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Corona-Impfstrategie: Warum impfen die Bundesländer unterschiedlich schnell?


Corona-Politik in der Krise
Deutschland, das Land der Impflotterie


Aktualisiert am 05.03.2021Lesedauer: 6 Min.
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Impfen in Deutschland: Bei der Quote steht Bremen mit 6,13 Prozent an Erstimpfungen deutschlandweit am besten da.Vergrößern des Bildes
Impfen in Deutschland: Bei der Quote steht Bremen mit 6,13 Prozent an Erstimpfungen deutschlandweit am besten da. (Quelle: Andreas Rentz/Getty Images)

Jedes Bundesland entscheidet selbst über die Strategie beim Impfen. Eine einheitliche Linie gibt es nicht. Das wird zunehmend zur Gefahr in der Pandemiebekämpfung.

Auf einer Impfkarte ist Bochum in diesen Tagen eine Insel. Nirgendwo in Nordrhein-Westfalen wird in einem Landkreis so schnell geimpft wie in der Stadt im Ruhrgebiet. 9.465 verabreichte Dosen pro 100.000 Einwohnern, das ist Rekord in der Region. Drumherum verabreichen die Landkreise das Vakzin deutlich langsamer, es sind viele helle Flecken auf der Karte im Vergleich zu dem einen schwarzen Punkt. Bochum ist eine einsame Insel.

Denn Nordrhein-Westfalen schneidet bei den Impfungen im Vergleich mit anderen Bundesländern schlecht ab. Bei den Erstimpfungen liegt es noch im Mittelfeld, aber besonders bei den Zweitimpfungen rutscht es noch weiter nach hinten: Lediglich 2,5 Prozent der Menschen sind in der Heimat von Armin Laschet vollständig geimpft.

Die Spitzenreiter in der Impfliste sind aktuell Berlin und Rheinland-Pfalz mit jeweils 3,4 Prozent vollständig Geimpften. Das ist durchaus bemerkenswert: Das größte deutsche Bundesland kommt nur zäh voran mit der Pandemiebekämpfung, wird unter anderem vom viel kleineren Rheinland-Pfalz überholt.

"Deutschland verliert seinen Nimbus als Organisationsweltmeister"

In der Corona-Pandemie ist der Föderalismus besonders deutlich an zwei Aspekten erkennbar: Beim Umgang mit den Schulen und bei den Impfungen. Oft wird die Schuld über die Langsamkeit beim Impfen der Bundeskanzlerin und ihrem Gesundheitsminister gegeben. Doch in Wahrheit einigte man sich schon im November darauf, dass die Zuständigkeit dafür bei den Ländern liegt. Lediglich für die Beschaffung der Vakzine ist der Bund zuständig.

Und die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind groß. Die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze kritisiert deshalb: "Deutschland verliert gerade seinen Nimbus als Organisationsweltmeister. In der Pandemie braucht es nicht nur Gründlichkeit, sondern auch Schnelligkeit."

Bislang wurden mehr als zehn Millionen Dosen der drei zugelassenen Impfstoffe nach Deutschland geliefert. Doch es wurden noch längst nicht alle Dosen verabreicht. Das Vakzin findet nur sehr langsam den Weg in die Oberarme der Menschen. So wächst sich die unterschiedliche Strategie der Länderfürsten beim Impfen zur gesundheitlichen Gefahr für die Deutschen aus.

Es sei, so hört man, eben alles nicht so einfach

Besonders deutlich zeigt sich der Kontrast zwischen NRW und Rheinland-Pfalz: Das ist besonders erstaunlich, weil die Kapazitäten im bevölkerungsreichsten Bundesland theoretisch viel größer sind als beim viel kleineren südlichen Nachbarn.

NRW kann nach eigenen Angaben derzeit 70.000 Menschen pro Tag impfen – bei rund 17,9 Millionen Einwohnern. Rheinland-Pfalz mit seinen 4 Millionen Einwohnern könnte nach eigenen Angaben derzeit 7.200 Impfungen täglich stemmen. Theoretisch hat NRW auf die Einwohner umgerechnet also mehr als doppelt so hohe Kapazitäten.

