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NRW-Wahl: Hendrik Wüst – der Unverwüstliche


Landtagswahl in NRW
Der Unverwüstliche

Von Miriam Hollstein

Aktualisiert am 13.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Will Ministerpräsident von NRW bleiben: Hendrik Wüst (CDU), hier beim Besuch eines Recyclingunternehmens in Neuss.Vergrößern des Bildes
Will Ministerpräsident von NRW bleiben: Hendrik Wüst (CDU), hier beim Besuch eines Recyclingunternehmens in Neuss. (Quelle: Imago / Christoph Hardt)

Er ist das Comeback-Kid der deutschen Politik: Vor zwölf Jahren schien die Karriere von Hendrik Wüst vorbei zu sein. Trotzdem hat der CDU-Politiker bei der Landtagswahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen gute Chancen. Wie hat er das geschafft?

Für seine 46 Jahre hat Hendrik Wüst schon fast alles mitgenommen, was man so im Laufe einer politischen Karriere erleben kann: angefangen vom steilen Aufstieg über Skandal und Absturz bis hin zum Comeback.

Genau deshalb weiß Wüst auch, was entscheidend ist: das, was schließlich herauskommt. Wie das aussieht, wird sich am kommenden Sonntag zeigen. Dann können rund 13 Millionen Wahlberechtigte in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland entscheiden, ob sie den schlaksigen Juristen als Ministerpräsidenten behalten wollen. Oder seinem Herausforderer, dem SPD-Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty, den Vorzug geben.

Seit Oktober regiert Wüst Nordrhein-Westfalen, ohne von den Menschen gewählt worden zu sein. Er folgte damals auf Armin Laschet, der nach der verlorenen Bundestagswahl vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktrat. Im Landtag erhielt Wüst, bis dahin Verkehrsminister, 103 von 199 Stimmen – drei mehr als die schwarz-gelbe Koalition hat. Es war ein guter Start. Aber Wüst war erst einmal ein Landesvater auf Probezeit.

Das ist die größte Gefahr für Wüst

Den Geschmack des echten Sieges hat er am vergangenen Montag schon einmal probieren können. Da reiste Wüst extra in die Zentrale der Bundespartei nach Berlin, um sich neben dem strahlenden Wahlgewinner von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, zu zeigen. In der Hoffnung, dessen Aura möge ein wenig auch auf ihn abstrahlen.

In den Umfragen liegt die CDU knapp vor der SPD. Trotzdem könnte es eng werden, denn der bisherige Koalitionspartner, die FDP, schwächelt. Verglichen mit der letzten Wahl könnte sie fast die Hälfte der Stimmen verlieren.

Die Grünen dürften ihr letztes Ergebnis hingegen mehr als verdoppeln. Und hier liegt die Gefahr für Wüst: Kämen SPD und Grüne gemeinsam auf eine Mehrheit, könnte die Klimapartei versucht sein, eher mit den Sozialdemokraten zu koalieren. Spitzenkandidatin Mona Neubaur betont denn auch gern, mit beiden Konkurrenten von SPD und CDU ein gutes Verhältnis zu pflegen.

Allerdings gibt es wenig Zweifel in Nordrhein-Westfalen, dass Wüst den Grünen bei Koalitionsverhandlungen weit entgegenkommen würde – etwa wenn es darum ginge, Schwarz-Grün oder eine Jamaika-Koalition mit der FDP zu verhandeln.

Die "Rent-a-Rüttgers"-Affäre kostete ihn zunächst alles

Das Image des jungen strammen Konservativen, der in der Jungen Union Karriere machte, 2005 als damals jüngster Abgeordneter in den Landtag einzog, mit 31 Generalsekretär der NRW-CDU wurde und sich als politischer Wadenbeißer einen Ruf machte, hat Wüst schon länger hinter sich gelassen. Das hat auch mit dem Absturz zu tun, den er 2010 erlebte.

Damals wurde kurz vor der Landtagswahl bekannt, dass Firmen angeboten worden war, für einen CDU-Landesparteitag nicht nur eine Werbefläche, sondern auch Kontakt zu Kabinettsmitgliedern oder einen Platz am VIP-Tisch des damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers zu erwerben. Die Affäre bekam den Spottnamen "Rent-a-Rüttgers". Der Vorwurf der illegalen Parteienspende stand im Raum. Gehen musste dafür der Generalsekretär. Die meisten hielten ihn damals für das "Bauernopfer".

Laschet gab ihm ein schwieriges Amt

Dennoch galt die Nachwuchshoffnung als erledigt. Doch Wüst zog sich nicht in einen Schmollwinkel zurück. Er wurde Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Landesverbands der Deutschen Zeitungsverleger und hielt den Kontakt zur Politik – über sein Landtagsmandat, das er trotz seines Rücktritts mit mehr als 49 Prozent der Stimmen wiedergewonnen hatte.

