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Die Spendenbereitschaft der Deutschen geht zurück


Was heute wichtig ist
Jeder kann zum Krisenhelfer werden

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 05.03.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Der sechsjährige Nelly in der Demokratischen Republik Kongo war an Ebola erkrankt. Doch dank Pflege und Spendengeldern konnte er genesen.Vergrößern des Bildes
Der sechsjährige Nelly in der Demokratischen Republik Kongo war an Ebola erkrankt. Doch dank Pflege und Spendengeldern konnte er genesen. (Quelle: @UNICEF/Nybo/2019)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Manchmal wäre ich gern ein Mäuschen. Eines mit spitzen Ohren. Zum Beispiel gestern Nachmittag um 16.20 Uhr im Plenum des Thüringer Landtags: Nachdem Bodo Ramelow im dritten Wahlgang mit der einfachen Mehrheit der Stimmen von Linkspartei, SPD und Grünen gewählt worden war, nahm er die Glückwünsche der Abgeordneten entgegen. Seine Genossen umarmten ihn, die Verbündeten gratulierten grinsend, das dauerte jeweils wenige Sekunden. Dann kam Björn Höcke, Chef der Thüringer AfD und in der Wahl unterlegener Kontrahent. Er reichte Ramelow die Hand – aber der nahm sie nicht. (Stattdessen redete er auf Höcke ein, der erwiderte etwas, es ging hin und her. Zehn Sekunden, zwanzig Sekunden, dreißig, vierzig, am Ende fast eine Minute lang. Wie in einem Brennglas versinnbildlichte dieser Moment das wochenlange Politikdrama in Thüringen. Ein ikonisches Bild, so wie vor einem Monat schon das Bild des Blumenstraußes, den die Linke-Politikerin Susanne Hennig-Wellsow dem mit AfD-Stimmen gewählten FDP-Mann Thomas Kemmerich vor die Füße schleuderte. Dramatik, das können sie in Thüringen. "Die Verwerfungen zwischen den Kontrahenten im Parlament sind so tiefgreifend, dass man nicht von einer normalen Wettbewerbssituation sprechen kann", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder in einem lesenswerten Interview meines Kollegen David Ruch. "Das ist schon tiefe Abgrenzung, fast Feindschaft. Und das bedeutet eine enorme Herausforderung für das parlamentarische System."

Was genau Ramelow und Höcke besprachen, ist nicht verbrieft, selbst Lippenleser taten sich schwer, und Mäuschen waren leider nicht zugegen. Aber der frisch gewählte Ministerpräsident nahm in seiner anschließenden Antrittsrede Bezug auf die Szene und prangerte Höcke an: Der habe sich nach der umstrittenen Wahl Kemmerichs damit gebrüstet, diesem eine Falle gestellt zu haben. "Ich bin dann bereit, Ihnen, Herr Höcke, die Hand zu geben, wenn Sie die Demokratie verteidigen – und nicht, wenn sie die Demokratie mit Füßen treten!" Unmissverständlich, scharf, eindrucksvoll. Ein Satz, der Klarheit ins politische Wirrwarr bringt.

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Obgleich die rot-rot-grüne Minderheitsregierung bis zur Neuwahl im April 2021 auf wackeligen Beinen unterwegs ist: Thüringen scheint nun aus dem Gröbsten raus zu sein. "Wir haben es geschafft, eine demokratische Legitimationskrise zu überwinden", verkündet Ramelow. "Das Land muss jetzt schnell im Sinne der vereinbarten parlamentarischen Verfahrensweise in ruhigeres Fahrwasser kommen. … Wir wollen den Menschen sagen: Es geht nach vorne. Und ich baue auf die Unterstützung der demokratischen Fraktionen in diesem hohen Haus." Klare Worte, vielversprechende Worte.