Spricht man mit den Verantwortlichen in Düsseldorf, warum es so schleppend vorangeht, hört man: Vor Ort müsse ja entschieden werden, ob die Person wirklich schon impfberechtigt und im richtigen Alter sei – und ob der entsprechende Impfstoff da überhaupt passe. Das sei eben nicht so einfach.

Im Februar mussten sogar Dutzende Impfwillige vom Impfzentrum in Hattingen ihren Heimweg wieder antreten. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärt im t-online-Interview dazu: "Es waren in einem gewissen Zeitraum zu viele Personen gleichzeitig für einzelne Termine eingebucht. Die mussten in der Tat vor dem Impfzentrum wieder umkehren." Der Grund dafür: Computerprobleme.

Impftermine absichtlich über längeren Zeitraum gestreckt

Um überhaupt einen Termin wahrnehmen zu können, ist Geduld gefragt. In NRW haben einige über 80-Jährige ihre erste Impfung erst im April. Laumann sagt dazu: "Wir konnten damals nur so viele Termine vergeben, wie zum damaligen Zeitpunkt Impfstoff zur Verfügung stand." Er wollte nur mit dem Impfstoff planen, der vor Ort bereits im Lager war. Jetzt wird Impfstoff nachgeliefert und die Kühlschränke in den Impfzentren füllen sich.

Zusätzlich wurde sogar das Impftempo in den Krankenhäusern absichtlich heruntergefahren. Denn teilweise fielen die Angestellten nach ihrer eigenen Impfung wegen der Nebenwirkungen länger aus.

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Daher streckte man die Impftermine über einen längeren Zeitraum – damit der Ausfall begrenzt wird. So wurde wertvolle Zeit verloren, denn eigentlich hatten diese Impfungen alle hohe Priorität: Im Januar wurde nur in Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern Vakzine verabreicht. Erst am 8. Februar wurden die 53 Impfzentren geöffnet.

"Keine langfristige Perspektive erkennbar"

Es hakt schon bei der Terminvergabe, es bleibt zudem reichlich Impfstoff liegen. Doch von der Idee, die Impfreihenfolge deshalb bei Astrazeneca aufzuheben und das Produkt für alle freizugeben, hält man im Kabinett von Ministerpräsident Armin Laschet nichts. Wichtiger sei, die richtigen Prioritäten einzuhalten, heißt es.

Die Opposition wirft Laschet und seinem Gesundheitsminister Laumann indes vor, dass Termine nicht kurzfristig vergeben werden. Das laufe in Rheinland-Pfalz erheblich besser, heißt es.

Der Chef der SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf, Thomas Kutschaty, sagt t-online: "Rheinland-Pflanz liegt im direkten Ländervergleich bei den Erst- und Zweitimpfungen vorne. Ich frage mich, ob die Landesregierung in NRW überhaupt eine wirkliche Impfstrategie hat. Bislang lässt sich kein stringenter Plan erkennen, keine langfristige Perspektive."

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Dass NRW die Kapazitäten deutlich schlechter ausschöpft als Rheinland-Pfalz, scheint auch daran zu liegen, dass man in dem kleineren Bundesland flexibler vorgeht. Dort wurde in einzelnen Gruppen bereits begonnen, Menschen der Prioritätsstufe 2 zu impfen. 5.915 Erstimpfungen haben etwa Bewohner und Betreuer in der Eingliederungshilfe bekommen. NRW hingegen beginnt jetzt erst, den Menschen in der Gruppe 2 nach und nach ein Impfangebot zu machen.

Zügige Impfung mit: Astrazeneca

Der Vize-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Generalsekretär der Bundes-FDP, Volker Wissing, erzählt vom praktischen Ablauf der Organisation der Termine: "Wir merkten am Anfang: Die Menschen wollten telefonisch nicht nur ihren Impftermin vereinbaren, sondern gleich noch über die generelle Corona-Strategie sprechen. Das war leider nicht möglich, da die Hotline dafür nicht entsprechend ausgelegt war. Es war wichtig, die Leitungen für die Vermittlungen von Impfterminen frei zu halten." Nach und nach habe man das den Mitarbeitern dann vermittelt, so Wissing. Jetzt läuft die Terminvergabe zügiger.

