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Iran-Konflikt: Donald Trump – und das perfekte amerikanische Chaos


Was heute wichtig ist
Das perfekte amerikanische Chaos

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.01.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Donald Trump fällt gerne Entscheidungen vor dem Fernseher oder um seinen Anhängern zu gefallen.Vergrößern des Bildes
Donald Trump fällt gerne Entscheidungen vor dem Fernseher oder um seinen Anhängern zu gefallen. (Quelle: Evan Vucci/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es herrscht Chaos im Nahen Osten: So oft ist dieser Satz schon geschrieben worden, dass von ihm nicht viel mehr übrig ist als eine Phrase. Was wir allerdings gegenwärtig mit Recht sagen können: Seit der Tötung des iranischen Top-Generals Soleimani überschlagen sich die Ereignisse. Massendemos im Irak, um die korrupten Cliquen in der Regierung und ihre verhassten iranischen Hintermänner loszuwerden? Waren gestern. Das Atomabkommen mit dem Iran? Passé. Die internationale Koalition gegen den "Islamischen Staat"? Löst sich schneller auf als der Zucker im arabischen Tee.

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Das Chaos müssen wir aber trotzdem noch einmal bemühen. Ja, es herrscht im Nahen Osten, aber so richtig tobt es sich derzeit bei den Amerikanern aus. Per Notiz hat gestern der im Irak zuständige Kommandeur das Verteidigungsministerium in Bagdad über den bevorstehenden Abzug der US-Truppen informiert. Vor lauter eiligen Dementis stolpern seine Vorgesetzten jetzt über ihre eigenen Füße. "Missverständlich formuliert" soll das Schreiben gewesen sein, ein "Entwurf" oder doch ein "echter Fehler", in Wahrheit gehe es nur um eine "Truppenverlegung innerhalb des Iraks". Die Dementis passen nicht zusammen, das heillose Durcheinander vermittelt sich hingegen exzellent. Ganz im selben Stil empfiehlt das US-Außenministerium amerikanischen Bürgern in der Region die sofortige Ausreise, nicht ohne hinzuzufügen, dass sie von der Botschaft in Bagdad keinerlei Unterstützung erwarten dürfen und sich dort keinesfalls blicken lassen sollen. Wir wünschen gute Reise. So sieht es aus, das perfekte amerikanische Chaos.

Eine US-Strategie im Nahen Osten ist schon lange nicht mehr erkennbar, was auch am obersten Spontanstrategen im Weißen Haus liegt. Aus Sicherheitskreisen heißt es hinter vorgehaltener Hand, Donald Trumps Entscheidung, Herrn Soleimani zu töten, sei dermaßen aus heiterem Himmel gekommen, dass die US-Geheimdienste erst einmal unter Hochdruck in Erfahrung bringen mussten, wo sich ihre prominente Zielperson überhaupt aufhielt. Der Präsident hatte offenbar vor dem Fernseher gesessen und sich über die Bilder von Attacken auf die US-Botschaft in Bagdad erregt. Also ließ er halt mal eben die härteste verfügbare Strafe exekutieren. Rücksprache? Iwo. Strategie? Ach was.

Ein ganz anderes Bild geben hingegen die Iraner ab: Sie beuten den Tod ihres Kriegshelden (den man korrekter als Schlächter bezeichnen müsste) mit eiskaltem Kalkül zu ihrem Vorteil aus. Mit einem Blutbad ist für den Iran nichts zu gewinnen, was zunächst einmal eine beruhigende Nachricht ist – auch wenn mit gewaltsamen Aktionen der Revolutionsgarden schon aus Gründen der Gesichtswahrung zu rechnen ist. Doch vor allem kann Teheran jetzt die Unterstützung seiner Verbündeten – das Netzwerk zu Politkern, Regierungen, Milizen im gesamten Nahen Osten – so bedingungslos einfordern wie noch nie zuvor.

Das naheliegendste, realistisch erreichbare Ziel der Mullahs: die Amerikaner jetzt endlich aus ihrem Vorgarten zu vertreiben. Den Irak endgültig unter ihre Kontrolle zu bringen (abzüglich der kurdischen Gebiete im Norden, die sich um den Willen Bagdads und Teherans wenig scheren). Das irakische Parlament hat den symbolischen Beschluss, die US-Truppen in die Wüste zu schicken, schneller zuwege gebracht, als Herr Trump sich um Kopf und Kragen twittern kann. Obwohl … nein, das nehme ich zurück. Aber blitzschnell ging es schon. Kalkulierte Gewalt gegen US-Einrichtungen und maximaler Druck auf die Regierung in Bagdad, der US-Armee den Weg zur Tür zu weisen, dürften nicht lange auf sich warten lassen.

Das eigentliche Desaster zeichnet sich jedoch abseits des großen Spiels um Einfluss und strategische Dominanz ab. Gerade erst schien sich im Irak eine Überwindung der tiefen Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten anzudeuten. Während der Proteste des vergangenen Jahres vereinten sich junge Leute beider Konfessionen in ihrer Abneigung der korrupten, ineffektiven politischen Kaste und schwenkten gemeinsam dieselbe irakische Flagge. Jetzt aber kommen die konfessionellen Milizen wieder selbstbewusst aus ihren Löchern. Von dieser Spaltung profitiert auch der "Islamische Staat". Gesellschaftliche Zwietracht und chaotische Zustände im Showdown mit den Amerikanern schaffen exakt den Freiraum, den die Terrororganisation braucht, und führen ihr neue Anhänger zu. Bessere Zeiten für den IS sind aus unserer deutschen Sicht der schlechteste Auswuchs der ganzen Misere. Und der Grund, warum wir vor Herrn Trumps heilloser Nahostpolitik auch in Deutschland nicht sicher sind.

