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Tagesanbruch: Klimawandel – Unsere Kinder werden uns verfluchen


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

18.01.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Demonstrantin in Brüssel.Vergrößern des Bildes
Demonstrantin in Brüssel. (Quelle: Geert Vanden Wijngaert/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

In London verbeißen sich die Politiker in Nationalstaatskonzepte von gestern, in Zürich debattieren Vordenker über die Welt von morgen. Also bin ich lieber nach Zürich geflogen. Auf dem World Web Forum, einer der interessantesten Digitalkonferenzen dieses Jahres, erklären Wissenschaftler, Analysten, Künstler und Software-Tüftler, wohin die technologischen Innovationen uns führen werden. Da kann einem schnell schwindelig werden, aber wer auf dem Boden bleibt, lernt in wenigen Stunden mehr als sonst in Monaten. Zum Beispiel von Stephan Sigrist. Der Schweizer Biochemiker hat den Think Tank W.I.R.E. gegründet und beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen der Digitalisierung für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Unser Gespräch habe ich mitgeschrieben, damit Sie auch etwas davon haben:

Harms: Herr Sigrist, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Industrie 4.0 und Disruption sind die Schlagworte der Stunde. Vielen Menschen ist aber gar nicht klar, was dahintersteckt.

Sigrist: Ja, weil der Umgang der meisten Menschen mit den technologischen Entwicklungen zu einseitig ist: Entweder reagieren sie euphorisch und nehmen die Versprechungen von Digitalkonzernen kritiklos hin. Oder sie entwickeln übertriebene Ängste und betrachten einzelne Phänomene als Belege für die vermeintlichen Gefahren der Digitalisierung. Vor allem in Deutschland fallen mir solche Ängste auf.

Wo genau?

Beispielsweise wenn in Talkshows unwidersprochen behauptet wird, die Digitalisierung vernichte zigtausend Arbeitsplätze. So einfach ist es nicht, aber vielen fehlt offenbar das kritische Bewusstsein, solche Annahmen zu hinterfragen. Die Folgen für die Arbeitswelt werden vermutlich in vielen Berufen gar nicht so radikal sein; außerdem werden auch viele neue Jobs entstehen. Weiterbildung wird deshalb immer wichtiger – darüber müssen wir reden! Wir brauchen einen differenzierten Umgang mit der Digitaltechnologie.

Wie stellen Sie sich diesen vor?

Jeder Bürger sollte sich Zeit nehmen und genauer hinschauen. Wo genau kann zum Beispiel die Blockchain-Technologie tatsächlich einen Mehrwert liefern, wo nicht? Lohnt es sich wirklich, dafür gigantische Mengen an Strom zu verbrauchen? Möglicherweise nur bei hochkomplexen Sicherheitsanwendungen wie etwa Finanztransaktionen – aber vielleicht nicht im Alltagsleben der meisten Menschen. Die Digitalisierung verändert die Welt, aber wir sollten im Umgang mit ihr unseren gesunden Menschenverstand nicht ausschalten.

Sie meinen wirklich, dass wir als Bürger die Pflicht haben, uns mit den digitalen Technologien auseinanderzusetzen?

Ja, unbedingt. Es geht nicht darum, dass wir jetzt alle Programmieren lernen müssen, aber um ein kritisches Bewusstsein. Und wir sollten sowohl von unseren Regierungen als auch von den Unternehmen verlangen, dass sie noch viel systematischer überlegen, wie wir mit den Folgen der Digitalisierung umgehen. Denn Innovation hat immer auch eine gesellschaftliche Komponente. Die Antwort auf die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert war der Aufbau der Sozialsysteme. An einer ähnlichen Wegmarke stehen wir heute wieder.

Sollten also die Regierungen die technologischen Prozesse stärker steuern als bisher?

Nein, sonst sind wir schnell in einem totalitären Überwachungssystem wie in China. Aber die Regierungen sollten Frühwarnsysteme entwickeln, also schon beim Aufkommen einer neuen Technologie sofort überlegen, ob diese relevant für Bürger und Staat werden kann – welche Chancen, aber auch welche Risiken sie birgt. Gegenwärtig reagiert die Politik meist erst dann, wenn eine Technologie sich bereits durchgesetzt hat. Das ist zu spät. So reagiert sie nur, statt zu gestalten.