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Auch Polizisten und Mitarbeiter in Justizvollzugsanstalten werden in Rheinland-Pfalz schon geimpft. Sie müssen dafür nicht in die Impfzentren, und nehmen dort deshalb auch niemandem die Plätze weg, sondern werden in vier eigenen Impfstationen der Landespolizei und einer Station der JVA geimpft. Übrigens mit Astrazeneca.

1.761 Polizisten und JVA-Mitarbeiter haben schon eine Erstimpfung erhalten, von rund 13.000 insgesamt. Wissing sagt dazu: "Bei uns wurden in diesen Tagen in großer Stückzahl hunderte Polizisten mit Astrazeneca geimpft. Fast niemand lehnte den Impfstoff ab. Wir klären auf, dann ist die Bereitschaft zur Impfung auch sehr groß." Und in NRW? Dort sind die Polizisten erst ab dem 8. März dran.

Pech beim Wohnort, Pech bei der Impfung

Zwar haben auch die anderen Bundesländer nun angefangen, die Impfungen an die Prioritätengruppe 2 auszugeben. Doch in der Umsetzung gibt es deutliche Unterschiede. In Thüringen etwa wird Gruppe 2 erneut in drei Teile eingeteilt: Mediziner mit engem Patientenkontakt sowie Lehrer und Erzieher, die schnell das Vakzin erhalten.

Andere Gruppen wie Polizisten und Patienten mit Vorerkrankungen müssen sich vorerst noch gedulden. Anders sieht es beispielsweise in Bayern und Sachsen aus: Dort gibt es keine Binnendifferenzierung. Wer zur Gruppe 2 gehört, kann sofort einen Termin vereinbaren.

Der Vergleich der Bundesländer legt schonungslos offen, wie unterschiedlich gut die Länder durch die Krise kommen. Wie schnell man geimpft wird, hängt auch zu einem guten Teil davon ab, in welchem Bundesland man wohnt. Es wirkt wie eine Lotterie mit todernstem Los: Pech beim Wohnort, Pech bei der lebensrettenden Impfung.

Janosch Dahmen, ein Grünen-Gesundheitspolitiker im Bundestag, der kürzlich noch als Oberarzt beim Rettungsdienst Berlin gegen das Coronavirus kämpfte, sieht ein weiteres Problem: Die zentralistische Organisation des Impfens. "Bei dem Fokus auf die Impfzentren hat die Politik viele praktische Probleme außer Acht gelassen", sagt er. "Wie bekommt man die Leute schnell dorthin? Oder: Wie können meist fremde Ärzte in anonymen Hallen das Vertrauen der Menschen gewinnen?"

"Warum fangen wir nicht sofort an?"

Dahmen setzt sich aus diesen Gründen dafür ein, die Impfkampagne möglichst schnell in die Fläche zu tragen: zu den Haus- und Betriebsärzten. Hausärzte kennen ihre Patienten, haben also längst eine Vertrauensbasis. Und sie kennen auch ihre Vorerkrankungen, die für die Priorisierung beim Impfen wichtig sind.

Dass die Bund-Länder-Runde beschlossen hat, erst Ende März oder Anfang April die Haus- und Fachärzte in die Impfkampagne einzubinden, kann Dahmen deshalb nicht verstehen: "Warum fangen wir nicht sofort an?"

In Niedersachsen versucht der dortige Ministerpräsident Stefan Weil mit einem Pilotprojekt, die potenziellen Probleme beim Impfen durch Hausärzte zu erkunden. Eine zentrale Frage dabei ist noch immer offen: Wer soll eigentlich die Vakzine an die Praxen liefern? Die Apotheken oder die Impfzentren?

Das Argument jedenfalls, dass noch nicht genug Impfstoff für alle Arztpraxen zur Verfügung steht, lässt Grünen-Politiker Dahmen nicht gelten. Es spreche nichts dagegen, jetzt mit einigen Praxen anzufangen und das dann langsam zu steigern. "Wir müssen jetzt rennen, sonst verlieren wir gegen die Mutante."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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