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WAS STEHT AN?

Nein, das ist kein Marsmännchen, und eine Blumenvase ist es auch nicht. Das ist Jan Mölleken, Leiter unseres Digitalressorts. Mein Kollege hat sich schon einmal auf dem Gelände der weltweit größten Technikmesse CES umgesehen, die heute Abend unserer Zeit in Las Vegas beginnt. Von dort berichtet er über die mal bahnbrechenden, mal lustigen und manchmal sinnfreien Innovationen – wie zum Beispiel diese Beautymaske, die das Gesicht mit Lichtdioden bestrahlt, nachdem ein smarter Spiegel analysiert hat, was genau der Haut fehlt. Ich würde sagen: In der Kategorie "Dinge, die die Welt nicht braucht" belegt das Ding einen der vorderen Plätze. Aber drumherum stehen jede Menge sinnvollere Apparate.

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In Stuttgart, was ehedem eine lebenswerte Stadt gewesen ist, gibt heute der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn bekannt, ob er zur OB-Wahl im Herbst noch einmal antritt. Er ist nicht unumstritten, was auch daran liegt, dass er viele Ankündigungen bisher nicht eingelöst hat. Wohnungsmangel, Feinstaub, endlose Staus: Die Probleme heute sind dieselben wie zu seinem Amtsantritt vor sechs Jahren. "Den Unvollendeten" nennt ihn die Lokalpresse. Kuhn hat es beispielsweise nicht geschafft, sich gegen die Autolobby von Daimler und Porsche durchzusetzen, die jeden Zentimeter Straße im Talkessel eisern verteidigt. So kommt es, dass die Schwabenmetropole heute für Stadtautobahnen bekannter ist als für grüne Oasen. Und wo einst Bäume und Liegewiesen zur Erholung einluden, klafft heute in unmittelbarer Nähe ein gigantisches Loch, das irgendwann vielleicht womöglich mal ein Bahnhof wird. Falls er im November wiedergewählt werden sollte, könnte Herr Kuhn diesen Termin vielleicht womöglich sogar noch im Amt erleben.

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In Wien wird heute die neue schwarz-grüne Bundesregierung vereidigt. In den Parteizentralen der CDU und der Grünen in Berlin wird man sich das genau anschauen. Taugt das österreichische Modell als Vorbild für Deutschland 2022? In jedem Fall nachahmenswert: Dem Wiener Kabinett gehören erstmals mehr Frauen als Männer an.

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In Madrid findet die zweite Parlamentsabstimmung über die Wahl des Sozialisten Pedro Sánchez zum Regierungschef statt. Die erste hatte er verloren. Beim zweiten Votum genügt nun eine einfache Mehrheit, weshalb Sánchez wohl gerade so durchkommen wird. Nach zwei Parlamentsneuwahlen hätte Spanien damit erstmals wieder eine reguläre Regierung – die sich allerdings von den katalanischen Separatisten tolerieren lassen muss.

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In Hamburg wird heute der Kinofilm "Lindenberg! Mach dein Ding!" uraufgeführt, eine Hommage an, natürlich, den Udo. Die Anfänge in Gronau, der Aufstieg in Hamburg, der Suff, die Frauen und vor allem ganz viel Rock ’n’ Roll : Der Trailer ist schon mal vielversprechend. Dürfte ein ziemliches Gedränge vor dem Kino am Dammtor geben, aber mit der richtigen Einstellung steht man auch das durch. Keine Panik, würde der Meister wohl nuscheln.

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WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Gestern berichtete ich Ihnen an dieser Stelle davon, dass FDP-Chef Christian Lindner versucht, für die Liberalen neue Wählergruppen zu erschließen. Auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart hat er nun eine ehemalige SPD-Wählerklientel als neue Zielgruppe ausgerufen. Unser Reporter Tim Kummert war vor Ort und beschreibt, warum ausgerechnet Kommunalpolitiker das Profil der Partei schärfen könnten.

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Kaum gerät die deutsche Konjunktur ins Stottern, floriert die Branche der Untergangspropheten: Selbst ernannte Experten entwerfen in Bestsellerbüchern Horrorszenarien, wie Eurokrise, Bankenkrise und Rezession angeblich schon bald die Weltwirtschaft in den Untergang treiben. Die "Süddeutsche Zeitung" entlarvt die steilen Thesen als das, was sie sind.

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Die Bundesliga pausiert, die Handballer dagegen steuern ihrem Höhepunkt entgegen: Die EM startet in dieser Woche mit einer starken, wenn auch verletzungsgebeutelten deutschen Mannschaft. Die Schlüsselposition besetzt Paul Drux: Der Gummersbacher Rückraumspieler prägt die deutsche Taktik, beherrscht den perfekten Wurf – und kann Gegner zur Weißglut treiben. Wie er das macht, hat er meinen Kollegen Sandra Sperling und Axel Krüger verraten.

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WAS AMÜSIERT MICH?

In der Kunst, sich selbst zum Affen zu machen, bringt es mancher Promi zu Glanzleistungen. Aber sie sind alle Stümper gegen diese bunt gewandeten Normalos aus Japan. Vorhang auf für die absurdeste Gaming-Show!

Ich wünsche Ihnen einen vernünftigen Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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