Zudem knüpfte er ab 2013 als Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion ein stabiles Netzwerk. So stabil, dass Armin Laschet, als er 2017 Ministerpräsident in NRW wurde, an Wüst schon nicht mehr vorbeikam. Er machte ihn zum Verkehrsminister, wohlwissend, dass dies in dem staugeplagten Bundesland eines der schwierigsten Ministerämter ist.

Doch auch hier zeigte sich Wüst robust, diszipliniert und gut organisiert. Zugleich ließ er nie Zweifel an seiner Loyalität zum Ministerpräsidenten aufkommen, obwohl ihn mit diesem nie eine besonders herzliche Beziehung verband. Als Laschet gegen Friedrich Merz um den CDU-Bundesvorsitz antrat, sorgte Wüst dafür, dass auch die Kritiker im NRW-Wirtschaftsflügel sich hinter dem Ministerpräsidenten versammelten.

Dass er selbst schließlich zum Laschet-Nachfolger wurde, hat er aber noch einer anderen Tatsache zu verdanken: Laut NRW-Verfassung muss der Ministerpräsident auch Mitglied des Landtags sein. Das waren andere potenzielle Anwärter wie etwa Bauministerin Ina Scharrenbach nicht.

Als Ministerpräsident hat Wüst die letzten Reste politischen Ungestüms hinter sich gelassen. Auch rhetorisch. Auf das "konservative Manifest", das er 2007 unter anderem mit den Unionskollegen Markus Söder, Philipp Mißfelder und Stefan Mappus verfasste und in dem eine Stärkung der bürgerlich-konservativen Wurzel der Partei gefordert wird, möchte er heute nur noch ungern angesprochen werden. Schnee von gestern. Ebenso wie seine Forderung als Generalsekretär, "Killerspiele" zu verbieten und Arbeitslose Spielplätze von Hundekot und Drogenspritzen reinigen zu lassen.

In der Corona-Krise im "Team Vorsicht"

In der Corona-Krise vertrat er in der Runde der Ministerpräsidenten klarere Positionen als sein Vorgänger und war vorsichtiger als andere. So sprach sich Wüst für eine allgemeine Impfpflicht aus. Rhetorisch tut er sich trotz der langen Erfahrung mitunter schwer. Wegbegleiter sagen, dass er im persönlichen Kontakt meist freundlich und charmant sei. Bei öffentlichen Auftritten entfaltet sich sein Charisma nur begrenzt.

Auch Armin Laschet zündete keine rhetorischen Feuerwerke. Aber der Rheinländer konnte eine leutselige Fröhlichkeit entwickeln. Im Vergleich wirkt der gebürtige Westfale Wüst deutlich technokratischer. Daran ändern auch die Bilder von ihm als lässigem Radfahrer nicht viel – eine Leidenschaft, die er sich aus seiner Studienzeit in der Fahrradstadt Münster bewahrt hat.

Mit 16 machte er den Jagdschein

Für ein anderes Hobby hat er keine Zeit mehr: die Jagd. Mit 16 machte er den Jagdschein. Er sei da hineingewachsen, sagt er heute etwas ausweichend, wenn man ihn nach der Faszination der Jagd fragt. Die Mutter, die er früh verlor, war selbst passionierte Jägerin, ebenso der Vater. Wüst ist ein Familienmensch. Vor 13 Monaten ist er Vater einer Tochter geworden und schwärmt von dieser neuen Aufgabe. "Die erste Stunde des Tages gehört meiner Tochter", sagt er im Gespräch mit t-online: "Ich hole sie aus dem Bett, wechsle die Windel und füttere sie mit dem Fläschchen. Wir starten quasi gemeinsam in den Tag. Das genieße ich sehr."

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Wird er wieder gewählt, wird es wohl noch weniger Zeit für die Familie geben. Denn leicht würde eine zweite Amtszeit für ihn nicht. Für die Schulpolitik der schwarz-gelben Koalition gibt es in Umfragen regelmäßig schlechte Noten – über 8000 Personalstellen sind unbesetzt, nirgends sind die Pro-Kopf-Investitionen in Bildung geringer, mit der Digitalisierung läuft es schleppend. Auch die Energiewende ist für das Kohleland NRW eine größere Herausforderung als für andere Bundesländer. Bei den Verkehrsproblemen ("Stauland Nummer eins") hat Wüst den Vorteil, mit der Materie inzwischen vertraut zu sein.

Bis heute wirkt auch noch die Flutkatastrophe nach. Viele Betroffene warten immer noch auf die versprochene Hilfe. Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) musste zurücktreten, weil sie kurz nach der Katastrophe zu einer Familienfeier nach Mallorca reiste.

Dass Hendrik Wüst eine solche Erfahrung schon viel früher gemacht hat, kommt ihm jetzt zugute. Er war alt genug, um dazulernen zu können. Und jung genug, um ein Comeback zu schaffen. Und diese Erfahrung könnte auch helfen, wenn es am Sonntag doch schiefgehen sollte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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