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Zum Tod von Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel: Er wusste viel und vergaß nichts


Zum Tod des früheren Parteichefs
Hans-Jochen Vogel gab der SPD, was sie brauchte

MeinungEin Nachruf von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 26.07.2020Lesedauer: 3 Min.
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Hans-Jochen Vogel im Jahr 2016: Er war der Inbegriff der Verlässlichkeit.Vergrößern des Bildes
Hans-Jochen Vogel im Jahr 2016: Er war der Inbegriff der Verlässlichkeit. (Quelle: Andreas Gebert/dpa)

Der ehemalige Parteichef der Sozialdemokraten, Hans-Jochen Vogel, ist im Alter von 94 Jahren gestorben. Unerfreuliche Spitznamen hafteten ihm an. Zu Unrecht. Er war der Inbegriff der Verlässlichkeit.

In den alten Bonner Tagen, in die Hans-Jochen Vogel gehörte, war es Sitte und Brauch, dass prominente Politiker einmal in der Woche zum Frühstück einluden. Sie erzählten dann, was ihnen durch den Kopf ging und uns durch den Kopf gehen sollte. Es ging launig zu und lässig. Eine Art Fraternisieren, wie es zu Bonn gehörte, im Guten wie im Schlechten.

Hans-Jochen Vogel lud nicht um 9 Uhr zum Frühstück, sondern um 7 Uhr. Er war wach und sah immer rosig aus, wie Menschen aussehen, die ihr Gemüt unter Kontrolle halten müssen. Er fraternisierte nicht. Er teilte mit. Er trug vor.

Er war der Minister, verlangte uns ein gewisses Maß an Ehrerbietung ab. Ich war ein junger Journalist, beeindruckbar, und dieser strenge Mann dort vorne, der lange redete und sich ungern unterbrechen ließ, und wenn es doch einer von uns wagte, eine nicht ganz durchdachte Frage zu stellen, seine Antwort mit einem ungeduldigen "Entschuldigung" einleitete – dieser Mann hatte es nicht leicht mit sich selber und machte es uns nicht leicht mit ihm.

Er wusste viel und vergaß nichts

Er wusste viel und vergaß nichts. Mir passierte es, dass er mich nach einem halben Jahr auf eine Bemerkung ansprach, die ich über die CSU in meiner Heimatstadt Hof gemacht hatte und die ich längst vergessen hatte. Er sagte mir, ich hätte Recht gehabt und er nicht. Selten war ich so verblüfft und darauf bedacht, cool zu wirken, wie in dieser Situation, um mir bloß nicht anmerken zu lassen, dass ich nicht wusste, wovon er sprach.

Verzeihen war nicht seine Sache. Von Johannes Rau, der fünf Jahre jünger war, ist der schöne selbstkritische Satz überliefert: Ich bin nicht nachtragend, ich vergesse nur nichts. Hans-Jochen Vogel blieb diese Art Selbstironie fremd, selbst wenn er sie nachahmte. Unerfreuliche Spitznamen hafteten ihm wie Pech an: Oberlehrer. Oberdezernent. Klarsichthülle. Natürlich steckte darin ein Gran Wahrheit. Vogel dozierte. Vogel wusste besser. Aber zugleich waren diese Spitznamen ungerecht.

Vogel war nicht einmal mit 34 Jahren jung

Es stimmt, Vogel wirkte nie besonders jung, nicht einmal als junger Oberbürgermeister in München, gerade einmal 34 Jahre alt, doch war er, worauf es ankam: reif und dem Amt mehr als gewachsen. Ob später Minister der Justiz oder Raumordnung, er wusste Bescheid, er war vorbereitet, er hielt klar komponierte Reden im Bundestag und außerhalb.

Zuerst und zuletzt war Hans-Jochen Vogel ein Sozialdemokrat, wie sie sonst nur im Bilderbuch stehen. 1950 trat er in die Partei ein und nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, irgendwelche Nachfolger wegwerfend zu kritisieren, wie es für die nächste Generation gang und gäbe wurde, siehe Peer Steinbrück oder Sigmar Gabriel. Vogel fragte sich nicht, was die Partei ihm geben konnte. Er gab der Partei, was sie brauchte. Minister war er bei Willy Brandt und bei Helmut Schmidt. Sie waren die Älteren, ihnen stand Autorität zu, ebenso wie Herbert Wehner, dem er sich nahe fühlte. Als die Älteren ihr Werk verrichtet hatten, musste er ran.

Er war der Inbegriff der Verlässlichkeit

Das war 1983, Helmut Kohl hatte Schmidt abgelöst, die Wahl war nicht zu gewinnen, aber Hans-Jochen Vogel rackerte und mühte sich und verlangte sich viel ab. Er tat sein Bestes, was man von späteren Spitzenkandidaten nicht unbedingt sagen kann. Übrigens landete die SPD im Jahr 1983 unter Vogel bei 38,2 Prozent. 38,2 Prozent!

Für mich war Vogel der Inbegriff der Verlässlichkeit. Ein Solitär in der SPD, aus bürgerlicher Familie. Neben ihm gab es ja immer auch den kleinen Bruder Bernhard, der in der CDU daheim war, wie seltsam, aber vielleicht ganz einfach zu verstehen, weil der große Bruder schon in der SPD war und der kleine Bruder sich unterscheiden wollte. Gemeinsam ist ihnen die tiefenscharfe Bildung und die Einstellung zur Politik als einer Arena, in der Gemeinsinn herrschen soll und nicht Engstirnigkeit, in der das Gemeinwohl demokratisch verhandelt wird und blanke Ideologie keinen Platz findet.

Als er alt wurde, zog sich Hans-Jochen Vogel wie ein Indianer zurück. Seit dem Jahr 2006 lebte er mit seiner zweiten Frau Liselotte in einer Seniorenresidenz in München. Sie wollten niemandem zur Last fallen. Sie hatten sich, darauf kam es an. 2014 machte er öffentlich, dass er unter Parkinson litt. Vielleicht sollten wir Hans-Jochen Vogel so in Erinnerung behalten: Als einen, der das Richtige anstrebte und tat.

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