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Joe Bidens Fanfare: Da geht noch was


Was heute wichtig ist
Joe Bidens Fanfare: Da geht noch was

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.08.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Joe Biden will Donald Trump aus dem Weißen Haus – ja was: drängen? geleiten? bitten?Vergrößern des Bildes
Joe Biden will Donald Trump aus dem Weißen Haus – ja was: drängen? geleiten? bitten? (Quelle: Carolyn Kaster/AP/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die einen schaffen das, die anderen geben ihr Ehrenwort. Der eine will mehr Demokratie wagen, der andere verlangt einen Ruck im Land: Wer als Politiker etwas durchsetzen will und den Einsatz von Emotionen beherrscht, der drechselt Merksätze, die eine ganze Bevölkerung mobilisieren, aufrütteln oder wenigstens berühren können. Besondere Relevanz bekommen solche Sprüche im Wahlkampf, und am wichtigsten sind sie in den teuersten Wahlkämpfen der Welt: in den USA. Die Liste der Slogans aus dem Land der unbegrenzten Versprechen ist lang, aber nur wenige waren so prägnant, dass sie die Stimmung ihrer Zeit auf den Punkt brachten und Millionen Bürgern den Weg an die Urnen ebneten:

Im Kalten Krieg anno 1952 reichte dem Weltkriegshelden Dwight D. Eisenhower ein schlichtes I like Ike.
1984 sicherte sich Ronald Reagan mit dem Versprechen It's Morning Again in America die Wiederwahl.
Im Aufbruchjahr 1992 traf der jugendliche Bill Clinton mit It's the economy, stupid! den richtigen Ton.
George W. Bush leitete im Jahr 2000 mit dem Compassionate Conservatism die konservative Wende ein.
Nach dem Irakkrieg-Desaster gab Barack Obama 2008 der deprimierten Nation mit Yes We Can neue Hoffnung.
2016 verkörperte Donald Trump die Revanche der vernachlässigten Provinz mit seiner Verheißung Make America Great Again (die in Wahrheit auch von Reagan stammte).

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Einprägsame Sätze, von Tausenden Menschen in Stadien skandiert, millionenfach auf Handzettel, Plakate, Fahnen gedruckt und nicht selten später bitter bereut. Politik ist ein Geschäft der Strategie und der Taktik, der Überzeugungen und der Kompromisse, der Täuschung und der Tricks, aber es ist auch ein Geschäft der Worte. Und wer Erfolg haben will, der muss starke Slogans erfinden – erst recht in unserer heutigen Multimedia-Multi-Aufregungs-Multi-Lautstärke-Zeit.

Was also sagt Joe Biden? Der finale Wahlkampf-Slogan des 77-jährigen Trump-Herausforderers steht noch nicht fest, aber ausprobiert hat er schon einige: "Our Best Days Still Lie Ahead" ("Unsere besten Tage kommen noch"), „Build Back Better“ („Besser wiederaufbauen”), „Unite for a better future“ ("Vereinigt euch für eine bessere Zukunft") und "Restore The Soul of America" ("Amerikas Seele wiederherstellen"). Außerdem (ist schon ein bisschen her) "No Malarkey!" ("Kein Hokuspokus!").

Hm.

Würden Sie, wenn Sie so etwas hören, begeistert vom Sofa aufspringen, die Erdnussflips-Tüte in die Ecke schleudern und aus dem Haus rennen, um unverzüglich ihre Nachbarn/Freunde/wen auch immer beknien, unbedingt bei der Wahl diesem Biden das Kreuzchen zu spendieren? Erst recht, wenn Sie den Eindruck haben, dass diese Wahl wegen des Corona-Schlamassels, der Wirtschaftskrise und des Machtkampfs mit China die wichtigste seit Jahrzehnten ist? Eben. Da geht noch was. Oder eher: Da muss noch was gehen, und zwar mit Schmackes. Noch ist Zeit bis zum 3. November, aber allzu viel ist es nicht mehr. Wer erlebt hat, wie Barack Obama damals monatelang durch Amerika tingelte und jedem, der nicht bei drei auf dem Baum war, sein "Hope!" und sein "Yes we can" ins Ohr rief, der ahnt, wie wichtig das beständige Repetieren einer überzeugenden Botschaft in einem gespaltenen Land und in einem Wahlkampf ist, der dem Kandidaten in den "Swing States" die entscheidenden Prozentpunkte zum Sieg verschaffen soll.

