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Tagesanbruch: Istanbul-Wahl – alle Macht dem Sultan


Was heute wichtig ist
Der Sultan nimmt die Demokratie ins Visier

MeinungFlorian Harms

Aktualisiert am 07.05.2019Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Präsident Erdogan im Wahlkampf.Vergrößern des Bildes
Präsident Erdogan im Wahlkampf. (Quelle: ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Türkei ist ein großartiges Land, aber ihr politisches System hat unter Recep Tayyip Erdogan Züge einer Autokratie angenommen. Der Präsident geriert sich als Sultan, duldet keinen Widerspruch und erst recht keine Risse in seiner Allmacht. Umso heftiger muss ihn die Wunde geschmerzt haben, die ihm die Bürger Istanbuls bei den Kommunalwahlen Ende März zufügten: Ein Vierteljahrhundert lang war die Metropole von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert worden, zuletzt von seiner AKP-Partei. Erdogan selbst regierte Istanbul – aber nun schnappte sich ein Oppositionspolitiker von der CHP-Partei den Sieg. Gerade mal 24.000 Stimmen betrug dessen Vorsprung, nach einer Neuauszählung nur noch 15.000 Stimmen. Aber Mehrheit ist Mehrheit, so ist das in einer Demokratie.

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Aber eben nicht in einer Autokratie. Gestern hat die türkische Wahlkommission die Abstimmung in Istanbul annulliert und eine Wiederholung angeordnet. Der Grund: Erdogan und seine AKP finden, die Wahl sei "regelwidrig" abgelaufen. Selbstverständlich haben sie damit recht. In einem Land, in dem der Sultan über allem steht und seine Macht von niemandem infrage gestellt werden darf, müssen seine Gefolgsleute selbstverständlich auch die größte Stadt beherrschen. Logisch. Nur mit Demokratie hat das dann nicht mehr viel zu tun. Das merken auch Investoren:Prompt verlor die kriselnde Lira noch mehr an Wert. Der Sultan nimmt das in Kauf, aber die einfachen Bürger trifft es hart. Sie demonstrieren seit Stunden, indem sie mit Kochlöffeln auf Töpfe schlagen. Bittere Töne in einem großartigen Land.


WAS STEHT AN?

Die Briten geben sich große Mühe, uns Kopfschmerzen zu bereiten. Seit Monaten malträtieren sie unsere Nerven mit ihrem Brexit-Hickhack, noch eine Abstimmung hier, noch eine Fristverlängerung da und dann noch eine und noch eine. It’s a headache! Heute werden sich die regierenden Konservativen und die Oppositionspartei Labour erneut zusammensetzen, um eine Lösung für den Streit zu suchen. Finden werden sie sie wohl nicht. Falls sie die EU aber nicht bis zum 31. Mai verlassen, müssen sie die Europawahl mitmachen, die dann zu einer Generalabrechnung mit der Politik ausarten dürfte, wie mein Kollege Stefan Rook analysiert.

Tja, die Briten. "Die Spinnen", sagt der dicke Gallier, und manchmal ertappe ich mich beim beflissenen Nicken. Von der Insel kommen nur Narretei und Chaos. Aber dann schenke ich mir einen Gin Tonic ein – und weiß schon nach dem zweiten Schluck: Alles nicht so schlimm. Im Gegenteil. Die Briten sind ein großartiges Völkchen, das nicht nur großartige Getränke, sondern uns auch einiges voraus hat. Die Monarchie (zum Beispiel). Die konstitutionelle (zum Glück). Eilmeldungen, Liveticker, Fotografenrummel, ein ganzes Land im Jubeltaumel, weil ein Baby geboren wurde: Könnten Sie sich sowas hierzulande vorstellen? Eben. Um ein Quäntchen dieser Euphorie mitzuerleben, müssen wir notgedrungen und ein wenig neidisch auf die Insel rüberschielen und hoffen, dass ein bisschen royaler Glanz von Harry, Meghan und ihrem Nachwuchs auch in unsere dunklen deutschen Stuben fällt.

Heute aber, meine lieben deutschen Leserinnen und Leser, ist auch uns ganz, ganz viel Prinzenpracht vergönnt: Der britische Thronfolger! Prinz! Charles! und seine Gattin Camilla beginnen eine mehrtägige Deutschlandreise. Nachmittags schlendern sie durchs Brandenburger Tor, abends schmeißt Bundespräsident Steinmeier zu ihren Ehren eine Queen's Birthday Party. Ich bin sicher: Da wird der eine oder andere Gin Tonic serviert – und zack! sind die politischen Kopfschmerzen weg. Großartig, diese Briten.