Könnte die Antwort auf eine neue Technologie – wie beispielsweise vernetzte Kleidungsstücke oder Küchengeräte – auch sein, dass wir diese gar nicht brauchen?

Selbstverständlich. Wir sollten uns genauer überlegen, welche Innovationen unser Leben wirklich erleichtern. Tun wir das, bleiben gar nicht so viele übrig.

Und manche sind womöglich tatsächlich gefährlich.

Ja, und das hat Folgen. Wenn sich Daten in Sekundenbruchteilen kopieren und sogar Videobilder so manipulieren lassen, dass man die Veränderung nicht erkennt, wird Vertrauen zur entscheidenden Ressource im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Das könnte dazu führen, dass Beziehungen zwischen Menschen in Zukunft wieder wichtiger werden als die permanente Beschäftigung mit Smartphone und Computern. Wir können uns in wenigen Sekunden ein Bild eines anderen Menschen machen, indem wir ihm ins Gesicht schauen und mit ihm sprechen. Selbst mit den intelligentesten Algorithmen wird das bei einer Maschine noch sehr lange nicht möglich sein.

Beruhigt Sie das?

Es ist Anlass dazu, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie wir das Vertrauen in der Gesellschaft künftig stärken können.

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WAS STEHT AN?

Greta Thunberg ist erst 16 Jahre alt, aber schon jetzt eine weltberühmte Revolutionärin. Warum? Weil sie die Schule schwänzt. Nicht, weil sie keinen Bock auf Mathe und Bio hat, sondern weil sie was zu sagen hat: Die schwedische Schülerin protestiert gegen die Untätigkeit der Regierungen im Kampf gegen die Klimakrise. Erst wurde sie belächelt, dann geachtet, heute wird sie gefürchtet. Ihre dreieinhalbminütige Ansprache auf der Klimakonferenz in Katowice Anfang Dezember (hier das Video) hat das Zeug zum Manifest einer ganzen Generation.

Einer Generation, die es satt hat, dass ihre Eltern und Großeltern in Saus und Braus leben, aber eine zerstörte Umwelt hinterlassen. Eine Generation, die die Geduld verloren hat und nicht mehr bereit ist, darauf zu warten, dass Regierungen sich im Schneckentempo zu winzigen Zugeständnissen beim Klimaschutz durchringen, statt auf radikale Herausforderungen endlich mit radikalen Maßnahmen zu reagieren. "Ich will Gerechtigkeit in der Klimafrage und einen Planeten, auf dem wir leben können", wettert Thunberg – und findet immer mehr Unterstützer. Schon Zehntausende Schüler weltweit haben sich ihr angeschlossen. 12.000 zogen gestern durch Brüssel; ein Video zeigt ihren Furor.

Jetzt schwappt die Bewegung auch nach Deutschland. Unter dem Motto "Fridays For Future" wollen heute Schüler in 50 Städten für einen entschiedeneren Klimaschutz demonstrieren (hier die Orte und Uhrzeiten). Denn auch Deutschland könnte viel mehr für den Klimaschutz tun: sofort aus der Kohleförderung aussteigen, in allen Städten den öffentlichen Nahverkehr und Radwege ausbauen, Flugreisen und Schiffsdiesel höher besteuern, Entwicklungsländer mit moderner Technologie unterstützen, alle politischen Entscheidungen unter das klare Ziel stellen, den Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, und, und, und ...

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Die Regierungen vieler Länder schauten auf Deutschland, erzählte mir kürzlich ein Diplomat: Solange die Bundesregierung nicht mehr tue, seien sie auch nicht zu größerem Engagement bereit. Dabei könne Deutschland die Führungsrolle im Kampf gegen die Klimakrise übernehmen, aber die Merkel-Regierung sei dazu offenkundig nicht in der Lage. "Bei der Klimapolitik geht es nicht um 'kommende Generationen', sondern darum, einen Generationenkonflikt zu vermeiden, gegen den die 68er-Revolte ein Kindergeburtstag war – wenn nämlich die Jüngeren feststellen, was wir ihnen aus Bequemlichkeit aufgebürdet haben", schrieb kürzlich der "Zeit"-Kollege Bernd Ulrich.

