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Der Maskenskandal erschüttert das Vertrauen in die Politik


Tagesanbruch
Der schwarze Alptraum

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.03.2021Lesedauer: 7 Min.
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FP2-Masken im Supermarkt: Zwei Abgeordnete von CDU und CSU bereicherten sich an Vermittlungsgeschäften.Vergrößern des Bildes
FP2-Masken im Supermarkt: Zwei Abgeordnete von CDU und CSU bereicherten sich an Vermittlungsgeschäften. (Quelle: imago images)

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WAS WAR?

Kleine Gegenstände können eine große Bedeutung erlangen. Wie groß, das erleben wir in diesen Tagen. Ob beim Einkauf, in der Bahn oder auf dem Amt: Vielerorts müssen wir nun Masken tragen. Während anfangs viele Menschen mit dem Gesichtsschutz fremdelten, manche sich gar darüber empörten, haben sich inzwischen die meisten Leute daran gewöhnt. Die Haltung schwankt zwischen Akzeptanz und Resignation, manche fragen sich auch, warum Deutschland ein Dreivierteljahr gebraucht hat, bis es die Sinnhaftigkeit medizinischer Masken in einer Pandemie erkannt und ihren Gebrauch verpflichtend gemacht hat. Manche Länder lernen eben langsamer, manchmal gerade jene, die sich besonders fortschrittlich wähnen.

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Nun aber erlangt die Gesichtsmaske neben der gesellschaftlichen auch eine politische Bedeutung. Die Korruptionsaffäre in CDU und CSU um die Maskengeschäfte von Bundestagsabgeordneten wächst sich zum Skandal aus, der die Unionsparteien schwer in Bredouille bringt. Kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, bei denen der neue CDU-Boss Armin Laschet eigentlich beweisen will, dass er seine Partei zu Siegen führen kann, stürzen die Schwarzen ins Stimmungstief: So wie es aussieht, werden sie in Stuttgart weit hinter den Grünen landen und in Mainz hinter der SPD. Die Popularität der Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Malu Dreyer spielt dabei eine Rolle, doch ihre CDU-Herausforderer Susanne Eisenmann und Christian Baldauf hatten sich auf der Zielgeraden des Wahlkampfs eigentlich Rückenwind aus Berlin erhofft. Stattdessen bläst ihnen nun der Sturm des Skandals frontal ins Gesicht und könnte ihnen trotz vieler bereits abgegebener Briefwahlstimmen am Sonntag wichtige Prozente rauben. Dass die Geschäftleshuber Nikolas Löbel (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) dem immensen Druck gestern nachgaben – der eine legte sein Bundestagsmandat nieder, der andere trat gleich ganz aus der Partei aus –, kann den Schaden für die Union nur eindämmen, nicht beheben: CDU und CSU finden sich in einer schweren Glaubwürdigkeitskrise wieder, deren Ausgang offen ist. Hektisch versuchen CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt das schwankende Schiff mithilfe eines neuen "Verhaltenskodex" für die Abgeordneten aus dem Sturm zu steuern. Doch auch mit diesem Manöver können sie den Absturz vorerst nicht aufhalten: In einer von der "Bild"-Zeitung veröffentlichten Umfrage des Instituts Insa bricht die Union massiv ein. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, käme sie gerade mal noch auf 30 Prozent – der schlechteste Wert seit Gründung der Bundesrepublik. Ein schwarzer Alptraum.

Die Opposition facht den Sturm weiter an: "Uns alle beschleicht der Verdacht, dass das nur die Spitze des Eisbergs sein könnte", raunte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer dem "Spiegel" zu. In bemerkenswerter Geschlossenheit mit der Linkspartei fordern die Liberalen einen Untersuchungsausschuss, um die Rolle gleich mehrerer Unionsabgeordneter bei der Maskenbeschaffung und bitte auch gleich die Versäumnisse von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufzuklären. "Der Skandal um die CDU-Abgeordneten ist Wasser auf die Mühlen der Leute, die Verschwörungsmythen verbreiten, wonach die ganze Politik bei der Pandemiepolitik aus eigenem Interesse handelt", glaubt Herr Theurer.