Es ist noch gar nicht so lange her und fühlt sich dennoch an wie eine Ewigkeit: der Tag vor noch nicht einmal zweieinhalb Jahren, an dem Donald Trump, ein windiger Immobilienmogul mit ausgeprägtem Hang zu Angeberei, das Amt als Präsident der Vereinigten Staaten antrat. In den Wochen seit der Wahl hatte die Bundesregierung händeringend versucht, einen Draht zum Team des Überraschungssiegers aufzubauen. Heute nun ist Trumps Außenminister Mike Pompeo in Berlin zu Gast, die Atmosphäre kühl, die Liste kontroverser Themen lang. Die Suche nach einem guten Draht ist, wie wir inzwischen wissen, nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

Noch viel schwerer tun sich allerdings Trumps Widersacher im amerikanischen Kongress. Trotz Erfolgen an der Wahlurne ist es noch lange nicht ausgemacht, dass die Demokraten den Mann mit der Föhnfrisur aus dem Weißen Haus werden vertreiben können. Selbst an seinem Personal beißen sie sich die Zähne aus. Justizminister William Barr hat den Kongress über seinen Austausch mit Sonderermittler Mueller belogen und bei Befragungen immer wieder eine erbärmliche Figur gemacht. Dennoch: Als ein Senator von ihm verlangte, die Unterlagen zum Gespräch mit Mueller herauszugeben, ließ sich der Minister nur zu einem trockenen "Nein" herab. Warum nicht? "Warum", so Barr, "sollten Sie sie haben?"

Der Wortwechsel bringt das Dilemma im Umgang mit dieser Administration auf den Punkt. Auf die Kaltschnäuzigkeit Trumps und seines Teams gibt es keine geeignete Antwort unterhalb der Anwendung von Zwangsmitteln. Doch auch die US-Verfassung mit ihren vielen "Checks and Balances", Kontrollinstanzen und Gegengewichten, ist auf einen solchen Stil der Auseinandersetzung nicht zugeschnitten. Die Demokraten streben nun ein Verfahren an, das Barr wegen Missachtung des Kongresses zur Rechenschaft zieht. Doch die Hürden sind hoch, der Ausgang ist offen, und selbst im für die Demokraten günstigsten Fall wird sich der Vorgang sehr langwierig gestalten.

Für Deutschland und die Welt ist das politische und juristische Gezerre in Washington ein Spiegel, in dem man sich wiedererkennen kann: Internationale Zusammenarbeit lässt sich nur sehr begrenzt erzwingen. Wenn die Regierung einer Supermacht sich zum bedingungslosen Ausreizen ihrer Möglichkeiten entschließt, kann man eigentlich nur noch auf Zeit spielen. Für die Demokraten in den USA heißt das: Warten auf den Wahltag. Und für die Berliner Gastgeber von Herrn Pompeo heißt es: genau dasselbe.

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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker findet Pressekonferenzen doof. Heute macht er eine Ausnahme, um uns mit einer Bilanz seiner Amtszeit zu beehren. Die kann sich in jeder Hinsicht sehen lassen – politisch, kommunikativ und lukullisch. Heute Abend duellieren sich dann die beiden Spitzenkandidaten für seine Nachfolge, der Deutsche Manfred Weber und der Holländer Frans Timmermans, im deutschen Fernsehen. Als überzeugte Europäer werden Sie sich das selbstverständlich nicht entgehen lassen. Selbst wenn Sie ahnen, dass am Ende womöglich keiner von beiden den Job bekommt. Sondern Herr Barnier.


Krieg, Terror, Klimawandel: Oft können einen die Nachrichten schier verzweifeln lassen. Und allzu oft ertappen wir uns bei dem Gedanken: Wir können eh nichts dagegen tun. Doch, können wir. Zum Beispiel mit der Aktionwww.theaterder10000.de, die sich das Kinderhilfswerk UNICEF ausgedacht hat: Am Samstag, den 11. Mai, sollen in 100 Orten im ganzen Bundesgebiet 10.000 Menschen auf die Straße gehen, um ein Zeichen für eine bessere Zukunft und ein besseres Miteinander zu setzen.

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WAS LESEN?

US-Präsident Trump kündigt drastische Zölle auf chinesische Waren an, schickt sogar Kriegsschiffe ins Chinesische Meer: Was, um Himmels Willen, geschieht da zwischen Washington und Peking – ist das ein Handelskonflikt oder ist das schon mehr? Mein Kollege Tim Kummert hat dazu Klaus Benesch vom Amerika-Institut der Universität München befragt. Seine Antworten sind aufschlussreich.


Erinnern Sie sich noch? Vor einigen Wochen dominierten arabische Clans die Schlagzeilen. Ein Oberhaupt einer Berliner Sippe wurde publicityträchtig verhaftet. Und heute? Ist er längst wieder auf freiem Fuß, ebenso wie fast alle anderen Verdächtigen. "Deutschland kriegt seine Clans nicht in den Griff", urteilt die "Neue Zürcher Zeitung" in einem nachdenklichen Artikel.


Es wird wohl nicht mehr lange dauern, dann müssen Sie und ich uns die Gehwege mit Elektro-Rollerfahrern teilen. Auch auf Radwegen und Straßen werden die Scooter rumdüsen. Schon am 17. Mai könnten die Pläne beschlossen werden. Doch Experten sehen das kritisch und verweisen auf unsere Nachbarländer: In Spanien wurden die Regeln für die Flitzer nach einem tödlichen Unfall drastisch verschärft, Frankreich schließt sich an. Gehören E-Roller wirklich auf Gehwege? Was genau rollt da bald auf uns zu? Hier sind die Antworten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Manchmal liegen zwischen Genie und Wahnsinn nur wenige Zentimeter.

Ich wünsche Ihnen einen sicheren Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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