In Corona-Zeiten ist alles anders, der Wahlkampf ist nur ein müder Abklatsch im Internet, und weil viele Amerikaner von dem Typen im Weißen Haus maßlos enttäuscht sind, könnten die Demokraten eigentlich auch eine Schildkröte aufstellen, die "Kein Hokuspokus!" piept, sie würde wohl trotzdem einen guten Schnitt machen. Aber entschieden ist diese Wahl noch lange nicht. Zu sagen, dass alles noch völlig offen ist, wäre übertrieben, aber dass sehr vieles noch möglich ist, das stimmt dann doch. Herr Trump hat so oft bewiesen, dass er jederzeit zu Überraschungen, Winkelzügen und Gemeinheiten fähig ist, so dass sogar ein braver Senior wie Joe Biden nicht mit einem sicheren Sieg rechnen kann, und mag die Frau an seiner Seite noch so mitreißend auftreten. "Unterschätzt nicht Joes Talent, alles zu vermasseln", soll Obama über seinen ehemaligen Vizepräsidenten gesagt haben.

Was also kann das Gespann Biden/Harris gegen den martialischen Trump wirklich ausrichten, können die beiden ein Feuer der Begeisterung entzünden – und vor allem: Was ist von Bidens wichtiger Nominierungsrede zum Abschluss des Demokraten-Parteitags in der vergangenen Nacht zu halten? Zum Glück haben wir einen gut informierten Amerika-Korrespondenten, der Ihnen alles erklären kann, während ich mir in den frühen Morgenstunden dann doch mal eine Mütze Schlaf gegönnt habe: Wenn Sie Fabian Reinbolds Blitzanalyse gelesen haben, sind Sie heute Morgen gut gerüstet.


WAS STEHT AN?

Die Schamlosigkeit kann einem die Sprache verschlagen: Der führende Kopf der russischen Opposition, der Kremlkritiker Alexej Nawalny, liegt im Koma. Das Verhängnis ereilte ihn auf einem Inlandsflug: erst Schweißausbrüche, ein Unwohlsein, dann lag er schreiend vor Schmerzen am Boden. Trotz der eiligst eingeleiteten Notlandung war Nawalny schon an Bord nicht mehr bei Bewusstsein. Im örtlichen Krankenhaus hielten sich Ärzte, die inzwischen von der Polizei kräftig Gesellschaft bekommen hatten, mit Auskünften bedeckt. Über Stunden erhielten weder Nawalnys Frau noch seine Vertrauensärztin Zugang zu ihm. Alles deutet darauf hin: Herr Nawalny wurde vergiftet. Im Verdacht steht ein Becher Tee im Flughafen.

Es ist das immergleiche Muster: Wer sich mit dem Kreml anlegt, lebt gefährlich – oder gar nicht mehr. Zelimkhan Khangoshvili starb an einer Kugel im Berliner Tiergarten. Sergei Skripal und seine Tochter Julia wurden im britischen Salisbury zum Ziel eines Anschlags mit dem Nervengift Nowitschok. Alexander Litwinenko trank in London eine Tasse Tee und ging am radioaktiven Polonium zugrunde. Das sind nur die bekanntesten Anschläge außerhalb Russlands, die Putins Sicherheitsapparat zur Last gelegt werden, untermauert von aufwendigen Untersuchungen und einer Vielzahl von Beweisen. Innerhalb Russlands ist die Handschrift von Putins Diensten dieselbe, aber dort beschäftigen sich Ermittler lieber damit, unliebsame Opponenten mit Razzien zu überziehen.

