wie von der "Atomwaffen Division" gewünscht.

Doch A. hat offenbar auch Kontakt zu der in Großbritannien inzwischen verbotenen Gruppe "National Action" (NA). 2016 bei einer Maidemonstration in Plauen habe er die Leute kennen gelernt, sie hätten ihm "Iron March" empfohlen, schrieb A. t-online.de hatte 2018 enthüllt, dass deutsche Neonazis des sogenannten "Antikapitalistischen Kollektivs" (AKK) über einen längeren Zeitraum mit "National Action" kooperierten.

Dazu waren die Briten auch zum 1. Mai nach Plauen gereist. Wenig später veröffentlichte die Gruppe auch ein Foto zweier Mitglieder, die in der Gedenkstätte des KZ Buchenwald den Hitlergruß zeigten. Buchenwald liegt auf dem Weg von Plauen nach Eisenach.

A. war laut eigenen Angaben auch im AKK aktiv, für das er Videos produzierte. Szenen aus diesen Videos zeigen die Gruppe unter anderem bei der Maidemonstration Plauen – exakt diese Ausschnitte finden sich auch im später veröffentlichten Propaganda-Video der "Atomwaffen Division Deutschland" wieder.

In Privatnachrichten Vornamen genutzt

Auch weitere Nachrichten von A. führen auf die Spur des jungen Thüringers. Er unterzeichnete Privatnachrichten mit seinem Vornamen. In einer Nachricht an den russischen Forenchef fragte er wegen einer Änderung des Nutzernamens nach. Zunächst hatte er "Daddy Terror", den Führer der "National Action", um Helfe gebeten. Der neue Name, den er nannte, ist sehr ungewöhnlich und hat hohen Wiedererkennungswert. Die wenigen Treffer dazu im Internet sind brisant.

Es sind Links zu mehr oder weniger extrem rechten Profilen, in denen Terror begrüßt und es um nationalsozialistische Revolution geht. Einer der Treffer führt zu einem Forum für Sprengstoff-Fans mit Tipps und Rezepten. Das sind die Profile mit diesem Namen:

  • Am unverfänglichsten ist, was der Nutzer beim inzwischen geschlossenen Streamingportal kinoX.to schrieb. An einem Film über den Zweiten Weltkrieg kritisiert er die Darstellung, dass ein "paar liebe amerikanische Kriegshelden (...) Hunderte von Grundauf böse Deutsche" töten.
  • Den Namen gibt es auch auf "Fascist Forge" ("Faschisten -Schmiede), einer Ausweichseite nach der plötzlichen Schließung von "Iron March" Ende 2017. Die Selbstbeschreibung dort deckt sich weitgehend mit dem, was über A. herauszufinden ist und auf den jungen Thüringer zutrifft: Anfang 20, Führungsfigur der örtlichen Neonazi-Nachwuchsgruppe, zunächst aktiv im "Antikapitalistischen Kollektiv".
  • Auf der Spiele-Chatplattform Steam ist der Nutzer mit dem Namen befreundet mit einem anderen, dessen Name sich ebenfalls auf "Iron March" findet. Eine hinterlegte E-Mail-Adresse belegt, dass sich dahinter ein Mitglied einer Neonazi-Gruppe in NRW verbirgt. Auf Steam betreut der NRW-Neonazi H. eine Gruppe, die sich "Die einzig wahre NS Gaming-Community" nennt und Werbung macht für "Jugend in Bewegung".

Es spricht einiges dafür, dass es sich in den verschiedenen Foren jeweils um A. aus Eisenach handelt. Doch ist der hasserfüllte Hitler-Bewunderer auch jemand, der mit Sprengstoffen experimentiert? Er soll sich damit beschäftigt haben, heißt es aus seinem Umfeld.

  • Auf xplosives.net gab ein Nutzer mit dem gleichen Namen sehr routiniert wirkende Tipps zur Herstellung von Sprengstoffen und zum Umgang mit den Chemikalien. "Ich habe HMTD schon durch die verschiedensten Einflüsse hochgehen lassen", schrieb er etwa. xplosives.net war eine Seite mit Tipps, wie ein Überraschungs-Ei schnell mit Sprengstoff zu "einer tödlichen kleinen Bombe" gemacht werden kann. Im August legten Experten der niedersächsischen Polizei die Seite still, es sind nur noch Fragmente erreichbar. Der fragliche Nutzer war da bereits gut drei Jahre gesperrt, der direkte Grund ist nicht ersichtlich. Es ist unklar, ob er sich unter einem anderen Namen wieder anmeldete.

