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Energieökonomin: "Russland suchte die Abhängigkeit vom Gas"


Deutschlands Sonderweg
"Das machte uns fassungslos"

  • Jonas Mueller-Töwe
InterviewVon Jonas Mueller-Töwe

10.05.2022Lesedauer: 3 Min.
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Ein Bild der Einigkeit bei der Einweihung der ersten Nord-Stream-Pipeline: Sie erhöhte die Abhängigkeit vom russischen Gas.Vergrößern des Bildes
Ein Bild der Einigkeit bei der Einweihung der ersten Nord-Stream-Pipeline: Sie erhöhte die Abhängigkeit vom russischen Gas. (Quelle: ITAR-TASS/imago-images-bilder)

Deutschland hadert mit den Gaslieferungen aus Russland. Ein Importstopp scheint noch in weiter Ferne, bislang fließt Geld in Putins Kriegskasse. Eine Forscherin hat die Risiken vor vielen Jahren erkannt. Doch die Politik hörte nicht.

Die russische Invasion der Ukraine hat Deutschland – so scheint es – völlig überrascht. Europa ist abhängig von Rohstoffen aus Russland, was noch immer eine geschlossene Antwort auf die Aggression verhindert. Ob ein Gasembargo machbar ist, ist bei Experten umstritten. Bisher erhöhen sich monatlich die Einnahmen der russischen Staatskonzerne. Mit dem Geld federt der Kreml die Sanktionen ab, die ihn zum Rückzug bewegen sollen.

Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft Berlin (DIW) warnt seit Jahren vor der wachsenden Abhängigkeit. Im Interview schildert sie, wie Russland die Energielieferungen strategisch eingesetzt und die Abhängigkeit gesucht hat. Die deutsche Politik habe das über Jahre ignoriert.

t-online: Frau Kemfert, die deutsche Regierung strebt heute einen Stopp der Gas- und Ölimporte aus Russland an. Die Abhängigkeit von den Lieferungen macht das allerdings nicht so einfach. Viele sehen die Nord-Stream-Pipelines heute weitgehend sehr kritisch. Überrascht Sie das?

Claudia Kemfert: Angesichts der heutigen Entwicklung nicht. Wir haben allerdings schon vor dem Bau der ersten Pipeline durch die Ostsee eindringlich davor gewarnt. Man konnte bereits im Jahr 2006 kurz vor Nord Stream 1 ein Muster erkennen: Russland suchte die Abhängigkeit von den Gaslieferungen und setzte sie als politische Waffe ein. Wir haben das in einer Studie damals dargestellt und über die Jahre wurde das noch offensichtlicher.

Wie äußerte sich das?

Weiter durch politisch motivierte Lieferstopps in anderen Staaten, 2012 zum Beispiel in Südosteuropa. Die Pipeline selbst war gar nicht ausgelastet. Sie war also kein rein betriebswirtschaftliches Projekt, sondern auch ein strategisches. Heute wissen wir von den Knebelverträgen, die Zahlungen der deutschen Abnehmer weiter erzwingen sollen, auch wenn der Import gestoppt wird.

Deswegen haben Sie dann auch vor dem Bau der zweiten Pipeline gewarnt?

2014 haben wir in einer weiteren Studie einen großen Einfluss von Gazprom auf den deutschen und europäischen Markt festgestellt – beispielsweise durch die Veräußerung deutscher Gasspeicher an Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns. Das bedeutete hohe geopolitische Risiken, die mindestens eine Regulierung erforderlich gemacht hätten. Deutschland isolierte sich mit Nord Stream 2 in Europa völlig.

Konnten Sie die Argumente für Nord Stream 2 denn nachvollziehen?

Die Pipeline hatte nicht nur geopolitische Risiken, sondern lief auch den formulierten Klimazielen der Bundesregierung völlig entgegen. Wir hätten vor Jahren schon mehr erneuerbare Energie und eine Diversifizierung der Importe durch LNG-Terminals benötigt.

Stattdessen wurde bis vor Kurzem am Narrativ des Gases als "Brückentechnologie" festgehalten. Das war Mitte der 2000er-Jahre bei der ersten Pipeline vielleicht noch nachvollziehbar, spätestens 2014 bei der zweiten allerdings längst nicht mehr. Bis dahin hätte man viel weiter sein müssen.

Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat damals als Außenminister Warnungen abgebügelt. Alarmismus sei das, der "altem Denken" entspringe. Was haben Sie damals bei solchen Sätzen gedacht?

Fassungslos machte uns das. Wir haben nie verstanden, warum die Politik unsere Warnungen nicht nur negiert, sondern auch lächerlich gemacht hat. Schließlich gab es außerhalb Deutschlands ebenfalls große Kritik. Deutschland hat einen Sonderweg gewählt und alle begründeten Bedenken ausgeblendet. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für weite Teile der deutschen Forschung.

Was haben Sie als Grund für den Widerwillen in der Politik angenommen?

Wir vermuteten Verstrickungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Anders ist eigentlich nicht zu erklären, dass Deutschland auch bei der versuchten Regulierung durch die EU-Kommission 2014 weitergehende Maßnahmen blockierte. Wir sehen heute, dass diese Maßnahmen damals nicht weit genug gingen, um Gazproms Einfluss einzudämmen. Vor allem stark vom russischen Gas abhängige Staaten in Osteuropa wären damals sehr aufgeschlossen gewesen, mehr zu tun. Das ist an Deutschland gescheitert.

Verwendete Quellen
  • Telefon-Interview mit Claudia Kemfert am 29. April 2022
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