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K-Frage: Armin Laschets verzweifelter Kampf um seine Autorität in der CDU


Tagesanbruch
Pffft …

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 20.04.2021Lesedauer: 8 Min.
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Armin Laschet soll Kanzlerkandidat werden, findet die CDU.Vergrößern des Bildes
Armin Laschet soll Kanzlerkandidat werden, findet die CDU. (Quelle: Federico Gambarini/dpa-bilder)

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Welch ein Gegensatz war das gestern! Erst der erfrischende Auftritt der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die sich von ihrem Co-Chef Robert Habeck auf den Schild heben ließ, dann der Versuch von CSU-Chef Markus Söder, den Machtkampf mit seinem Rivalen in Wortwatte zu packen – und schließlich Armin Laschets verzweifelter Kampf um seine Autorität: Erst nach einer mehr als sechsstündigen Debatte beugte sich der CDU-Bundesvorstand dem Wunsch seines Chefs nach einer geheimen Abstimmung über die Kanzlerkandidatur der Union. Um halb eins in der Nacht tippten die Damen und Herren ihr Votum in die Smartphones: 31 Stimmen für Laschet, 9 für Söder, 6 Enthaltungen.

Ist das die Entscheidung? Das Ende des Zweikampfs? Antwort eins: Vermutlich ja, da der bayerische Löwe gestern Nachmittag geschnurrt hatte, er werde das Votum im Vorstand der größeren Schwesterpartei akzeptieren. Antwort zwei: Vermutlich nicht. Der CSU-Chef weiß nach wie vor viele CDU-Anhänger hinter sich, die ihn für den weitaus stärkeren Politiker halten und unter dem im Umfragetief herumkrebsenden Herrn Laschet um ihre Bundestagssitze bangen. Schon mit wenigen verbalen Nadelstichen im Wahlkampf kann der Markus dem Laschet-Ballon auf dem Weg ins Kanzleramt die Luft ablassen: pffft! So würde er ihn immer wieder daran erinnern, wem er seine Kandidatur zu verdanken hat. Und für den Fall, dass der CDU-Chef es trotz allen Widrigkeiten in die Regierungszentrale schafft, dürfte der Bayer ihm als Gegenleistung für sein Kleinbeigeben ein ganzes Bündel an Zusagen abgetrotzt haben – Ministerien, politische Projekte und so weiter. So könnte der fröhliche Rheinländer zu einem von der CSU gefesselten Kanzler werden.

Von einem "Führungsstil, der einander Raum lässt", haben die Grünen-Chefs gestern gesprochen, von "Kooperation" und einer "Politik, die bei aller Notwendigkeit zu harten Entscheidungen empathisch und menschlich bleibt". Bei den CDU-Nachtwächtern dagegen ging es gestern nicht um Stil oder Ideen, sondern ausschließlich um die Machtfrage: er oder der? Wolfgang Schäuble soll Herrn Laschet gar die Pistole auf die Brust gesetzt haben: Wenn du nicht Kandidat wirst, kannst du gleich auch als Vorsitzender abtreten!

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Was lernen wir daraus? Seit einer Woche berichtet die Hauptstadtpresse quasi ununterbrochen über das Drama, viele Kommentatoren haben es als "fatal", "chaotisch" und "selbstzerstörerisch" gegeißelt: Vor allem der CSU-Chef habe mit seinem ruchlosen Populismus und seinem rücksichtslosen Griff nach der Kanzlerkandidatur die Union an den Rand der Spaltung getrieben. Merkwürdig, wie harmoniesüchtig wir Journalisten sein können, wo wir doch sonst bei jedem Knall entzückt den Stift zücken. Machtkämpfe sind Teil der Politik, auch in Demokratien. Und am Ende einer Ära, wenn Seilschaften, Loyalitäten und Gewissheiten aufbrechen, sind sie besonders hart. So war es nach der Ära Kohl, so ist es am Ende der Ära Merkel. Solche Phasen der turbulenten Neubestimmung mögen Parteien zeitweise zerrütten und viele Zuschauer nerven, aber sie ermöglichen auch einen Aufbruch. Mit einem schlappen Weiter-so wird Deutschland seine gewaltigen Herausforderungen nicht meistern, weder organisatorisch noch personell. Insofern ist Markus Söders Ellenbogenkurs ein Symptom der Zäsur, die das Land gerade erlebt. Um die geeigneten Entscheider für den Neuanfang zu finden, braucht es starke Nerven. Das müssen sogar wir Kommentatoren manchmal aushalten.