Der junge Thüringer betreibt Kampfsport, und gehört einer entsprechenden Gruppe an, er wurde verurteilt wegen unerlaubter passiver Bewaffnung beim Neonazi-Festival "Schild & Schwert" im sächsischen Ostritz. Es gibt von ihn auch ein Foto, das mit "Tschechienfeldzug" überschrieben ist. Es ist aus einer Instagram-Story vom Sommer. Das nächste Foto vom gleichen Tag Ende Juli zeigt einen Mann beim Schießtraining.

t-online.de und "ZDF heute" haben ihn kontaktiert und um Stellungnahme gebeten. Er lehnt ab. Er habe Angst um seine Familie. Eindruck hat vielleicht auch gemacht, dass Ende Oktober in Eisenach eine rechte Kneipe von 15 Vermummten gestürmt wurde, die der linken Szene zugerechnet werden.

Eisenach gilt aber als Hochburg der rechtsextremen Szene, auch im Forum beschrieb A. seine Heimat so. Er führte auf: "Wir haben sogar ein eigenes Haus für Events und Treffen." Die NPD hat dort ihre Landesgeschäftsstelle und stellt sie nach Medienberichten bereitwillig Interessenten zur Verfügung.

Für die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss, Expertin ihrer Partei für NSU und die Unterstützer-Strukturen, steht fest: Der Mann, der sich bei "Iron March" A. nannte, ist "tief eingebunden in die neonazistischen Strukturen in Eisenach". Die Stadt falle seit Jahren mit einer enormen Dichte extrem rechter Aktivitäten auf, weshalb es auch Ermittlungen gegeben habe, die Nationale Jugend dort als Kriminelle Vereinigung zu verbieten.

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"Hoch gefährliches Neonazi-Millieu"

Mit den neuen Informationen sei festzuhalten, "dass sich in Eisenach ein hoch gefährliches Neonazi-Milieu herausgebildet hat. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten der 'Atomwaffendivision' muss man annehmen, dass man dort auch bereit ist, Drohungen gegen politische Gegner in die Tat umzusetzen." Akteure vor Ort, Opferberatung in Thüringen und ihre Fraktion warnten seit Jahren vor der Eskalation in Eisenach. "Ein entsprechendes und wahrnehmbares Reagieren der Sicherheitsbehörden in Eisenach ist bisher nicht feststellbar."


Es ist unklar, wie genau etwa der Thüringer Verfassungsschutz A. aus dem "Iron March"-Forum kennt. Personenbezogene Auskünfte dürfe man nicht geben, erklärt die Behörde auf Anfrage. Sie teilt aber mit: "Der Verfassungsschutz prüft, ob die AWD auch in Thüringen in Erscheinung getreten ist."

"Nationaler Aufbruch" erklärt Selbstauflösung

Update, 15. November: Kurz nach Erscheinen dieses Textes hat der "Nationale Aufbruch Eisenach" auf Facebook ohne Begründung seine sofortige Auflösung erklärt. Das betreffe auch alle Projekte. Zudem wurde eine Distanzierung im Instagram-Profil des Eisenachers veröffentlicht: "Egal, was die Presse behauptet, die AWD-Deutschland fand ich schon immer lächerlich und habe nie für diese Spastis gearbeitet." Welchen Zweck die Anfrage an die Verantwortlichen der amerikanischen "Atomwaffen Division" zu Details der Videos hatte, wird nicht beantwortet.

Katharina König-Preuss berichtete am Freitag in einer Pressemitteilung von Hinweisen, wonach der Eisenacher möglicherweise in Kiew am "National Socialist Black Metal"-Fest "Asgardsrei" teilgenommen hat, dem Verbindungen zur bewaffneten ukrainischen "Asow-" Miliz nachgesagt werden. Das könnte weitere Bezüge nach Thürungen bedeuten, da dort auch die Band "Absurd" um den als Mörder verurteilten Thüringer Neonazi Hendrik Möbus auf dem Programm stand. Möbus stand nach Recherchen der "Zeit" in Verbindung mit dem mutmaßlichen Mitglied der "Atomwaffen Division", das nicht nach Deutschland einreisen durfte.

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