Da ist was dran. Schaut man sich an, wie Populisten von rechts und links die Maskenaffäre instrumentalisieren, um die gesamte Bundesregierung oder gleich alle gegnerischen Parteien zu diffamieren, erkennt man, wie gefährlich dieser Skandal inmitten der Corona-Pandemie ist. In einer Krise historischen Ausmaßes ist das Vertrauen der Bürger in die politischen Entscheider essenziell. Wird es zerstört, könnten sich viele enttäuscht von der Politik abwenden. Extremisten und Populisten haben es dann umso leichter, ihr Gift zu versprühen, ihren Einfluss auszuweiten oder irgendwann sogar nach der Macht zu greifen. Deshalb muss der Maskenskandal restlos aufgeklärt werden, deshalb müssen alle Verfehlungen schnell ans Licht. Sollte es weitere Nüßleins und Löbels geben, sollten sie sich jetzt offenbaren. Die dubiosen Geschäfte einiger schwarzer Schafe dürfen den Parlamentarismus nicht beschädigen. Die Demokratie muss ein Hort der Aufrichtigkeit und Integrität bleiben – in diesem schwierigen Corona-Jahr, aber auch im nächsten, wenn neue Abgeordnete im Bundestag sitzen.

Und was wird im nächsten Jahr aus den Masken? Immer deutlicher zeichnet sich ab, in welchem Maße sich die Zeit nach Corona von der Zeit zuvor unterscheiden wird. Unser altes Leben werden wir wohl nicht vollständig zurückbekommen. Wir müssen damit rechnen, dass uns weitere Erreger heimsuchen, die sich in der globalisierten Welt rasant verbreiten. Darauf muss sich der Staat vorbereiten, indem er die Gesundheitsversorgung, vor allem aber die Gesundheitsvorsorge neu organisiert. Es wird einen dauerhaften Pandemiestab brauchen, größere Lagerbestände an Schutzausrüstung, eine digitale Verwaltung und einen Pandemieplan, der wirklich ernst genommen wird.

Aber auch wir Bürger werden uns an den Lebenswandel anpassen müssen, und womöglich werden wir uns dabei an den Asiaten orientieren. In Metropolen wie Hongkong, Shanghai und Peking, aber auch in Seoul, Tokio und Hanoi bewegen sich viele Menschen schon seit Jahren – lange vor Corona – nur noch mit Masken an belebten Orten: Man schützt sich und andere, auch dann, wenn gerade keine Seuche umgeht. Schließlich kann sich das rasch ändern, und schließlich sind auch Grippeviren und andere Erreger ein Risiko für viele Menschen. So wie wir jetzt in der Pandemie Rücksicht aufeinander nehmen, werden wir auch in Zukunft achtsamer miteinander umgehen müssen. Nicht alle werden das beherzigen, natürlich nicht. Aber viele Leute haben in diesen Corona-Monaten gelernt, wie verletzlich wir sind. In einer überbevölkerten Welt, in der der Mensch auch die letzten Biotope der Natur erobert, in der bald wieder Flugzeuge, Züge, Autos von hier nach da flitzen, können Keime, Viren und Bakterien unser wirtschaftliches, gesellschaftliches und privates Leben schlagartig zum Erliegen bringen. Und es ist keinesfalls selbstverständlich, dass sich gegen jede Krankheit so schnell ein Impfstoff findet wie gegen Covid-19.

Darauf werden wir uns einstellen müssen: auf ein rücksichtsvolleres Leben auf diesem fragilen Planeten. Und Gesichtsmasken dürften dabei auch künftig eine Rolle spielen. So erlangen kleine Gegenstände eine große Bedeutung.

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DIE GUTE NACHRICHT


Nach dem wochenlangen Impfwirrwarr scheinen Bund und Länder die Lage endlich besser in den Griff zu bekommen. Gestern haben die Fachminister beschlossen, dass auch niedergelassene Ärzte gegen Covid-19 impfen dürfen – erst ab April, aber immerhin. Zwar konnten sie sich noch nicht dazu durchringen, die Einteilung der Bürger in Risikogruppen abzuschaffen, die das schnelle Impfen erschwert. Aber auch das kann ja noch kommen. Die Mühlen beim Bürokratieweltmeister Deutschland mahlen langsam, aber immerhin mahlen sie nun.