Der lernende Staat

Angela Merkels Politikstil ist oft als der einer Naturwissenschaftlerin beschrieben worden: Als Physikerin verschaffe sie sich ein gründliches Gesamtbild der Lage, ehe sie entscheide. Damit erweist man ihr ein bisschen zu viel der Ehre. De facto macht Frau Merkel ähnlich Politik wie ihr Vorgänger Helmut Kohl: Sie fällt Entscheidungen anhand politischer Opportunitäten und parteitaktischer Zwänge. "Politik ist die Kunst des Möglichen": Das Motto des alten Bismarck ist auch ihres, während ihrer bald 16 Jahre währenden Regierungszeit bewegte sie sich meistens zwischen diesen Leitplanken.

Damit hatte sie oft Erfolg, etwa bei der Bewältigung der Finanz- und der Euro-Krise. Doch nun hat die Corona-Pandemie dem ganzen Land vor Augen geführt, dass dieser Politikstil zu den großen Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr passt. Die Seuche lehrt uns, dass rationale Entscheidungen auf der Basis von Daten erfolgversprechender sein können als die Suche nach Kompromissen, die möglichst viele Interessen irgendwie berücksichtigt. Hätten die Regierenden sich von Anfang an auf Wissenschaftler verlassen, die schon Mitte des vergangenen Jahres vor einer zweiten und dritten Corona-Welle warnten und entschlossenes Gegensteuern forderten, befänden wir uns heute nicht in einer derart desolaten Lage. Ein harter, aber befristeter Lockdown im Oktober, November und vielleicht auch noch Dezember hätte die teuflische Dynamik des Virus wohl brechen können. Asiatische Länder (nicht nur Inseln, nicht nur Diktaturen) haben es uns vorgemacht.

Wir meinten, wir wüssten es besser. Weil die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten Konsensentscheidungen trafen, die in unserer föderalen Demokratie nun mal üblich sind (erst ein bisschen schließen, dann ein bisschen lockern, dann wieder ein bisschen schließen, dann irgendwie weitersehen), stehen wir heute da, wo wir stehen: In einem halbgaren Dauer-Lockdown, der ineffektiv, nervenaufreibend und teuer ist. Er schützt nicht gut genug vor Ansteckung, entlastet die Krankenhäuser zu wenig und raubt vielen Tausend Angestellten, Selbstständigen und Unternehmern die Existenzgrundlage. Daran ändert auch die gestrige Einigung von Union und SPD bei der Bundesnotbremse nichts mehr – um die Infektionszahlen schnell zu senken, kommt sie zu spät. Wir haben es versemmelt. Nach anfänglichen Erfolgen haben wir als Gesellschaft im Kampf gegen das Virus zu wenig Disziplin, zu wenig Entschlossenheit und zu wenig Konsequenz bewiesen. Das ist eine Tragödie für sehr viele Menschen: die Verstorbenen und ihre Angehörigen, die Gesundheitsgeschädigten, die Arbeits- und Mittellosen, die Verzweifelten. Zugleich steckt in dieser Erfahrung eine Lehre für die Zukunft.

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Corona lehrt uns, wie wir mit künftigen Großkrisen umgehen sollten. Mit Eruptionen, die unser staatliches, wirtschaftliches und gesellschaftliches System noch stärker stressen werden als die Seuche: die Erderhitzung, das Artensterben und das Wachstum der Weltbevölkerung bei gleichzeitigem Schrumpfen der Ressourcen. Die Folgen dieser drei Entwicklungen werden ineinandergreifen und weitere Umwälzungen auslösen: Migrationsströme aus den verdorrenden Regionen Afrikas in Richtung Europa. Verteilungskämpfe um Wasser, Ackerflächen, Verschmutzungsrechte. Enorme Kosten für nachhaltige Energiegewinnung, intelligente Energienetze, Deichbauten und Renaturierung. Und, und, und.

Mit den gegenwärtigen politischen Instrumenten lassen sich diese Herausforderungen kaum meistern. Wir müssen schneller und konsequenter, lang- statt kurzfristig handeln. Das gelingt nur, wenn die Politik nicht nur ihre Prioritäten, sondern auch den Modus ihrer Entscheidungsfindung verändert. Die gute Nachricht ist: Es gibt längst Konzepte dafür, in fast allen politischen Parteien. Sie haben bislang nur nicht genügend Aufmerksamkeit und Unterstützung bekommen. Aber mit einem politischen Aufbruch im Herbst könnte sich das ändern.

Das Schlüsselwort lautet evidenzbasiert: Wichtige Entscheidungen, die nicht nur eine Legislaturperiode, sondern viele Jahre oder gar Jahrzehnte lang relevant sind, sollten nicht in erster Linie aufgrund von politischen Meinungen und Formelkompromissen, sondern auf der Basis von Datenanalysen getroffen werden. Die Aufgaben sind gewaltig: ein Rentensystem, das auch unsere Enkel noch finanzieren können. Ein Schulbetrieb, der Kindern in Flensburg dieselben Chancen gibt wie ihren Altersgenossen in Füssen. Eine staatliche Verwaltung, die den Bürgern das Leben leichter statt schwerer macht. Ein Gesundheitssystem, das sich am Bedarf statt am Profit ausrichtet. Und vor allem ein nachhaltiger Umgang mit der Natur, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.