Diese demokratische Klarheit sollte allerdings auch Ramelows eigene Reihen verpflichten. Denn nicht nur in der AfD, auch in der Linkspartei gibt es Extremisten, die mit militanter Sprache den Dialog vergiften. Beispielsweise jene Aktivistin, die am Samstag auf einem Strategiekongress über die Zukunft schwadronierte – "nach ’ner Revolution und wenn wir dit eine Prozent der Reichen erschossen haben". Parteichef Bernd Riexinger kommentierte den Spruch zunächst nur feixend, verurteilte ihn erst später. Bodo Ramelow war da sehr viel klarer: "Wer Menschen erschießen will und von einer Revolution mit oder durch Gewalt schwadroniert, hat mit meinem Wertekanon nichts gemein. So eine Aussage auf einer Konferenz meiner Partei ist inakzeptabel und hätte nie lächelnd übergangen werden dürfen!", wetterte er. Der Mann hat einen Kompass. Der wird in seiner Partei jetzt dringend gebraucht – nicht nur in Thüringen.


Zwischen den großen Schlagzeilen der vergangenen Tage ist eine kleine Meldung untergegangen. Dabei ist sie wichtig und kaum weniger dramatisch als eine Ministerpräsidentenwahl in Thüringen oder ein neuer Coronavirus-Fall: Die Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung geht stark zurück. Nie zuvor seit Erfassung der Daten haben so wenige Bürger für wohltätige Zwecke gespendet wie jetzt. Im vergangenen Jahr waren es rund 19,5 Millionen Menschen, die Geld für gemeinnützige Organisationen und Kirchen gaben – eine Million weniger als 2018 und fast zehn Millionen weniger als 2006, berichtet der Deutsche Spendenrat. Auch die Summe schrumpft: Insgesamt kamen 2019 5,1 Milliarden Euro zusammen, im Vorjahr waren es noch 200 Millionen Euro mehr. Sogar im traditionell spendenstarken Weihnachtsmonat Dezember brachen die Einnahmen ein. Und noch eine Zahl ist dramatisch: Mittlerweile kommen schon fast 41 Prozent der Spenden von Menschen im Alter über 70 Jahre. Viele Jüngere sind offenkundig nicht bereit, Bedürftigen etwas abzugeben – eine Entwicklung, die in eklatantem Gegensatz zum wachsenden Wohlstand der Bundesbürger steht.

Wir haben immer mehr, aber wir geben immer weniger ab: Warum ist das so? Sozialwissenschaftler sagen: Die nun ins typische Spendenalter kommenden Babyboomer der Jahrgänge 1946 bis 1964 schauen anders auf die Welt als ihre Eltern, die noch selbst den Krieg erlebten, das Leid womöglich eher nachempfinden konnten und deshalb großmütiger halfen. Selbst wenn man bedenkt, dass in der Erhebung Erbschaften und Unternehmensspenden fehlen, bleibt das Ergebnis beunruhigend. Der Reichtum in der Welt ist ungleich verteilt, wer im Kongo oder im Jemen geboren wird, kann meistens nichts für sein Elend und ist angewiesen auf die Solidarität jener, die im Wohlstand leben. Selbst wenn man keine Reichtümer besitzt, ist es ja in der Regel machbar, zum Beispiel eine Patenschaft für ein Kind in einem Krisenland zu übernehmen. Schon 15 Euro monatlich können ein Leben retten. Ich war beeindruckt von der Spendenbereitschaft vieler Tagesanbruch-Leser, die Ende vergangenen Jahres bereit waren, hungernden Kindern im Südsudan zu helfen.

Wir dürfen die Mitteilung des Spendenrates in zweierlei Hinsicht verstehen: Zum einen können wir uns selbst fragen, ob wir unsere überschüssigen Euro wirklich in einen noch größeren Fernseher, noch ein Paar Turnschuhe, noch irgendeinen Konsumklimbim stecken wollen – oder ob wir zumindest einen Teil für jene abzweigen, die in Syrien im Bombenhagel bibbern, im Südsudan hungern oder im größten Flüchtlingslager der Welt in Bangladesch im Dreck hausen. Zum anderen können wir uns anhand der Mitteilung vor Augen zu führen, wie viel Gutes Spenden bewirken können. Ich gebe Ihnen drei kleine Beispiele des UN-Kinderhilfswerks Unicef:

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Der 14-jährige Hussaini lebt im afrikanischen Burkina Faso. Im Jahr 2018 wurde sein Dorf von bewaffneten Banden angegriffen, er musste alles zurücklassen, als er mit seiner Familie vor den Angriffen floh. Seitdem hat er keine Schule mehr besucht. Doch dank eines gespendeten Radios kann er nun mit Audioprogrammen lesen und rechnen lernen.