Jetzt scheinen sie es festgestellt zu haben. Und Greta Thunberg trägt die Fahne der Revolte.

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Erna Langer ist eine Jahrhundertzeugin, im wahrsten Sinne des Wortes. Als sie am 3. November 1918 geboren wurde, herrschte Kaiser Wilhelm II., an den Fronten des Ersten Weltkriegs wurde noch gekämpft. Kurze Zeit nach Erna Langer erblickte eine wichtige demokratische Errungenschaft das Licht der Welt: das Frauenwahlrecht in Deutschland. Eingeführt vom Rat der Volksbeauftragten im Zuge der Novemberrevolution. Morgen vor genau 100 Jahren durften dann Frauen zum ersten Mal in der Geschichte das nationale Parlament mit wählen. Meine Kollegen Marc von Lüpke, Franziska von Kempis und Arno Wölk haben Frau Langer aus diesem Anlass getroffen – und hingen an den Lippen der 100-Jährigen. Sie berichtete ihnen von der Benachteiligung der Frauen damals und heute, vom Nationalsozialismus und der DDR, aus der sie vor dem Mauerbau flüchtete. Zum Abschluss verriet sie ein Geheimnis: Wie man das stolze Lebensalter von 100 Jahren erreichen kann. Also schauen Sie schnell in das Interview meiner Kollegen hinein!

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Und sonst?

  • Bundespräsident Steinmeier, Bundestagspräsident Schäuble und Kanzlerin Merkel empfangen heute Italiens Präsidenten Sergio Mattarella.
  • Der Bundestag stimmt über die Einstufung von Georgien, Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten ab. So sollen Anträge von Asylbewerbern schneller entschieden und Abschiebungen beschleunigt werden.
  • In Wiesbaden konstituiert sich der neue hessische Landtag und wählt wohl Volker Bouffier (CDU) wieder zum Ministerpräsidenten.
  • Außenminister Heiko Maas (SPD) spricht in Moskau mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow über die Krisen in Syrien und der Ukraine.
  • Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verhandelt in Peking mit den Chinesen über eine engere Kooperation in Finanzfragen.

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WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Auch wenn man es ihm nicht ansieht: Samuel L. Jackson ist im Dezember 70 Jahre alt geworden. "Das Beste an meinem Alter ist, dass ich weiß, dass die Zeiten mal anders waren", sagte der Hollywoodstar, den Sie bestimmt in "Pulp Fiction" gesehen haben, meiner Kollegin Janna Specken während eines Interviews in London. Wie 30 fühle er sich zwar nicht mehr. Kraft genug, um erneut in eine Rolle zu schlüpfen, die er bereits vor 18 Jahren verkörperte, hat er dennoch. Meine Kollegen Philip Friedrichs und Axel Krüger haben das Interview zusammengefasst.

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Viele Leserinnen und Leser des Tagesanbruchs haben auf den Artikel reagiert, den ich am Mittwoch an dieser Stelle empfohlen habe. Darin beschreibt der Kollege Hannes Grassegger, wie gewissenlose Politikberater ihre Gegner fertigmachen und Wahlen beeinflussen. Wie das denn in Deutschland sei, werde ich gefragt. Einen Fall wie die Verleumdung des Multimilliardärs George Soros mag es hierzulande zwar noch nicht gegeben haben, aber auch hier ziehen Kampagnenmanager und Populisten an den Strippen – und manchmal wird ihnen dies allzu leicht gemacht. Dieses Interview aus der "Süddeutschen Zeitung" ist zwar schon sechs Wochen alt, aber immer noch lesenswert: Woran krankt Deutschland?

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WAS AMÜSIERT MICH?

Kinderbilder sind niedlich: breit grinsende Elefanten, Autos mit Feuerantrieb, sowas. Dafür tätscheln wir den Kleinen gern den Kopf, brummen "hübsch, hübsch" und spendieren vielleicht eine Kugel Eis. Aber wie wäre es eigentlich, würde man diese Fantasiegebilde nachbauen? Ein Vater hat es versucht. Am Computer. Aber die Ergebnisse sind trotzdem entzückend.

Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Freitag und dann ein schönes Wochenende.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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