Alle diese Ziele sind mit den bestehenden Instrumenten der Politik kaum zu erreichen, weil sie im Ringen von Parteien, Ministerien, Verbänden und Lobbyisten zerredet werden. Das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre. Wissenschaftliche Daten könnten das ändern, wenn sie von allen Entscheidern – vom Wähler an der Urne bis zur Kanzlerin – als zentraler Faktor anerkannt würden. Nur eines ist dafür vonnöten, die beiden CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann und Nadine Schön haben es in ihrem Buch "Neustaat" beschrieben: "Wir müssen unsere politischen Handlungen in immer kürzeren Abständen an ihrer Effektivität und Nachhaltigkeit messen: Was nachweislich funktioniert hat, wird beibehalten, was nicht, wird angepasst oder beendet."

Klingt einfach, ist es aber leider nicht. Nicht, weil es unmöglich wäre. Sondern weil Politiker ihre Rolle und Bürger ihr Staatsverständnis dafür grundlegend hinterfragen müssten. Der "lernende Staat" ist aber keine Utopie. Er könnte der Schüssel für unsere Zukunft sein.


Das Leid der Kleinsten

Die Corona-Kontaktbeschränkungen belasten Kinder schwer. Eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf kam zu dem Ergebnis, dass fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten zeigt. Neben Sorgen und Ängsten sind verstärkt depressive Symptome zu beobachten, außerdem ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung. Heute lenken gleich zwei Institutionen unser Augenmerk auf die Leiden der Kleinsten: Unicef stellt seinen Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland vor, in dem der Soziologe Hans Bertram die "massiven Auswirkungen" von Covid-19 auf die Lebenssituation von Kindern und ihren Familien analysiert. Und das Münchner ifo-Institut informiert über die Folgen der geschlossenen Schulen Anfang 2021; dazu haben die Forscher mehr als 2.000 Eltern befragt. Auch wenn das politische Berlin gerade schwer mit sich selbst beschäftigt ist: Diese beiden Berichte sollten die Entscheider beachten.


Heiße Phase

Hätte der Wirecard-Bilanzskandal auf politischer Ebene verhindert werden können? Seit etwa einem halben Jahr hört der parlamentarische Untersuchungsausschuss Zeugen, um Antworten auf diese Frage zu finden. Heute muss Peter Altmaier (CDU) den Abgeordneten erklären, warum die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, deren Chef bereits entlassen wurde und deren oberster Dienstherr er ist, jahrelang nichts Auffälliges in den frisierten Bilanzen fand. Mit Altmaiers Auftritt geht die Aufklärungsarbeit zu dem Milliardenbetrug in die heiße Phase: Neben dem Wirtschaftsminister soll heute CSU-Digitalstaatsministerin Dorothee Bär aussagen; im Laufe der Woche werden auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und die Kanzlerin geladen. Mal sehen, ob am Ende mehr dabei herauskommt als die Bestätigung einer alten politischen Regel: Schuld sind immer die anderen.


Was lesen?

Die Immigration nach Europa ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Deutschland habe die Einwanderung Tausender junger Männer aus Arabien und Nordafrika bis heute nicht bewältigt, kritisiert Ayaan Hirsi Ali. Die Frauenrechtlerin, die aus Somalia stammt, sich in den Niederlanden mit harscher Islamkritik einen Namen machte und nun in den USA lebt, beobachtet die deutsche Politik genau – und macht ihr schwere Vorwürfe: "Merkels 'Wir schaffen das!' war nur ein wohlfeiler Slogan. Solche Parolen auszusprechen ist immer viel leichter, als eine effiziente Politik zu betreiben", sagt sie. Deutschland habe es nicht einmal ansatzweise geschafft, die Zugewanderten zu integrieren. Das könne im Übrigen auch gar nicht das Ziel sein – stattdessen müssten die Migranten sich an die Mehrheitsgesellschaft assimilieren. Wie sie diese und weitere brisante Forderungen begründet, lesen Sie in dem Interview, dass Frau Hirsi Ali meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir gegeben hat.


Bundesweit schlagen Krankenhäuser Alarm. Der Mediziner Arnim Geise hat meiner Kollegin Sandra Simonsen erzählt, was gerade auf seiner Intensivstation geschieht.


Wieso hat sich Annalena Baerbock gegen Robert Habeck durchgesetzt? Das liegt mehr am Image der beiden Grünen als an ihren Qualitäten, schreibt unser Reporter Johannes Bebermeier.


Was amüsiert mich?

Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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