Saba aus dem Jemen ist 16 Monate jung. Sie war schwer mangelernährt, litt an Durchfall und einer Lungenentzündung, als ihre Mutter sie in eine Station der Hilfsorganisation brachte. Mit therapeutischer Milch und Medikamenten kam sie innerhalb von drei Tagen wieder zu Kräften – dank Spendengeld.

Amira aus dem Südsudan ist 9 Monate jung. Sie war ausgemergelt und rang mit dem Tod, als sie in ein Ernährungszentrum gebracht wurde. Acht Wochen später ist sie gesund und munter – dank gespendeter Erdnusspaste.

Diese drei Kinder und Zigtausende weitere Kinder, Frauen, Männer in den Elendsregionen dieser Welt sind auf Unterstützung angewiesen – und wir können ihnen helfen. Wir müssen uns nur aufraffen. Das ist gar nicht schwer: Eine Onlinespende ist eine Sache von fünf Minuten, zum Beispiel hier oder hier oder hier. Ein bisschen helfen kann fast jeder – egal, ob man 70, 50 oder 30 Jahre alt ist. Und glauben Sie mir: Man fühlt sich hinterher sogar richtig gut.


WAS STEHT AN?

Die Bundesregierung weiß immer noch nicht, wie sie adäquat auf die neuerliche Flüchtlingskrise reagieren soll. Derweil schaffen andere Fakten: Der türkische Präsident Erdogan und Kremlchef Putin sprechen heute in Moskau über die Eskalation in Idlib. Die starken Männer plaudern im Sessel miteinander, während ihre Soldaten aufeinander schießen und Hunderttausende Zivilisten frieren, leiden, fliehen: Gibt es ein treffenderes Bild für den Zynismus der Macht?

Der Bundestag debattiert am Vormittag über den Kampf gegen Hass und rechten Terror. Bundestagspräsident Schäuble hält die Eröffnungsrede, auch Bundespräsident Steinmeier ist dabei. Ein starkes Zeichen.

In Brüssel beginnt die erste Phase der EU-Verhandlungen mit Großbritannien über die künftigen Beziehungen. Bis Jahresende müssen sie abgeschlossen sein, sonst droht (endgültig) das Chaos.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag entscheidet, ob er Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in Afghanistan einleitet. Davon könnten auch amerikanische Soldaten und Söldner betroffen sein. Für diesen Fall droht Trumps Regierung prompt mit Sanktionen.

In Rom wird zum 500. Todestag des italienischen Malergenies Raffael eine große Ausstellung eröffnet. Ich glaube, ich muss dringend mal wieder nach Rom.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Haben Sie den Namen Karim Adeyemi schon mal gehört? Sollten Sie aber. Der junge Mann hat die goldene Fritz-Walter-Medaille bekommen. Mein Kollege Benjamin Zurmühl stellt Ihnen das größte deutsche Fußballtalent vor.


Kida Khodr Ramadan zählt seit seiner Hauptrolle in der Gangsterserie "4 Blocks" zu den begehrtesten Schauspielern Deutschlands. Zugleich hat er eine klare politische Haltung. Im Interview mit meinem Kollegen Steven Sowa stellt er sich gegen den grassierenden Rassismus und erzählt, was er selbst erlebt hat.


Gut, dass immer mehr Städte Fahrradwege einrichten. Nicht gut, dass sie ohne Barrieren eingerichtet werden. Denn das kommt dabei oft heraus.


WAS AMÜSIERT MICH?

So kann man die Corona-Panik mancher Leute natürlich auch sehen:

Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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