WAS STEHT AN?

Schon fast drei Jahre dauert die Arbeit am Nationalen Aktionsplan Integration – heute lädt Angela Merkel zum letzten Integrationsgipfel dieser Wahlperiode. In der Videokonferenz diskutieren die Kanzlerin, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Familienministerin Franziska Giffey und Gesundheitsminister Jens Spahn mit 120 Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Migrantenorganisationen über "Zusammenwachsen" und "Zusammenhalt". So sind die letzten beiden von fünf Integrationsphasen im Aktionsplan überschrieben. Zu den Kernvorhaben der Initiative gehört es, für mehr Diversität in der Wirtschaft zu werben. So haben schon mehr als 3.800 Firmen und Institutionen mit mehr als 14 Millionen Beschäftigten die Charta der Vielfalt unterzeichnet – darunter auch die Mainzer Firma Biontech des Gründerpaars Uğur Şahin und Özlem Türeci, die den ersten Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt haben. Ein glänzenderes Vorbild unternehmerischer Integration lässt sich zurzeit wirklich nicht finden.


Unter dem Hitzkopf Donald Trumps war das Verhältnis zwischen den USA und Europa vereist – seit dem Amtsantritt des normaltemperierten Joe Biden taut es auf. Heute wirbt Außenminister Heiko Maas per Videoschalte in der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution für einen Neubeginn der transatlantischen Beziehungen – seine erste große Rede zum Thema seit Bidens Vereidigung. In Brüssel diskutiert der US-Klimabeauftragte John Kerry mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Vizepräsident Frans Timmermans über gemeinsame Wege aus der Klimakrise; zuvor hatten Biden und von der Leyen bereits die gegenseitigen Strafzölle beerdigt. Das Thermometer mag nur schrittweise in den roten Bereich klettern, aber es wird eindeutig wärmer.


Ab heute darf das Museum Ludwig in Köln endlich seine große Andy-Warhol-Schau zeigen. Mit mehr als 100 Werken zeichnet sie ein neues Bild des Pop-Art-Künstlers; für das Museum ist "Andy Warhol Now" die wichtigste und kostspieligste Ausstellung seit Jahren. Wegen Corona dürfen immer nur 73 Besucher gleichzeitig zwei Stunden lang in die Räume. Wie groß der Kulturhunger des Publikums nach der viermonatigen Corona-Zwangspause ist, zeigte sich im Vorverkauf: Schon am ersten Tag brachen die Server zusammen. Gut, dass die Ausstellung bis zum 13. Juni dauert.


WAS LESEN?

Deutschland bekommt das Impfen nur langsam in den Griff. Vor allem Gesundheitsminister Spahn fällt durch schlechtes Timing und Überehrgeiz auf – dabei hätte er zum Pandemie-Helden werden können, meint unser Kolumnist Gerhard Spörl.


In manchen Supermärkten gibt es bereits Corona-Schnelltests. Doch sie helfen nur, wenn man sie korrekt anwendet. Meine Kollegen Adrian Röger und Sandra Sperling zeigen Ihnen, worauf Sie achten müssen.


Die Corona-Krise setzt nicht nur den Airlines zu, auch die Flughäfen sind hart getroffen. Den Report meines Kollegen Mauritius Kloft lesen Sie hier.


Einer der besten Trainer der Welt steckt in der Krise, selbst die Qualifikation für den europäischen Wettbewerb gerät in Gefahr: Ist der FC Liverpool noch der richtige Klub für Jürgen Klopp? Meine Kollegen Robert Hiersemann und Florian Wichert sind gegensätzlicher Ansicht.


WAS AMÜSIERT MICH?

Sagen wir es so: Der deutsche Impfplan ist nicht das Gelbe vom Ei.

Lassen Sie sich nicht verdrießen, irgendwann schaffen wir auch das. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute Zuversicht und gute Laune. Morgen schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Donnerstag wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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