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Diesem Schicksal ist auch Alexej Nawalny nicht entgangen. Erst im Juli hatte die Polizei sein Büro durchsucht. Mehrfach war er angeklagt, stand unter Hausarrest, musste ins Gefängnis. Als Aktivist, der Korruption in Behörden und staatsnahen Konzernen offenlegt, hat er sich einen Namen und viele Feinde gemacht. Nicht nur Herr Putin hätte ein Interesse daran, Nawalnys lästige Stimme zum Schweigen zu bringen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Apparatschiks zur Verteidigung ihrer lukrativen Pfründe über Leichen gehen, hat ihr Chef in Moskau aber genauso zu verantworten.

Mindestens ebenso plausibel ist eine direkte Weisung aus dem Kreml. Alexej Nawalny hatte ein Händchen dafür, die Unzufriedenheit mit Putins Partei "Einiges Russland" auf griffige Formeln zu bringen und Unterstützung für jegliche Form von Opposition zu mobilisieren. Seine Strategie: Man solle "klug" wählen – und sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel bei demjenigen Kandidaten machen, der gegen Putins Wahlverein die besten Chancen hat. Hat recht gut funktioniert. Das kann der ewige Kremlhocker jetzt aber gar nicht gebrauchen: Putins Popularität ist durch den miserablen Umgang mit der Corona-Krise schwer angeschlagen.Sein fester Griff lässt nach. Herrn Nawalny zu vergiften sei ein Signal an alle, die sich gegen das System Putin stellen, erklärt der Politologe Wladimir Gelman im Interview mit meinem Kollegen David Ruch. Ein Regierungssprecher nach dem nächsten kann über das tragische Schicksal des Oppositionellen sein Bedauern ausdrücken und sich dennoch sicher sein, dass Regimekritiker die eigentliche Botschaft verstehen: Habt Angst! Selbst euer prominentester Vertreter ist nicht vor Gift sicher!

Noch heute soll Alexej Nawalny zur Behandlung nach Berlin ausgeflogen werden, wenn sein Gesundheitszustand es zulässt: Kanzlerin Merkel hat die Verlegung in ein deutsches Krankenhaus angeboten. Im Kreml gibt man sich kooperativ und wünscht dem Oppositionellen im Koma "baldige Genesung". Man kann kein Wässerchen trüben. Höchstens mal ein bisschen Tee.


Wer das Glück hatte, Christoph Schlingensief persönlich kennenzulernen, der wird die Begegnung nicht mehr vergessen. Heute vor zehn Jahren ist der wilde, sensible, einfallsreiche, unerbittliche Regisseur umgezogen: Seither macht er weiter oben in den Wolken Theater, und wie ich ihn kenne, macht er das nicht nur ziemlich wild, sondern auch ziemlich gut. Wir denken heute an dich, lieber Christoph, schick mal ein paar Einfälle runter!


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Lange schien die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland unter Kontrolle zu sein. Doch mittlerweile gibt es regelmäßig mehr als tausend neue Infektionen pro Tag. Meine Kollegen Adrian Röger und Martin Trotz zeigen: Das Virus bahnt sich in den meisten Landkreisen seinen Weg, Corona-frei ist mittlerweile kaum noch ein Ort.


Neben Corona steht uns auch noch die Grippesaison im Herbst bevor. Was passieren könnte, wenn beide Wellen aufeinandertreffen, erklärt Ihnen meine Kollegin Melanie Weiner.


Auch in Corona Zeiten sollten wir den Wunsch von Jugendlichen nach Party ernst nehmen, meint unsere Kolumnistin Lamya Kaddor. Hier erklärt Sie, warum.


"Angela Merkel schafft durch die Corona-Maßnahmen unser Grundgesetz ab! Wir sind längst in einer Pandemie-Diktatur!" Das Geschrei ist ja groß in diesen Tagen, ob im Internet, auf den Straßen oder in manchem Wohnzimmer. Gut also, wenn jemand mit klarem Kopf den gröbsten Unsinn geraderückt. So wie der FDP-Politiker Konstantin Kuhle.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wissen ist Macht.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag und dann ein noch schöneres Wochenende. Am Montag und Dienstag schreiben meine Kollegen Florian Wichert und Peter Schink den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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